„Njet“ zu Sowjetrepublik der Wolgadeutschen

Nationalitätenrat in Moskau wird heute entschieden / Expertenkommission gegen „Autonome Republik“ / Proteste der russischen Bevölkerung gegen Rückkehr der Sowjetdeutschen / „Wir wollen kein drittes Deutschland“ / Aussiedlerwelle in die Bundesrepublik erwartet  ■  Von Anita Kugler

Die Sowjetdeutschen müssen ihre Hoffnungen auf die Wiederherstellung einer „Autonomen Republik der Wolgadeutschen“ vermutlich begraben. Die Nationalitätenkammer wird heute in Moskau entscheiden, ob die in den 30er Jahren aufgelöste Republik, deren deutschstämmige Einwohner vertrieben wurden, wieder errichtet wird. Das Ergebnis steht so gut wie fest: Die Proteste der örtlichen Bevölkerung gegen eine deutsche Wiederansiedlung sind zu groß - sie wollen kein „drittes Deutschland“.

Vor wenigen Tagen kehrte eine Staatskommission, die sich monatelang mit der „Vorbereitung nächstliegender Organisations-, sozialökonomischer und Rechtsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit gegenüber den Sowjetdeutschen und Krimtartaren“ befaßte, aus der ehemaligen „Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen“ zurück nach Moskau. Das Votum der 28 Kommissäre, darunter sechs Sowjetdeutsche, wird mehrheitlich negativ ausfallen. Die Proteste der russischen Bevölkerung, vor allem in den Städten Saratow und Engels, gegen eine Wiederansiedlung der Sowjetdeutschen sind zu groß, die öffentliche Meinung wird täglich feindseliger. „Wir an der Wolga brauchen kein drittes Deutschland“, ist auf Transparenten in den Städten zu lesen, „wir werden uns von unserem Boden nicht vertreiben lassen.“

Anfang März erschienen Abgeordnete von Krasnoarmejsk und Kamyschin in Moskau und protestierten lautstark vor dem ZK des Ministerrates gegen die „Deutschen“. Radikalisiert hat die Stadtsowjets von Krasnoarmejs, daß in den letzten Jahren rund 1.300 Sowjetdeutsche in den Rayon zurückgezogen sind.

Heute wird die Kommission den abschlägigen Bericht der „Nationalitätenkammer des Obersten Sowjets“ zur Entscheidung vorlegen. Der Untersuchungsbericht wird eine Diskussion besiegeln, die die rund zwei Millionen Sowjetdeutschen in Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan, dem Altai-Gebiet und Sibirien jahrelang bewegt hat. Die Wolgarepublik ist nicht unbedingt das Traumland der Sowjetdeutschen, die Mehrheit würde, laut einer Umfrage der Zeitschrift 'Literaturnaja Gaseta‘ viel lieber nach Kaliningrad (Königsberg) als an die Wolga ziehen, aber ein Rechtsanspruch, und um den geht es letztlich, besteht nur für das Wolgagebiet. Auch nach der Aussiedelung und den Deportationen der Deutschen 1941 wurde die Wolgarepublik nie offiziell aufgelöst.

Hugo Wormsbächer, Chefredakteur der in Moskau erscheinenden deutschsprachigen Zeitschrift 'Neues Leben‘, der selber eher für ein selbständiges Territorium um Kaliningrad streitet, weiß sehr gut, daß eine negative Entscheidung der Nationalitätenkammer grundsätzlich ist.

„Für Kaliningrad spricht viel“, sagt Wormsbächer, „aber den Polen wird nicht zuzumuten sein, daß sie westlich und östlich von Deutschen eingeklemmt sind.“ Die Entwicklung in der DDR und die aufflammenden Nationalitätenkonflikte in Litauen „machen eine autonome Republik an der Ostsee genauso unrealistisch wie ein selbständiges Territorium in Alaska“.

Der Schlußstrich unter die territoriale Diskussion wird auch für die Bundesrepublik Folgen haben. Der Aussiedlerstrom wird wieder heftiger werden. In Kasachstan oder Sibirien, überall lassen sich jetzt die Kinder und Kindeskinder der Sowjetdeutschen „umschreiben“. Sie beantragen, daß die „Volkslisten“, die die Nachkommen als „Russen“ bezeichnen, geändert werden, um den Weg gen Westen antreten zu können. „Dann sind das nicht zwei mehr Millionen potentielle Aussiedler, sondern fünf Millionen“, prophezeit Hugo Wormsbächer. Die als „Rückzugsgefecht“ laufende Debatte um „Kulturautonomie“, quasi ein Ersatz für die territoriale Autonomie, ist „zwar gut gemeint und wichtig“, aber ob sie Erfolg haben wird, ist langfristig sehr zu bezweifeln. „Die nationale Minderheit Sowjetdeutsche wird es bald nicht mehr geben.“