Umbau der DDR-Wirtschaft: Wer soll das bezahlen?

Wenn die Bundesregierung den Eindruck erweckt, bloße Umschichtungen im Bundeshaushalt und ein wenig Kreditaufnahme würden ausreichen, vernebelt sie den wahren Finanzbedarf / Zwangsanleihen und Ergänzungsabgaben werden nötig sein / Der Länderfinanzausgleich wäre ein ungeeignetes Instrument  ■  Von Rudolf Hickel

Typischerweise verzichten die Politiker und ein Großteil der Wirtschaftswissenschaftler, die vom Primat der Währungsunion ausgehen, auf eine solide Diskussion der wichtigen Finanzierungsfragen. Da dominiert eine Zahlengigantonomie, die eine rationale finanzpolitische Diskussion eher erschlägt. Die Hinweise der Art, die Sanierung der DDR -Wirtschaft würde zwischen 800 Milliarden DM und 1,2 Billionen DM verschlingen, sind weder seriös begründet, noch werden damit Anhaltspunkte über das Ausmaß der Anstoßfinanzierung und den zeitlichen Prozeß der Sanierung deutlich. Gegenüber dieser Zahlengigantonomie läßt sich spiegelbildlich eine Verharmlosung des Finanzierungsbedarfs und damit seiner Aufbringung beobachten. Im Klartext heißt das, daß Erhöhungen öffentlicher Abgaben zur Finanzierung eines Sofortprogramms DDR nicht erforderlich seien. Dieses derzeit verwirrende Durcheinander in der Diskussion über die Kosten, deren Finanzierung sowie den künftigen gesamtwirtschaftlichen Nutzen dieser Sanierung hat zur Verunsicherung, die finanzpolitisches Handeln immer mehr zu belasten droht, geführt.

Wenn heute die Kapitalmarktzinsen wegen sich verstärkender Inflationserwartungen steigen, dann drückt sich hierin auch die Unsicherheit über die Auswirkungen des Experiments DDR -Sanierung auf die Kapitalmärkte und Geldwertentwicklung in der Bundesrepublik aus. Wegen dieser belastenden Wirkungen innerhalb der Bundesrepublik, aber auch unter dem Ziel, für die DDR-Bevölkerung kalkulierbare Verhältnisse zu schaffen, müssen unverzüglich die Sanierungsfelder sowie die dazu erforderlichen Finanzmittel samt ihrer Aufbringung im Rahmen eines DDR-Sofortprogramms verbindlich ausgewiesen werden. Da eine zeitlich begrenzte Erhöhung der öffentlichen Abgaben unvermeidlich ist, müssen Kriterien der Lastverteilung politisch diskutiert und festgelegt werden. Anhaltspunkte über den Sanierungsbedarf der DDR-Wirtschaft ergeben sich aus der Vermessung des ökonomischen, sozialen und ökologischen Entwicklungsgefälles bzw. den bisher starken Entwicklungsdefiziten der DDR-Wirtschaft.

Zentrale Voraussetzung für die Entfaltung einer sozial und ökologisch verträglichen Wirtschaftsentwicklung ist der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Wegen starker Defizite innerhalb der bisherigen DDR-Wirtschaftsstruktur ist ein Startprogramm für Klein- und Mittelbetriebe (insbesondere Handwerk und Dienstleistungen) erforderlich. Hierzu weist das bereits beschlossene Kreditfinanzierungsprogramm aus ERP-Mitteln (European Recovery Programm, „Marshall-Plan“, d. Red.) in die richtige Richtung. Zu einem Zinssatz, der mit derzeit 6,5 Prozent unter dem Marktsatz liegt, können Kredite im Gesamtumfang von sechs Milliarden DM angefordert werden. Bei dieser Finanzierungsform wird der Bundeshaushalt lediglich mit der Differenz zwischen dem Marktzinssatz und dem Kreditvergabezinssatz belastet.

Im Zentrum des Umbaus der Unternehmen, bisher großteils in Kombinaten zusammengeschlossen, steht ein Sofortprogramm zur Steigerung der Produktivität und der ökologischen Anpassung, das sich in einer Anlaufphase aus der eigenen Kraft der DDR-Wirtschaft nicht finanzieren läßt. Der Großteil der künftigen Finanzierung wird jedoch nicht über die öffentlichen Haushalte, sondern über einen Kapitaltransfer durch die im Wirtschaftsraum der DDR beteiligten Unternehmen aus der Bundesrepublik und dem Ausland abgewickelt. Wo sich derartige Finanzierungsquellen auch im Rahmen von Gemeinschaftsunternehmen (Joint-ventures) nicht bieten, sind öffentliche Investitionsfördermaßnahmen (etwa aus dem ERP-Programm zinsverbilligte Kredite) zu sichern.

Durch die Einführung der D-Mark - etwa bei einer Umstellung der Geld- und Produktivvermögen, der laufenden Einkommen sowie der Gewinn- und Verlustrechnungen von 1:1 - wird das starke Produktivitäts- und das damit verbundene Lohngefälle, das die Gefahr weiterer Übersiedlung erhöht, reagiert wird. Dabei sind die Pläne, dieses Lohngefälle durch bundesrepublikanische Finanzleistungen auszugleichen jährlicher Aufwand von ca. 140 Milliarden DM bei einem Umrechnungskurs von 1:1, ökonomisch nicht sinnvoll und finanzpolitisch nicht aufbringbar. Beim Vorschlag der Bundesbank, zu einer 2:1-Konversion wäre das Gefälle und der Finanzbedarf entsprechend noch größer. Finanzhilfen sollten nur gezielt in Form von Lohnkostenzuschüssen für kleinere und mittlere Betriebe in einer Übergangsphase gezahlt werden.

Um beim mittelfristig unvermeidbaren Abbau diese Preissubventionen soziale Härten zu vermeiden, sind wiederum für eine Übergangsphase personenbezogene Ausgleichszahlen etwa Wohngeld - erforderlich.

Zonenrand- und Berlinförderung weg?

Alle Schätzungen zur Entwicklung der Sozialeinkommensbezüge im Wirtschaftsgebiet der DDR infolge der Schaffung einer Währungsvereinigung gehen davon aus, daß in einer längeren Anpassungsphase ausgleichende Einkommenstransfers öffentlich aufgebracht werden müssen. Werden etwa die durchschnittlichen Rentenbezüge der DDR auf die Hälfte des Niveaus in der Bundesrepublik mit derzeit ca. 1.100 DM (45 Versicherungsjahre) angehoben, dann entsteht ein jährlicher Zuschußbedarf von ca. fünf Milliarden DM. Der Zuschußbedarf zur Arbeitslosenversicherung, die schnellstens aufzubauen ist, hängt entscheidend von den Prognosen zum Ausmaß der Arbeitslosigkeit in der Phase der Sanierung der DDR -Wirtschaft ab. Die prognostizierten Zahlen weisen im ungünstigsten Fall auf bis zu 2,5 Millionen Arbeitslose hin. Bei einer Million Arbeitslose im Jahresdurchschnitt sowie einer Hilfe pro Betroffenem von 500 DM im Monat ergibt sich ein jährlicher Finanzierungsbedarf von sechs Milliarden DM.

Zum überwiegenden Teil lassen sich diese Sanierungskosten als Ausgaben für Investitionen in die Zukunft betrachten. Wenn mit diesen öffentlichen und privaten Investitionen eine sozial und ökologisch verträgliche Wirtschaftsentwicklung auf den Weg gebracht wird und damit sich die Lebensverhältnisse nachhaltig verbessern, dann schrumpfen die Finanzaufwendungen und sie können schließlich - soweit dafür Anleihen aufgenommen wurden - zurückbezahlt werden.

Im Rahmen der Finanzierung von Maßnahmen zum ökologischen Um- und Ausbau der DDR ist darauf hinzuweisen, daß damit künftige Kosten bzw. irreparable Schäden einer unterlassenen Umweltpolitik vermieden werden, sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik.

Länderfinanzausgleich ungeeignet

Bei der Bewertung der öffentlichen Finanzhilfen aus dem Bundeshaushalt sind weiterhin die Nettoeffekte zu berücksichtigen. Die bisherigen Kosten der deutsch-deutschen Teilung, die im Prinzip künftig wegfallen, müssen gegengerechnet werden. Bei den circa 40 Milliarden DM, die der Bundesfinanzminister im Januar 1990 genannt hat, sind neben der „Zonenrandförderung“ mit drei Milliarden DM unter anderem auch die Berlinförderung und -hilfe mit 20 Milliarden DM sowie die Leistungen für Übersiedler.

Was in der öffentlichen Debatte über die Finanzierung des Umbaus der DDR-Wirtschaft oft übersehen wird, ist die Tatsache, daß ein großer Teil nicht über die öffentlichen Haushalte abgewickelt wird. Gemeint sind die unternehmensbezogenen Sanierungsaktivitäten, die im Rahmen von Direktinvestitionen aus der Bundesrepublik sowie dem Ausland unmittelbar aufgebracht werden.

Forderungen nach einer Finanzierung der DDR -Sanierungskosten durch den Verzicht auf einen Teil der Tariflohnsatzerhöhung sind grundsätzlich abzulehnen. Die Aufbringung dieser „Solidarleistungen“ darf nicht über entsprechende Tarifabschlüsse auf die Gruppe der Arbeitnehmer einseitig abgewälzt werden.

Wegen des dramatisch starken Gefälles der wirtschaftlichen Entwicklung und der völligen Andersartigkeit der sich stellenden Umstrukturierungsaufgaben läßt sich die Sanierung der DDR-Wirtschaft in einer langen Anpassungsphase nicht im Rahmen des bisherigen Auftrags des Grundgesetzes zum regionalen Ausgleich der Wirtschaftskraft und der Finanzausstattung innerhalb der Bundesrepublik anwenden. Der bisherige Länderfinanzausgleich mit einem Volumen von 3,4 Milliarden DM (1988), der die Steuerkraft (Steuern je Einwohner) eines Landes im Prinzip an den Bundesdurchschnitt angleicht, und die Sonderstellung der Stadtstaaten Hamburg und Bremen gegenüber den Flächenländern über die Einwohnerwertung (1,35 Prozent) zumindest ansatzweise berücksichtigt, würde völlig gesprengt, wenn etwa die fünf DDR-Länder (Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Mecklenburg) einbezogen würden. Modellrechnungen zeigen, daß circa zehn bis zwanzig Milliarden DM an Ausgleichsmittel dann in die DDR-Länder fließen würden, während bisherige steuerschwache Nehmerländer - einschließlich der notleidenden Stadtstaaten - starke Geberländer würden. Die Sanierung der DDR erfordert vielmehr ein eigenständiges Finanzierungsmodell bei Beibehaltung der bisherigen Systeme zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschafts- und Steuerkraft für den Wirtschaftsraum der BRD.

Zur Sanierung des Wirtschaftssystems auf dem Gebiet der DDR muß ein Sofortprogramm '90 verwirklicht werden. Es umfaßt eine öffentliche Anstoßfinanzierung von insgesamt 50 Milliarden DM, die sich aus den dargestellten Feldern ergibt. Die Aufbringung dieser 50 Milliarden DM zur Sanierung der DDR-Wirtschaft tangiert vorrangig die haushaltspolitischen Entscheidungen auf Bundesebene. An dieser Stelle wird nicht die Finanzierung, die sich im Rahmen von Direktinvestitionen bundesdeutschen und ausländischer Unternehmen unter Nutzung der nationalen und internationalen Kapitalmärkte vollzieht, spezifiziert. Folgende zweckgebundenen Instrumente lassen sich zur Finanzierung dieses Projekts DDR-Sanierung einsetzen:

Innerhalb des derzeitgen Bundeshaushaltes können durch Umschichtungen und Einsparungen Finanzmittel gewonnen werden. In dem Ausmaß, in dem die bereits angesprochenen bisherigen Kosten der deutsch-deutschen Teilung sinken, wachsen neue verwendbare Finanzen hinzu. Soweit zum Beispiel die Übersiedlung von Arbeitskräften zurückgeht, entstehen den öffentlichen Haushalten in der Bundesrepublik künftighin keine neuen Zusatzbelastungen in diesem Bereich.

Einen wesentlichen Posten zur Umschichtung im Bundeshaushalt bietet der Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14), der mit 54,4 Milliarden DM in 1990 das gesamte Ausmaß der Ausgaben für den militärischen Bereich unterzeichnet. Hier wird auch als Beitrag zu einer Abrüstungsinitiative eine durchaus realisierbare Kürzung um zehn Milliarden DM vorgeschlagen.

Zwangszeichnen

Um auch im Bereich der öffentlichen Mittelaufbringung dem Charakter der Vor-Finanzierung Rechnung zu tragen, wird die Auflage einer langfristigen DM-Anleihe, die von In- und Ausländern nach Renditegesichtspunkten (freiwillig) gekauft werden kann, vorgeschlagen. Diese Anleihe ist beispielsweise mit einem Volumen von zehn Milliarden DM aufzulegen. Die jährlichen Zinszahlungen (bei acht bis neun Prozent pro Jahr 0,8 Milliarden DM und 0,9 Milliarden DM) sowie die Kurspflege übernimmt in der Anfangsphase der Bundeshaushalt. Die offizielle Tilgung sollte jedoch erst nach zehn Jahren einsetzen.

Vorgeschlagen wird über die Plazierung dieser freiwillig erwerbbaren Anleihe hinaus eine Vermögensanleihe mit Zeichnungspflicht („Zwangsanleihe“). Soweit das steuerpflichtige Vermögen eine Freigrenze (etwa 100.000 DM) übersteigt, setzt eine Zeichnungspflicht ein. Der auf den Zeichnungspflichtigen entfallende Zeichnungsbetrag wächst mit der Höhe des Vermögens jenseits der Freigrenze. Im Rahmen der gesetzlichen Regelung ist die Modalität der Rücknahme dieser Vermögensanleihe verbindlich festzulegen. So könnte etwa, auf mehrere Jahre verteilt, eine stufenweise Rücknahme fünf Jahre nach der Zeichnung dieser Vermögensanleihe vorgesehen werden. Auch für die Zinszahlungen wäre eine zeitliche Staffelung vorstellbar. In den ersten beiden Jahren würden beispielsweise keine Zinsen bezahlt. Für die Restlaufzeit könnte eine jahresdurchschnittliche Verzinsung mit fünf Prozent bzw. deren Koppelung an die Kapitalmarktzinsen vorgenommen werden. Dem Zeichnungspflichtigen würden in den ersten beiden Jahren Belastungen im Ausmaß des erzwungenen Verzichts auf Kapitaleinkommen entstehen. Die Zinszahlungen in den Folgejahren müßte der Staat übernehmen. Vergleichbar dieser Zwangsanleihe ist die Erhebung der Konjunkturausgleichsrücklage von 1970 bis 72, die wieder zurückbezahlt wurde.

Schließlich sah das „Gesetz zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushaltes“ 1983 eine später rückzahlbare „Investitionshilfeabgabe“ von fünf Prozent auf die Einkommen - und Körperschaftssteuerschuld vor. Die hier vorgeschlagene Vermögensanleihe böte die Möglichkeit, bei besitz- und damit einkommensstarken Wirtschaftseinheiten Finanzmittel zeitlich beschränkt abzuschöpfen, um damit das Sanierungsprogramm für die DDR-Wirtschaft zu finanzieren.

Keine Mehrwertsteuererhöhung!

Vorgeschlagen wird weiterhin eine zeitlich beschränkte, jedoch nicht rückzahlbare (etwa auf fünf Jahre) Ergänzungsabgabe in Höhe von sechs Prozent auf die Einkommenssteuerschuld ab einem zu versteuernden Einkommen von 60.000/120.000 DM (alleinstehend/verheiratet). Mit diesem Finanzierungsinstrument ließ sich die im Bereich hoher Einkommen starke Entlastung durch die drei Stufen der Einkommenssteuersenkung von 1986/1988/1990 korrigieren.

Der Vorschlag einer Ergänzungsabgabe richtet sich gegen die Forderung nach einer Erhöhung der Mehrwertsteuer. Denn die Erhöhung der Mehrwertsteuer um etwa ein bzw. zwei Prozent (Aufkommen ca. 16 Milliarden DM) würde derzeit in der ohnehin konjunkturell angespannten Konstellation die Geldentwertung beschleunigen und damit auch Rückwirkungen auf die Tarifverhaldungen sowie Zinsentwicklung auslösen. Auch würde der aus der Mehrwertsteuererhöhung finanzierte „Solidarbeitrag“ die Bezieher unterer Lohneinkommen und Sozialeinkommen überproportional belasten.

Die Sanierung der DDR-Wirtschaft läßt sich ohne eine Ausweitung öffentlicher Abgaben nicht bewerkstelligen. Angesichts dieser zeitlich befristeten Abgabenausweitung zur Finanzierung des Sofortprogramms für die DDR muß auf eine erneute Stufe der Senkung der Unternehmenssteuern, für die ein Volumen von ca. 30 Milliarden DM diskutiert wird, verzichtet werden.

Die derzeit konjunkturell beschränkten Möglichkeiten der öffentlichen Kreditfinanzierung sollten gleichsam als „eiserne“ Reserve genutzt werden. Weiterhin ist eine Zweckbindung der Bundesbankgewinne im Rahmen einer stabilen Finanzierung des Sofortprogramms DDR nicht sinnvoll, da ihre jährliche Höhe vom Bilanzabschluß der Deutschen Bundesbank abhängt und daher nicht kalkulierbar ist.

Rudolf Hickel ist Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik („Memorandum“)