ABSERVIERT

■ John Zorns Naked City im Metropol

John Zorn ist ein Dieb. Nicht nur, daß er als Kind zuviel ferngesehen hat, er hat sich auch noch die Melodien seiner Lieblingsfilme eingeprägt, um sie als ausgewachsener Altsaxophonist seinen Erziehern um die Ohren zu schlagen. Er vergreift sich am kompositorischen Eigentum von Bugs Bunny und dem Pink Panther, liebt Monster Movies und hat eine ganze Platte mit Filmschnulzen von Ennio Morricone gefüllt. Keine populäre Melodie ist sicher vor der Zornschen Musikverwertungsgesellschaft. Was gefällt, wird genommen, in die Häckselmaschine geworfen, als scharfer Splitter herausgeschleudert und zwischengelagert. Bis die Umgebung so kontaminiert ist, daß es Zeit wird, etwas Neues aus dem Geräuschmüll herzustellen. Eine noch gefährlichere Substanz.

Mit dieser im Gepäck verläßt John Zorn das heimatliche New York in Richtung Rest der Welt. Markenname des Exportartikels: Naked City. Ziel: Vernichtung aller Hörgewohnheiten.

John Zorn sitzt auf einem Barhocker, das Altsaxophon auf den übereinandergeschlagenen Knien balancierend. Demonstrativ locker, gleichzeitig gespannt auf den eigenen Startschuß wartend. An der gegenüberliegenden Bühnenseite Gitarrist Bill Frisell, einer der „vier besten Freunde und Musiker“ für Zorn, die anderen drei stehen unauffällig in Lauerstellung im Hintergrund. Vom Hocker kommt das Kommando, Zorn befiehlt den Einsatz mit erhobenem Arm und gespreizten Fingern. Gleichzeitig prasselt auf den Zuhörer eine Soundlawine nieder. Noch bevor deren Ursprungsort richtig lokalisiert ist, ist sie auch schon längst über ihn hinweggerollt und hat eine Serviererin mitsamt ihrer Theke die Treppe hinuntergerissen. Das erste Opfer eines zwanzigsekündigen „feurigen Ergusses“ Igneous Ejaculation von Naked City.

Die nächste Attacke wird geritten für Jimmy Page, Mastermind von Led Zeppelin. Auch dieses Stück kommt nicht auf eine Spieldauer von einer Minute, enthält dafür aber ein fulminantes, hardrockmäßig ausgedehntes Gitarrensolo im Zeitraffer.

Nach jedem Titel herrscht Totenstille, die Musiker gucken unschuldig, als wäre nichts gewesen. Sarkastisch lachend kündigt Zorn ein „Folter-Medley“ an, „speziell dem Publikum gewidmet“. Dreißig Stile werden in vierzig Sekunden abgehakt. Den Blick starr auf die beleuchteten Notenständer gerichtet, reißt Keyboarder Wayne Horvitz einen Swingrhythmus an, Fred Frith treibt seinen Baß in Richtung Hardbop, die Gitarre hängt irgendwo in den Sechzigern in der Gegend von Jimmy Hendrix fest, Besen beschleunigen Becken, und das glasklare Altsaxophon in Zorns Händen zerschneidet die Stille wie Papier.

Morricones Clan der Sizilianer biegt zum Begräbnis um die Ecke, gleich gegenüber steht ein Mann mit schwarzen Flügeln im offenen Fenster: Es ist Batman, der seine eigene Filmmusik nicht wiedererkennt und eine baßlastige Notlandung auf dem Straßenpflaster hinlegt. Zorns opernhafte Filmphantasien sind inzwischen längst bei seinem Lieblings -Bond Man lebt nur zweimal angelangt.

Bei Filmtiteln holt die Band weiter aus, beschränkt sich nicht auf ultrakurze Parforcereitereien, gibt dem Publikum Möglichkeiten, sich an einer Melodie festzuklammern, kommt den Bedürfnissen scheinbar entgegen, aber legt gerade damit die nächste Fangschlinge aus. Kaum hat sich der Hörer schwelgerisch einem Filmthema hingegeben, befindet er sich auch schon im nächsten akustisch präparierten Hinterhalt. Triumphierend wirft sich die Zornige Meute über ihn, traktiert ihn mit Zitaten, die geschickt in Originalverpackung, aber mit improvisiertem Inhalt, präsentiert werden.

Die Freunde der nackten Stadtgesänge haben ihren Spaß am selbstgebastelten Tempo- und Rhythmuswirrwarr. Sie beherrschen ihre Instrumente perfekt genug, um sich nicht im eigenen Irrgarten zu verlaufen. Der Zuhörer kann da schon mal auf der Strecke bleiben. Aber auch das gehört wohl zu Zorns Konzept, der nichts mehr zu fürchten scheint, als sich auf irgend etwas festlegen zu lassen.

Andreas Becker