„...da müssen noch viele alte Betonköpfe weg“

Welche Zukunft haben Rundfunk und Fernsehen der DDR? / Planspiele: Das DDR-Fernsehen könnte eine zusätzliche ARD-Anstalt oder ein dritter öffentlicher Sender neben ARD und ZDF werden oder auch selbständig bleiben / SPD will unabhängige Landesrundfunkanstalten  ■  Von Ute Thon

Hat die DDR überhaupt noch eine selbstbestimmte Medienzukunft? Fast wagt man die Frage gar nicht mehr zu stellen, wo doch der ehemalige SED-Staat nur noch als Konkursmasse behandelt wird. Westliche Verlage drängen mit Macht auf den einst verschlossenen Medienmarkt, um dort rechtzeitig ihre Claims abzustecken. Bundesdeutsche Hörfunk und Fernsehmacher halten sich bislang noch zurück, aber nicht etwa, weil sie die zukünftige DDR-Medienlandschaft nicht interessierte, sondern weil Rechtsunsicherheiten sie am konkreten Handeln bisher hinderten und kompetente Gesprächspartner fehlen. Denn wer heute mit einem DDR -Fernsehintendanten über Kooperationen verhandelt, kann sich nicht sicher sein, ob dieser Mensch auch morgen noch das Amt bekleidet.

Einen neuen Postminister, der für die Vergabe von Rundfunkfrequenzen zuständig wäre, hat die DDR-Volkskammer noch nicht benannt. So tun westliche Medienstrategen das, was ihren östlichen Kollegen offensichtlich noch schwerfällt: Sie entwerfen Szenarien für eine gemeinsame deutsch-deutsche Zukunft:

Da ist von der Auflösung des DDR-Fernsehens zugunsten von Regionalstudios die Rede. Sie sollen in Ländern gebildet werden, die es bis heute rechtlich noch gar nicht gibt. Freiwerdende Frequenzen werden zur Disposition gestellt. Der Deutsche Fernsehfunk (DFF), wie sich das DDR-Fernsehen jetzt wieder nennt, könnte eine zusätzliche ARD-Anstalt werden. Die Interessenvertreter der privaten Rundfunkanbieter wünschen sich eine schnellstmögliche Einführung des dualen Rundfunksystem, das den Privaten alle im DDR-Gebiet noch freien Frequenzen zur Verfügung stellt. „Medienpolitik nach Gutsherrnart“ nennt das der ARD-Vorsitzende Kelm nicht ohne eigene Hintergedanken.

Nach Meinung von Prof. Heinz Odermann, Medienwissenschaftler an der Potsdamer Hochschule für Rechts - und Politikwissenschaft, wäre es eine der dringendsten Aufgaben der neuen Volkskammer, eine Grundsatzentscheidung über die Installierung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu fällen. Odermann, der in den 70er Jahren aus der SED ausgeschlossen wurde, sitzt als Vertreter des Neuen Forums im Medienkontrollrat - jenem Gremium, das noch auf Beschluß des Runden Tisches eingerichtet wurde, um bis zur Verabschiedung eines endgültigen Mediengesetzes über die Informations-, Meinungs- und Medienfreiheit der DDR-Bürger zu wachen. Es sei ein unerträglicher Zustand, sagt Odermann, daß der Staat immer noch führende Positionen im Medienbereich eigenmächtig besetzen könne. Bislang hat nämlich der Ministerrat das Recht, die Generalintendanten für Hörfunk und Fernsehen sowie den Generaldirektor der staatlichen Nachrichtenagentur 'adn‘ zu ernennen.

Neue Gremien

ohne Legitimation

Zwar hat die Wende auch vor dem DDR-Fernsehen nicht haltgemacht. Der alte Fernsehchef Heinz Adameck wurde abgelöst durch Hans Benzien, der als einstiger Kulturminister in den 60er Jahren in Ungnade gefallen war und jetzt an der Errichtung einer staatsfernen, öffentlich -rechtlichen Anstalt arbeitet. Im Sender hat sich mittlerweile ein Personalrat gebildet, Rundfunkstatuten sind in Arbeit, und bereits die Übergangsregierung Modrow berief einen Fernsehrat, der die Arbeit des Intendanten überwacht. Doch bislang fehlt sowohl dem Intendanten als auch den neugewählten Gremien die gesetzliche Legitimation. Darum plädiert Prof. Odermann so eindringlich für die Verabschiedung von Rechtsgrundsätzen, denn ohne öffentliches Recht kann es auch keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben.

Erst in einem zweiten Schritt sollte dann ein duales System, also ein Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen Anstalten und privaten Rundfunkanbietern eingerichtet werden. In einer gesamtdeutschen Medienlandschaft wünscht sich Odermann den DFF als dritten öffentlich-rechtlichen Sender neben ARD und ZDF, wobei ihm sowohl die Vorstellung verschiedener DDR-Landesrundfunkanstalten nach ARD-Vorbild plausibel erscheint als auch die „ZDF-Variante“ eines großen nationalen Senders. Das zweite DDR-Fernsehprogramm stünde bei solchen Überlegungen dann zur Disposition. Zur Finanzierung glaubt er an das bewährte Modell aus Gebühren und Werbeeinnahmen.

Wolfgang Kleinwächter, Leiter des Instituts für Internationale Studien in Leipzig, schwebt eine Erweiterung dieses Finanzierungsmodells vor. Schließlich leiste sich jede Stadt eine subventionierte Oper und ein Theater, warum also nicht auch subventioniertes Kulturfernsehen zum Beispiel in Form lokaler, nichtkommerzieller Sender mit Bürgerbeteiligung. Kleinwächter sitzt in der Mediengesetzgebungskommission, die ein Mediengesetz für die DDR entwickeln soll. Er glaubt, daß in Mitteleuropa, wo Deutsch die meistgesprochene Sprache ist, noch Platz für viele Fernsehsender besteht. Zwei öffentlich-rechtliche DDR -Fernsehsender hätten auch deshalb ihre Berechtigung, weil die DDR-spezifische Identität nur von einem DDR-Fernsehen wiedergespiegelt werden könnte. Für ihn ist das bundesdeutsche Rundfunksystem noch nicht der Weisheit letzter Schluß. Eine eigenständige Entwicklung in der DDR könne insofern auch entscheidende Impulse für die gesamtdeutsche Medienzukunft setzen.

SPD will föderales System

Die SPD hat die Aufgaben des zukünftigen öffentlich -rechtlichen Rundfunks in der DDR in einem Positionspapier so definiert: „Der Programmauftrag steht im Dienst der Allgemeinheit und hat den Prozeß der freien Meinungsbildung, die Verbreitung von Kunst und Kultur und die Unterhaltung zum Ziel.“ Zur Erreichung der Medienfreiheit schwebt der SPD ein föderales Rundfunksystem mit unabhängigen Landesrundfunkanstalten vor, die sich auf der Grundlage eines Staatsvertrages zu einer ostdeutschen öffentlich -rechtlichen Anstalt zusammenschließen. Dabei wird eine Zusammenarbeit mit den bundesdeutschen Rundfunkanstalten angestrebt. Neben der Erfüllung des speziell ostdeutschen Kulturauftrages sollen auch „länderübergreifende Programme von Berlin aus als künftiger Hauptstadt Deutschlands und europäischer Kulturmetropole ausgestrahlt werden“. Im später vereinigten Deutschland möchte die SPD einen föderativen Rundfunk nach bundesdeutschem Vorbild einrichten, der auf der Kulturhoheit der Länder beruht.

Wichtigstes Nahziel für den Deutschen Fernsehfunk sei es, eine solide finanzielle Basis zu schaffen, erläutert Manfred Becker, Kommunikationswissenschaftler an der Akademie der Wissenschaften, überzeugter Christ und medienpolitischer Sprecher der SPD: „Bisher war es ja so, das das DDR -Fernsehen von den Geschenken des Staates gelebt hat. Es gab nicht mal einen eigenen Haushalt.“ Das zukünftige Fernsehen solle sich weitgehend aus Gebühreneinnahmen finanzieren und zusätzlich durch Werbeeinnahmen und den Erlös verkaufter Produktionen. Becker räumt jedoch ein, daß das Gebührenaufkommen bei etwa sieben Millionen angemeldeten Fernsehhaushalten in der DDR beim jetzigen Gebührensatz von zehn Mark im Monat nicht ausreicht, um fünf oder sechs Landesrundfunkanstalten zu finanzieren. Gedacht sei daher nur an zwei oder drei, „eine Landesrundfunkanstalt im Norden und eine für den Süden“.

Entgegen der bundesdeutschen Gesetzgebung möchte die SPD die Gebührenhoheit nicht bei den Bundesländern, sondern bei den Sendern ansiedeln. So könnten die Rundfunkanstalten selbständig notwendige Gebührenanhebungen beschließen, natürlich im Rahmen der gesetzlichen Regelungen.

Angesprochen auf Umstrukturierungen beim DDR-Fernsehen und auf mögliche Entlassungen im aufgeblähten Rundfunksystem der DDR, wird der SPD-Sprecher heftig. Der Rundfunk müsse gesäubert werden. Bislang hätten viele verläßliche Stützen des alten stalinistischen System nach dem „Karussellprinzip“ ihre Posten bei Hörfunk und Fernsehen einfach nur getauscht und säßen weiter in verantwortlichen Positionen. Es sei schwer, über den Umbau des DDR-Rundfunks zu reden, weil er ein parteieigenes Instrument gewesen sei, zu dem nur diejenigen Zugang gehabt hätten, die parteikonform gewesen seien. „Aber die Glaubwürdigkeit der neuen demokratischen Gesellschaft wird im wesentlichen davon abhängen, ob wir im Medienbereich Entschlossenheit beweisen.“

Einer, der den Apparat sehr gut von innen kennt, ist Henning Stoerk, der 26 Jahre beim DDR-Fernsehen angestellt war, zuletzt in der Import-Export-Abteilung, die für den An und Verkauf von Fernsehproduktionen zuständig war. Jetzt ist er medienpolitischer Sprecher der CDU, Mitglied im Medienkontrollrat und vielleicht schon bald neuer Generalintendant des DDR-Fernsehens und des Hörfunks. So wünscht es sich jedenfalls seine Partei, und auch Henning Stoerk hat sich mit diesem Gedanken angefreundet.

CDU-Kandidat will Fernsehen umkrempeln

Wie die Medienlandschaft in Zukunft aussieht, hängt seiner Meinung nach ganz stark von einer scharfkalkulierten Kosten -Nutzen-Rechnung ab. Im Januar, damals war er noch beim Deutschen Fernsehfunk angestellt, hatte er im unternehmerischen Übereifer gleich eine eigene TV -Produktionsfirma gegründet, die „Media Nova“. Das Kapital sollte in Anlehnung an die im damaligen Ministerrat verabschiedeten Beschlüsse über Joint-ventures zu 51 Prozent in DDR-Besitz sein und zu 49 Prozent aus der BRD stammen. Obendrein wollte sich die „Media Nova“ auch gleich die Rechte für eine spätere Verkabelung der DDR sichern.

Der mit soviel unternehmerischem Geist ausgestattete CDU -Medienpolitiker gab seine Pläne jedoch schnell wieder auf: „Das Wahlergebnis war das Ende meiner Firma.“ Denn nun wurde er von der Parteispitze in die Pflicht genommen. Der Rundfunk müsse so schnell wie möglich umgekrempelt werden, in eine, wen wundert's noch, „vernünftige öffentlich -rechtliche Anstalt“. Die Modrow-Regierung hätte es bei dem Auswechseln der Intendanten belassen, doch da „müssen noch viele alte Betonköpfe weg“.

Mit dem derzeitigen DFF-Generalintendanten Benzien ficht der forsche Stoerk verbale Schlachten vor dem Medienkontrollrat und in der hausinternen DFF -Mitarbeiterzeitung aus. Der CDUler wirft dem Fernsehmann vor, eigenmächtige Entscheidungen zu treffen. Der Vertragsabschluß mit der französischen Werbeagentur IP, die dadurch die Werbezeiten des Fernsehfunks exklusiv vermitteln kann, hätte den DFF in eine unerträgliche Abhängigkeit zu den Privaten gebracht und sei eine Hypothek für seinen Nachfolger. IP ist eine Tochtergesellschaft von RTLplus. Der Medienkontrollrat billigte jedoch Benziens Entscheidung, auch wenn er dem Generalintendanten selbst bislang noch nicht im Amt bestätigte. Umgekehrt unterstellt Benzien dem CDU-Mann mit Hinweis auf dessen Firmengründung und wegen seiner Intendantenanwartschaft verschärftes Privatinteresse.

Dabei unterscheiden sich die Überlegungen des CDU -Politikers gar nicht so weit von denen der Vertreter anderer Parteien. Auch er möchte ein unabhängiges DDR -Fernsehen erhalten beziehungsweise installieren. Aus pragmatischen Gesichtspunkten setzt er sich für die Beibehaltung einer großen Berliner Sendezentrale ein, die nach und nach Landesstudios einrichtet, damit dem Wunsch der DDR-Bürger nach regionaler Berichterstattung Rechnung getragen wird. Vorübergehend möchte Stoerk sogar Hörfunk und Fernsehen unter (s)eine Verwaltungshoheit bringen, um finanzielle und technische Ressourcen besser verteilen zu können. Das medienpolitische Zwitterwesen, ein zentralverwalteter Rundfunk mit einem Intendanten, der aber den Landesanstalten Unabhängigkeit einräumt, erinnert an die ARD-Strukturen, jedoch räumt Stoerk den Länderanstalten kein eigenständiges „drittes Programm“ ein, sondern spricht nur von regionalen Fenstern in einem nationalen Programm.

Das 2. Fernsehprogramm würde Stoerk gern zu einem europäischen Kulturkanal machen, an dem sich auch andere Anstalten beteiligen könnten. Dieser solle aber unbedingt in Berlin angesiedelt werden. Da dem Steuerzahler keine vierte öffentlich-rechtliche Anstalt zuzumuten sei, kämen hier auch private Beteiligungen in Betracht.

Als Aufsichtsgremium schwebt auch der CDU ein aus allen gesellschaftlichen Gruppen zusammengesetzter Rundfunkrat vor. Intendant will Stoerk im übrigen nur dann werden, wenn seine Nominierung auf breiteste Zustimmung, gerade auch innerhalb der DFF-Belegschaft, stößt. Vorsorglich ist er jedoch schon mal von seinem Amt als Medienkontrollratsmitglied zurückgetreten. Denn der Rat müßte in der jetzigen Situation einer Intendantennominierung durch den Ministerrat zustimmen. Und wenn die nein sagen? „Ja, dann muß ich schon wieder über meine Zukunft nachdenken!“