Michael & Me

■ Ein kontroverses Interview mit dem Regisseur von „Roger & Me“

Film Comment‘, die Zeitschrift der Film Society des Lincoln Center, hat seit Anfang des Jahres einen neuen Herausgeber. Harlan Jacobson, der die Zeitschrift acht Jahre lang redigierte, wurde fristlos gekündigt, angeblich weil die Auflage des Blattes gesunken sei und der Vorstand der Film Society mit Jacobsons Linie nicht einverstanden war. Doch die Kündigung Jacobsons folgte unmittelbar auf einen provokativen Artikel Jacobsons in der Novemberausgabe von 'Film Comment‘, in dem er Michael Moores Film in einigen Punkten scharf kritisierte und ihm allzu lockeren Umgang mit der Chronologie der Ereignisse vorwarf. „Roger & Me“ war aber der Renner des New York Film Festivals, das von der Film Society gesponsert wurde. Wir dokumentieren hier ein paar Auszüge aus dem Interview.

Harlan Jacobson: Der Film hinterläßt den Eindruck, (...) 30.000 Menschen hätten auf einen Streich ihre Arbeit verloren, mit unmittelbaren und massiven verheerenden Folgen, auf die die Stadtverwaltung mit Phantasieprojekten reagierte. Es wird nicht klar, daß diese Projekte, sei es seit 1970, sei es seit 1978, auf dem grünen Tisch bereits existierten, und vor allem findet die Tatsache keine Erwähnung, daß sie bereits vor den Produktionseinschränkungen, die das Gerüst Ihres Films bilden, eröffnet, gelaufen und wieder geschlossen worden waren.

Michael Moore: Stimmt. Zuerst mal behauptet der Film an keiner Stelle, daß diese Bekanntmachung (Roger Smith‘) Flint 30.000 Arbeitsplätze gekostet hätte. Der Film handelt im wesentlichen von Ereignissen, die dieser Stadt in den 80er Jahren widerfuhren. 1982 habe ich noch nicht gedreht. Was geschehen war, war geschehen. Wenn Sie mich fragen, ist ein Zeitraum von sieben Jahren unmittelbar genug und verheerend genug.

Sie mögen dem Sinn nach Recht haben, aber sie gehen sehr locker mit der Abfolge um - was der Zuschauer nicht nachvollziehen kann.

Das glaube ich nicht.

Warum nicht?

Ich glaube es einfach nicht. Ich glaube, es ist das Dokument des Untergangs einer Stadt in den 80er Jahren, und genauso war es.

Ich denke, daß sie recht haben. Und ich finde, der Film ist außerordentlich eindringlich und bringt die Dinge auf den Punkt.

Gut.

(...)

Ich finde nicht, daß Sie verärgert sein sollten, wenn ich Ihre Methode in Frage stelle - denn es geht um die Art und Weise, wie der Zuschauer die Fakten aufnimmt.

Okay, es stimmt, daß die Chronologie ein wenig springt. Deshalb gebe ich in dem Film keine Daten an. Ich wollte mich einfach nicht mit dem Problem herumschlagen, wie ich acht Jahre in die zweieinhalb Jahre zwänge, während derer wir gedreht haben.

Und deshalb gebe ich nicht an, „dieses wurde 1986 eröffnet, aber jenes geschah 1987“. Der Punkt ist der, daß gegen Ende der Carter-Administration Fabriken zu schließen begannen und Arbeitsplätze vernichtet wurden.

(...)

Und Sie sehen auch kein Problem darin, zu tun, als stamme 1982 aufgenommenes Material mit dem Reverend Schuller aus der Zeit nach 1986?

Ich habe nie getan, als stamme das aus der Zeit nach 1986. Das gehört in dieselbe Epoche; nachdem Tausende von Leuten entlassen worden waren, haben sie Reverend Schuller angekarrt. Sie legen da Maßstäbe an, die Sie bei einem anderen Film nicht anlegen, so als würde ich einen Aufsatz fürs College schreiben.

Nein, ich lege die Maßstäbe eines Dokumentarfilmes an.

Weil Sie vor allem eine Dokumentation darin sehen.

Es fällt in eine Kategorie, die ich jedenfalls nicht als Spielfilm bezeichnen würde.

Es ist auch kein Spielfilm. Sagen wir, ein erzählerischer Dokumentarfilm. Ich habe versucht, eine Dokumentation so anzugehen, wie sie normalerweise nicht angegangen wird. Der Grund, warum die Leute sich keine Dokumentarfilme ansehen, ist, daß sie sich ständig verrennen in dieses „1980 wurde also... dann wurden 82 5.000 wieder eingestellt... 84 wurden 10.000 entlassen...dann aber wurden 86 3.000 wieder eingestellt... Ende 86 jedoch wurden weitere 10.000 entlassen“. Wenn Sie die Geschichte Flints erzählen wollen: Hier haben Sie die Geschichte Flints.

„A leader on the Left meets a follower of the Left Behind . Michael Moore interviewed by Harlan Jacobson“, in: 'Film Comment‘, November/Dezember 1989