Die wacklige Koalition der Vernunft

Das Weiße Haus solle nicht den „rechtsgerichteten Kräften“ in den USA nachgeben, die nur ein Auseinanderbrechen der Sowjetunion als Ziel hätten, so warnte der sowjetische Kommentator Tomas Kolesnichenko in der 'Prawda‘ und gratulierte US-Präsident George Bush gleichzeitig für seine politische „Zurückhaltung“ in Sachen Litauen. Wie lange sich jedoch George Bush angesichts der Embargo-Drohung Gorbatschows gegenüber Litauen auch weiter jene Zurückhaltung leisten kann, ist noch die Frage.

Spätestens seit Gorbatschows 48-Stunden-Ultimatum ist die Bush-Administration dabei, Optionen für Gegenmaßnahmen gegen „diese Eskalation der Situation in Litauen“ vorzubereiten. Das von Bush ins Leben gerufene Team zum Krisenmanagement ist seit Freitag fieberhaft mit der Ausarbeitung gemäßigter Gegenschläge beschäftigt, die zwar eine härtere Reaktion der USA symbolisieren, die Sowjets aber gleichzeitig nicht allzusehr vor den Kopf stoßen würden. Die Abrüstungsverhandlungen und der geplante Gipfel mit Gorbatschow Ende Mai sollen, wenn es sich irgendwie vermeiden läßt, nicht geopfert werden.

Bush, der in den letzten Monaten all seine außenpolitischen Karten auf das Überleben Gorbatschows gesetzt hat, hat in der Litauen-Krise einiges zu verlieren. Denn für die Hardliner in Washington wäre es die Erfüllung ihrer kühnsten Träume - und willkommener Anlaß für eine Revidierung der Entspannungspolitik gegenüber dem Reich des Nicht-mehr-allzu -Bösen -, würde Gorbatschow die Armee gen Vilnius schicken. Bei einem Scheitern von Bushs pragmatischer Außenpolitik könnte sich die Öffentlichkeit überdies daran erinnern, daß er an der innenpolitischen Front bisher noch nichts geleistet hat.

Doch noch scheint in Washington der überparteiliche Konsens über die Nichtanerkennung Litauens zu halten. Noch wird die Forderung nach einer Anerkennung des Musiklehrers in Vilnius als Präsident einer autonomen Baltenrepublik nur von einzelnen Stimmen wie dem 'Wall Street Journal‘ und der 'Heritage Foundation‘, aber auch von einer Handvoll liberaler Kritiker vertreten. Noch üben sich auch die kritischen Stimmen im Kongreß nur in Rhetorik, wenn sie gegenüber der Sowjetunion eine „härtere Gangart“ fordern. So sprach sich der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Mitchell, für einen möglichen Abbruch der Gespräche über verbesserte Handelsbeziehungen aus, ohne jedoch auf eine Anerkennung der Regierung in Vilnius zu drängen. Und Republikaner Dole ließ ziemlich offen, was er mit einer möglichen US-Hilfe für ein von der Gas- und Ölversorgung abgeschnittenes Litauen denn eigentlich meint.

Der Einfluß der aus dem Baltikum stammmenden US-Bürger ist recht beschränkt. So machte es Bush in der vergangenen Woche keine Schwierigkeiten, den Wunsch einer Delegation von Exil -Balten nach Anerkennung mit freundlicher Bestimmtheit abzulehnen. Solange es sich nicht um sorgfältig als Buhmänner aufgebaute Führer widerborstiger Bananenrepubliken wie Castro, Gaddafi oder Noriega handelt, war die US -Außenpolitik schon immer pragmatisch. Es bedarf jedoch nur weniger blutiger Szenen aus Vilnius in den Abendnachrichten der „networks“, und die wacklige „Koalition der Vernunft“ wäre rasch wieder durch den besserwisserischen Chor der Hardliner abgelöst.

Rolf Paasch, Washington