Weiberfreie Geselligkeit

■ Der Autor war einer der Theoretiker der Schwulenbewegung um die Jahrhundertwende

Benedict Friedländer

Welche Form im Speciellen die Renaissance des Eros auch annehmen mag, so ist es, wie gesagt, klar, dass eine Vorbedingung dazu oder vielmehr derHauptinhalt dieser Renaissance ein engerer Anschluss der Männer aneinander, d.h. die Herstellung, Ausdehnung und Pflege einer weiberfreien Geselligkeit ist.

Und eben so klar ist es, dass gerade dies für die Mehrzahl, also die Verheiratheten, im Rahmen der gegenwärtigen Sitte nicht leicht ist. Die moderne Stellung der Frau in der Geselligkeit, ihre fast ausnahmslose Allgegenwart, ihre durch Gewöhnung erzeugten Ansprüche, die herrschende Auffassung und indirect sogar ein Theil der gesetzlichen Bestimmungen über die Ehe stehen dem im Wege. Man hat es geradezu in Abrede stellen wollen, dass durch eine Renaissance des Eros die Stellung der Frau leiden müsse; sogar der sonst so einsichtige Kupffer gehört zu Denjenigen, welche das Unvereinbare vereinigen möchten.

Bei Denen, welche wie Kupffer die Häufigkeit der sogenannten Bisexualität, also der Fähigkeit zu beiden Richtungen des Liebestriebes zugeben, kann ich mir die Bestreitung des wirklichen oder doch eingebildeten Weiberinteresses gegen die Wiedergeburt der Lieblingminne kaum anders erklären, denn durch die Scheu, um nicht zu sagen Furcht; man fühlte, dass hier der Hauptpunkt des Widerstandes, die eigentliche Festung und Zwingburg des Tyrannen, das Allerheiligste des Sittentempels zu suchen sei, kurz Etwas, das anzugreifen man wohl zögern möchte.

Und so zog man vor, das stärkste Bollwerk des Gegners zu umgehen, weil man von vornherein an der Möglichkeit eines erfolgreichen Angriffs verzweifelte. Bei den meisten hat ausserdem noch der Hauptirrthum der Zwischenstufentheorie mitgewirkt, demzufolge die gleichgeschlechtliche Liebe ausschliesslich die Angelegenheit einer kleinen, fast immer unverheiratheten Minderzahl wäre. Mit der Widerlegung dieses Irrthums wird es aber klar, dass die eigentliche Frage eine Frage ist gerade Derjenigen, welche nach europäischem Ritus verheirathet sind: denn die Verheiratheten sind die Majorität und werden es hoffentlich bleiben, und nur sie kommen mit der traditionellen Vorherrschaft der Frau, mit dem Kern des Sittenzwanges und mit dem allerdicksten Theil des Vorurtheils in unmittelbare Berührung.

Das kommt daher, weil hier gleichsam ein Schnittpunkt zweier Reihen mittelalterlicher Culturverkehrtheiten vorliegt: die eine umfasst das Vorurtheil über den Eros, die andere die in Europa vorherrschende Auffassung und Form der Ehe: so dass man sich nicht wundern darf, wenn dieser Kreuzungspunkt zweier Reihen kirchlich dogmatischer Einflüsse und sozusagen geometrischer Orte des Wahns den Schaden in einer höheren Potenz zeigt. Dem ist in der That so.

Und Dasjenige, was bisher über den Zusammenhang und möglichen Conflict zwischen Ehe und sogenannter Homosexualität verlautbart worden ist, das zeigt vielleicht am allerdeutlichsten, wohin wir mit unserer fausse position der Weiber gerathen sind. Es handelt sich eben nicht um eine Angelegenheit der Extremen, welche eines Verkehrs mit der Frau gar nicht oder nur schwer fähig sind und gerade auf Grund dieser Einseitigkeit ihrer Veranlagung wenigstens in der Regel ziemlich genau wissen, was sie zu thun haben und oftmals, trotz des Paragraphen, nicht allzu viel übler daran sind, als die rein Weiberliebenden; und noch weniger handelt es sich um diejenigen Homosexuellen, die sich psychisch beinahe als Weiber fühlen und eine Zuneigung zum bejahrteren Manne haben; sondern es kommen gerade die vielen, sehr vielen, dem Weibe gegenüber völlig normalen Männer in Betracht, welche dabei doch einer innigen, auch mehr oder weniger mit psychologischen oder doch ästhetischen Elementen versetzten Liebe zu Jünglingen fähig sind, welche dieser zu ihrer vollen Lebensfreude und damit zu ihrer vollen Leistungsfähigkeit mehr oder minder bedürfen, und welche daher durch einen aufgezwungenen Verzicht, sei es nur in ihrem Lebensglück, sei es in ihrer Schaffenskraft oder sogar in ihrem psychologischen Wohlbefinden geschädigt werden. Sollen und dürfen nun diese Vielen - sagen wir die Männer mit einem starken psychologischen Freundschaftsbedürfnis „heirathen“? Autorität der Weiber und Priester

Die Antwort, welche man in der gegenwärtig als maassgeblich angesehenen Litteratur vorfindet, lautet unbedingt negativ. Was wird aber damit eigentlich gesagt? Es wird allen jenen Männern die Alternative gestellt, entweder auf eine Frau und damit also auf ein Heim der normalen Art und vor Allem auf legale Nachkommenschaft, oder aber auf die Venus Urania, und zwar auf die Venus Urania auch in ihren keuschen Formen, Verzicht zu leisten. Diese Alternative, entweder Stammesselbstmord zu begehen, oder aber die persönlicheFreiheit des Verkehrs für immer zu begraben, und vor der Autorität der Weiber, der Priester und der Sitten allergehorsamst in Demuth zu ersterben diese famose Alternative scheint im Rahmen der bei uns gegenwärtig bestehenden Verhältnisse und herrschenden Anschauungen obendrein beinahe als eine Selbstverständlichkeit.

Wie gesagt, hat die angeblich strenge Scheidung der Heterosexuellen und der Homsexuellen dazu ihr Theil beigetragen, ein thatsächlicher Irrthum, der erst neuerdings, durch die zunehmende Kenntnis vom Ueberwiegen der sogenannten Bisexuellen, ein wenig gebessert worden ist. Den letzteren also stellt man die angegebene schöne Wahl, und diese scheint sogar, auf Grund der herrschenden Auffassung von der Ehe, der sogenannten Sittlichkeit, und last but not least, der in Westeuropa seit dem weibervenerirenden Mittelalter eingerissenen Stellung der Frau, eine Selbstverständlichkeit!

So selbstverständlich nun aber auch uns diese Alternative erscheint, so unverständlich und absurd wäre sie im ganzen griechischen Alterthum erschienen und würde sie auch gegenwärtig im ganzen Gebiet des Islam erscheinen. Der Grad des herrschenden und zum Theil sogar codificirten Feminismus, auf Deutsch, der Verweiberung der Zustände, zeigt sich gerade hier. Nachkommen zu zeugen ist doch wohl ein unveräusserliches Menschenrecht; und ein ebenso unveräusserliches, Freunde zu besitzen und sich deren geistiger, psychischer und körperlicher Vorzüge zu erfreuen. Darf der Ehemann

Freunde besitzen?

Damit ist eigentlich schon Alles gesagt. Alles, wenn das Naturrecht und eine wirklich unabhängige, männliche und nicht pantoffelheldenhafte Lebensauffassung und Sittengestaltung vorausgesetzt wird; Nichts, wenn man anstatt frommer Wünsche die gegenwärtigen Zustände vorausetzt. Darf der Ehemann Freunde besitzen? Gewiss, natürlich! Dürfen diese Freunde auch jung sein? Warum nicht! Auch schön? Auch das schadet nichts! Und wie weit darf die Intimität des Verhältnisses zu seinen Freunden gehen? Darf sich der Ehemann den ihm zusagenden Verkehr aussuchen? Darf, darf, darf! Ja, bei Wem in aller Welt soll er denn da um Erlaubnis fragen? Weder Sokrates noch sonst ein Grieche jenes Zeitalters hätte den Sinn jenes „darf“ verstanden!

Und, um sogleich auch auf die weniger edlen und an sich tadelnswerthen Verhältnisse zu exemplificiren: kein Römer der Kaiserzeit hätte es für nothwendig gehalten, seine Ehefrau um Erlaubnis zu fragen, wenn er sich beispielsweise einen schönen Diener zulegen wollte. Zeigt sich hier nicht mit voller Deutlichkeit, wo das Centrum des Widerstandes zu suchen ist? Es ist der Einfluss und das grösstentheils falsch verstandene Interesse der in einer fausse position befindlichen Frauen! Genau genommen ist diese Sachlage geradezu erschrecklich. Wie weit darf die Intimität des Ehemanns mit Freunden gehen?

Ist nicht notwendigerweise auf intellectuellem Gebiete die Intimität mit Freunden durchschnittlich immer grösser, als diejenige mit der Frau? Ja wohl, auf rein geistigem, abstractem Gebiete mag das noch hingehen. Aber auf dem psychischen Gebiete - wie „lieb“ darf der Ehemann seine Freunde „haben“ - da ja das blosse Wort „lieben“ durch den Sprachgebrauch hier ausgeschlossen ist? Darf er sie mehr lieben, als seine Frau? Thörichte Frage; giebt es nicht ausser den verschiedenen Graden auch verschiedene Arten der Liebe? Und seit wann ist die Liebe des Mannes in der Regel eine ausschliessliche gewesen!

Ist der Mann - ich meine wieder den Mann und nicht den Pantoffelhelden - über seinen Umgang und seine Freunde seiner Frau überhaupt Rechenschaft schuldig? Soweit wird in der Theorie nicht leicht Jemand gehen, aber in der Praxis sind wir in vielen Fällen so weit gekommen. Wenigstens wird eineoffene Freiheitsbeanspruchung in dieser Richtung geradezu als ein Skandal empfunden; und wenn dabei der Verdacht besteht, dass die Freundschaften des Mannes einer sinnlichen Färbung nicht entbehren, - die ja, bei der Freundschaft, nach der fable convenue, die Ausnahme und nicht die Regel sein soll - so ist der Skandal doppelt gross, ja unausdenkbar.

Der innige Verkehr des Mannes mit Jünglingen ist aus der Mode gekommen, und es bedarf, um ihn im Rahmen der bestehenden Lebensgewohnheiten aufrecht zu erhalten, oft der complicirtesten Veranstaltungen und geschicktesten Vorwände. Im griechischen Alterthum war es für einen Sokrates und für jeden Griechen, der etwas auf sich hielt, selbstverständlich, dass er ausser seiner Frau nebst Kindern im Hause, und zwar in den Weibergemächern, auch ein inniges Verhältniss mit Jünglingen hatte - ein Verhältniss, das damals unverblümt alsLiebschaft bezeichnet wurde.1 Ausschließlich Weiberdiät!?

Ein „Erklärer“ des Platonischen Symposion sagt ganz naiv, damals sei das der Fall gewesen, weil die Frauen eben nur Frauen und gleichsam nur Kindergebärerinnen gewesen seien, heutzutage aber sei die Ehe zugleich ein „Freundschaftsbündniss“. Gewiss kann und soll das Ideal einer Ehe auch eine Freundschaft umfassen. Seit wann ist aber die Freundschaft so ausschliesslich? Freilich mag der höchste Grad der Freundschaft eine zeitweilige und in idealen Ausnahmefällen auch wohl eine lebenslängliche, freiwillige Ausschliesslichkeit mit sich bringen.

Aber Wem wird dies zu Theil? Und welchen Werth hat eine sittenerzwungene Ausschliesslichkeit? Muss nicht gerade eine feste Freundschaft und selbst eine leidenschaftliche Liebe durch das Gefühl unleidlicher Unfreiheit vergiftet werden? Und wie kann man es vor allen Dingen einem Freien zumuthen, sich betreffs seiner intellectuellen, psychischen, ästhetischen und physiologisch-socialen Bedürfnisse sozusagen auf ausschliessliche Weiberdiät zu beschränken?

Man sieht hier wieder den Punkt, wo die Weiberüberschätzung mit dem Scheintode und der Verkrüppelung des Eros zusammenhängt. Man wird einwenden, Freunde dürfe ja der Ehemann schon haben: ja wohl, wenn sie ebenso beschaffen sind wie er selbst: eben so alt, eben so denaturirt, eben solche jeder Lebenslust, jeder Freiheit, jedes ächten Idealismus beraubte, verärgerte, vergrämte, conventionell verkümmerte und würdevoll resignirte Käfigvögel und Ehekrüppel, deren Gesellschaft obendrein nur in der Gegenwart und unter Aufsicht der eigenen und fremder weiblicher Hälften genossen werden darf. Ein freier Umgang anderer Art ist nicht üblich und wird leicht skandalös!

Jetzt sieht man wohl, warum ich das Wort „heirathen“ in unserer Frage in Anführungszeichen setzte. Die traditionelle und zum Theil sogar die codificirte Gestalt der Ehe steht der Freiheit auf diesem Gebiete allerdings im Wege; aber es fragt sich, ob eben diese Form der Ehe selbst mit Vernunft, Freiheit und Naturrecht vereinbar ist. Gewiss wird es Kämpfe kosten und Zeit, langer Zeit bedürfen, ehe auf diesem von eingewurzelten Moden und Vorurtheilen beherrschten Boden Freiheit und Vernunft praktisch in grösserem Umfang zum Durchbruch kommen kann; und daher hat die Behauptung, dass ein Mann mit einem starken physiologischen Freundschaftsbedürfniss nicht heirathen solle, allerdings eine relative Berechtigung.2

Aber diese Berechtigung ist beschränkt auf die gerade bei uns bestehende, zwar nicht im Handumdrehen zu ändernde, aber doch auch nicht allgegenwärtige und ewig maassgebliche Auffassung der Ehe als einer Art Galeerensklaverei auf Lebenszeit: als eines Verhältnisses, welches die Verurtheilten zu einer lebenslänglichen, ununterbrochenen, sich auf Alles und Jedes erstreckenden Intimität untereinander zwingt, und zugleich jede anderweitige Intimitätausschliesst oder doch unmässig erschwert. Die Allgegenwart der Weiber

Die Allgegenwart der Weiber bei fast allen unseren der Erholung und dem Vergnügen dienenden Veranstaltungen und Zusammenkünften ist in der That einer der Krebsschäden unserer Geselligkeitsformen und zugleich eines der praktischen Haupthindernisse für die Wiederbelebung der Lieblingsminne. Die Weiber erschweren durch ihre Allgegenwart das Aufkommen jeder wirklichen, auch nur intellectuellen, geschweige denn psychischen Intimität unter Männern. In Wahrheit ist dies zwar eine Stütze des Weibereinflusses, im Uebrigen aber beiden Theilen, Männern wie Weibern, gleich schädlich.

So sicher es ist, dass sich die Unterhaltung auf einem höheren Niveau bewegt, einen völlig verschiedenen Anstrich gewinnt und die Männer weit mehr fördert, so richtig ist es auch, dass sich die Weiber in der Gesellschaft mit Männern weniger gut unterhalten, als wenn sie unter sich sind; wobei ich freilich vom Flirten und Coquettiren, als einer ungeistigen Unterhaltung absehe. Die Weiber, wenigstens die intelligenteren, fühlen in Männergesellschaft denn doch instinctiv ihre geistige Inferorität an allen Ecken und Enden, und würden sie noch weit mehr fühlen, wenn die Männer nicht, aus Galanterie, Alles aufböten, ihnen durch künstliches Hinabschrauben des Unterhaltungsniveaus diesen Umstand möglichst wenig fühlbar zu machen.

Zugeben werden das freilich die Weiber nie; denn schliesslich schmeichelt diese Rolle der Eitelkeit, in der die Weiber gewiss alsVollmenschen anzusehen sind. Selbst Männer, die durch Zufall in eine Stellung gerathen, die sie nicht ausfüllen können, die aber der Eitelkeit schmeichelt, würden in der Regel die Wahrheit, dass sie in einer bescheideneren Stellung nicht nur weniger schaden, sondern sich auch glücklicher fühlen würden, nicht gern hören, sondern als eine Kränkung empfinden.

Die fast überall durchgeführte Allgegenwart der Weiber in der Geselligkeit ist ein scheinbar geringfügiger, in Wahrheit aber einer der allerwichtigsten Umstände; er hindert oder erschwert beständig jede Annäherung der Männer aneinander, und stellt sie in manchen Beziehungen fast unter eine Art dauernder weiblicher Aufsicht. Es ist das eine jener scheinbaren Kleinigkeiten, die nach dem Schema des gutta cavat lapidem ganz Ausserordentliches wirken. Es hängt dies auch wieder mit der pädagogischen Frage nicht nur indirect, wie das ganze Capitel vom Eros Uranios, sondern auch direct zusammen.

Sobald nämlich so ein Dämchen mit der höheren Töchterschulausbildung einigermaassen fertig und mit der Einsegnung sozusagen in ihre Damenschaft investirt worden ist, so ist sie damit gesellschaftsfähig geworden und gilt für voll. Der gleichaltrige Jüngling hingegen ist in denselben Kreisen in der Regel Schüler, als solcher nicht gesellschaftsfähig, und dadurch vom Verkehr mit Aelteren in vielen Richtungen abgeschnitten. Es ist richtig, dass der Jüngling später reif wird, als das Mädchen, da eben Mehr aus ihm zu werden hat; aber bei gleichem Alter ist der absolute Vortheil doch immer auf Seiten des Jünglings und würde das noch viel mehr sein, wenn wir nicht, ebenauf Grund unserer Erziehungs- und geselligen Gewohnheiten den Jüngling auf Jahre hin in einer künstlichen Unreife, Knabenhaftigkeit und Unselbständigkeit erhielten. Weiberherrschaft das

primäre Übel

Es ist doch geradezu absurd, dass ein gebildeter Mann so ein Dämchen mit ihren paar Bildungsflittern und den unveräußerlichen Eigenschaften des weiblichen Hirns für voll ansehen und dementsprechend behandeln, ja ihr wohl noch gar den Hof machen soll, während er mit dem gleichaltrigen Jüngling kaum in gesellige Berührung kommt; da der „Schüler“ nicht für voll gilt. Wie unsere Gesellschaft jetzt beschaffen ist, verlieren unsere Jünglinge freilich nicht viel daran; bei einer verständigen Form der Paedagogik sowohl wie der Geselligkeit würde aber der Jüngling in manchen Richtungen ungefähr an die Stelle der Damen treten, wie das im hellenischen Alterthum der Fall gewesen ist.

Es ist klar, dass hiermit Form und Inhalt der Geselligkeit total geändert, und zwar unermesslich verbessert werden würde. Diese Aenderung der Gesellschaft im geselligen Sinne würde aber auch auf die Gesellschaft im ökonomischen und politischen Sinne zurückwirken. Der Einfluss des minderen Geschlechts und der mit ihm verbündeten, fortschrittsfeindlichen männlichen Elemente, d.h. der Priester verschiedener Observanz, würde abnehmen, und auf diese Weise mit der Zeit unsere ganze Cultur ein anderes Aussehen gewinnen.

Es erscheint nicht ganz ausgeschlossen, dass einem späteren Zeitalter die Verweiberung unserer Zustände im Vergleich zur ökonomisch socialen Frage als das primäre Uebel erscheinen wird; indem, wenn der Einfluss der Weiber geringer wäre, auch die Kirchen- und Parteipriester nicht jenen unheilvollen, theils reactionären, theils fehlgreifend pseudorevolutionären Einfluss hätten erlangen können, und es vielmehr, unter Benutzung der stichhaltigen Lehren Dührings und Georges, zu einer ernsthaften Social-Reform gekommen wäre, während bei der gegenwärtigen Lage der Dinge doch nichts Anderes als möglich erscheint, als entweder eine Versumpfung der socialrevolutionären Bewegung, oder aber eine abortive oder eine sonstwie verpfuschte Revolution.

Wenn Männer, wirkliche Männer nach Charakter und Intellect mehr Einfluss hätten, so wäre das unmöglich: wir stehen unter dem geistigen Regiment derPriester der Reaction und der Priester der Socialdemokratie; und beide wirthschaften sichtlich mit dem Einflusse des sexus sequior.

1 Auch dann, wenn es völlig keusch war. In Xenophons Gastmahl des Kallias wird eine solche Liebschaft geschildert, bei der, um die absolute Keuschheit zwingend glaubhaft zu machen, der Liebhaber Kallias mit seinem Liebling Autolykos nur in Gegenwart des Vaters des letzteren verkehrt.

2 Vgl. den Aufsatz Hirschfelds im III. Jahrgang der Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen.

Aus: „Die Renaissance des Eros Uranios - Die psychologische Freundschaft ein normaler Grundtrieb des Menschen und eine Frage der männlichen Gesellungsfreiheit in naturwissenschaftlicher, naturrechtlicher, culturgeschichtlicher und sittenkritischer Beleuchtung“ von Benedict Friedländer, Treptow-Berlin, 2. Auflage, Bernhard Zacks Verlag, 1908.