Währungsunion und der Zwang zur Lüge

Bei anstehenden Währungsreformen, -unionen und anderen Manipulationen sind Dementis mit besonderer Skepsis zu beurteilen / Ostmarkhandel vor dem Ende / Läuft die Notenpresse in Ost-Berlin jetzt heiß?  ■  Von Ulli Kulke

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht - nach dieser Volksweisheit verfahren derzeit alle, denen es Spaß macht, mit den Dementis der Bundesregierung in Sachen Währungsunion an einem der nächsten Wochenende. Die 'Bild'-Zeitung sagte gar genüßlich das „heftige Dementi“ aus Bonn einleitend zu ihrer Meldung „1:1 zum 1. Mai“ voraus, und druckte sie erst recht. Zumindest die Dementi-Prognose war ein Volltreffer. „Totaler Quatsch“, kommentierte prompt der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Karlheinz von den Driesch. Gespielt wird derzeit wieder einmal das Spielchen, das immer dann angepfiffen wird, wenn größere Bewegungen an der Währungsfront anstehen. Spekulationen, Dementis, Medienschelten - und dann ist der Währungsschnitt doch irgendwann über Nacht da. Die offiziellen Stellen sind zur Lüge gezwungen.

Es sprach weniges dafür, daß die Währungsunion, die Umstellung aller Ost-Mark-Barschaften und -verhältnisse in D -Mark, bereits zu Ostern vollzogen worden wäre, wie einige gewußt haben wollten. Eine elementare Bedingung war noch nicht erfüllt: Die gerade installierte Ostberliner Regierung hatte noch keinen Standpunkt zum entsprechenden Staatsvertragsentwurf der Bundesregierung ausarbeiten, geschweige denn ihn unterzeichnen können. So spricht nun schon etwas mehr dafür, daß die 'Bild'-Zeitung recht hat, und es für die Ost-Mark heißt: heraus zum 1. Mai. Bislang gehen freilich noch alle Kommentatoren davon aus, daß auch die Volkskammer der DDR den Vertrag ratifizieren müßte. Über eines sind sich die meisten Beobachter jedenfalls einig: daß der Vollzug der Währungsunion nicht erst zu dem Termin über die Bühne gehen wird, den die Bundesregierung nennt: 1.Juli.

Ein klassisches Beispiel der vergangenen Jahre: Im Blätterwald von 'Handelsblatt‘ über 'Financial Times‘ bis zum 'Wall Street Journal‘ fängt es an zu rauschen: Der französische Franc muß abgewertet werden gegenüber der D -Mark, weil das Verhältnis von Angebot und Nachfrage beider Währungen nicht mehr stimme. Entsprechend der stärkeren Warenströme aus der BRD nach Frankreich als umgekehrt tauschen immer mehr grenzüberschreitende Händler Franc in D -Mark um. Weil die beiden Zentralbanken im Rahmen des Europäischen Währungssystem (EWS) ein festes Kursverhältnis (mit zulässigen Bandbreiten) durch An- und Verkäufe garantieren müssen, zahlen sie natürlich drauf: Sie müssen den umgekehrten, unwirtschaftlichen Weg bestreiten: Die immer weniger gefragten Franc aufkaufen - gegen die immer gefragteren D-Mark.

Das schlimmste, was der Bundesbank und der Bank von Frankreich jetzt passieren konnte, war stets, daß alle Welt den Gerüchten um eine bevorstehende Umbewertung der Währungen (Realignement) glaubt. Sie müssen vehement dementieren. Ansonsten würden auch die letzten Spekulanten Franc gegen D-Mark verscherbeln, und dieselbe nach ihrer Aufwertung wieder verkaufen - mit einem satten Gewinn, denn die beiden Zentralbanken finanzierten: Sie sitzen nach dem Schnitt auf den dann abgewerteten Franc. Beendet werden konnte eine solche Spekulation auf einen Schnitt stets nur dadurch, daß man ihn tatsächlich vollzieht - trotz aller Dementis ohne Ankündigung, am verlängerten Wochenende. Erst dann ist die Luft raus - so geschehen in den achtziger Jahren und zwar mehrfach.

Manipulationen an Währungen, die in einem festen Kursverhältnis zueinander stehen, sind stets eine heikle Sache, die hinter verschlossenen Türen eingefädelt werden. Zwar ist die Betroffenheit der D-Mark und die Möglichkeit der Spekulation bei der Konvertierung der DDR-Mark eine andere, als beim D-Mark-Franc-Realignement. Dennoch könnten die letzten Tage vor dem Tag X gehörige Unruhe in den D-Mark -Kurs bringen: Die Spekulantenwelt hat sich dabei noch nicht entschieden in der Einschätzung der verschiedensten Parameter, die alle von der einen oder anderen Ecke am D -Mark-Kurs zerren: Kommt das Wirtschaftswunder in der DDR? Schießen die Zinsen in der Bundesrepublik aufgrund horrenden Kapitalbedarfs in die Höhe oder weicht gar die deutsche Währung auf, wenn die Legierung aus Krupp-Stahl-D-Mark und Ost-Alu-Chips in Umlauf gebracht wird?

Nach Lage der Dinge sind also die offiziellen Statements mit Vorsicht zu genießen. Gewichtiger sind da schon die Stellungnahmen derer, die von Berufs wegen das Gras wachsen hören. Wenn etwa Inhaber westlicher Wechselstuben in wenigen Tagen den Handel mit DDR-Mark einstellen wollen. Ein Händler: „Ich kenne den Termin, die 'Bild'-Zeitung liegt nicht falsch.“ Die Profis, die jetzt noch auf größeren Beträgen sitzen, trennen sich dieser Tage von ihnen. Auch die Sparkasse und andere Banken sind nicht mehr im Geschäft. „Höchstens wenn einer noch größere DDR-Mark-Beträge haben will, rufen die bei uns an und fragen, ob wir helfen können“, meint ein Insider, der sich allerdings auch nicht vorstellen kann, „was die jetzt noch damit anfangen wollen.“

Die Ostmarkspekulation, bei der oftmals mehrere 100.000 bar über den Tisch gehen, entbehrt in der Tat einer gewissen Gradlinigkeit. Der eine setzt auf den - nahezu ausgeschlossenen - Fall, daß auch er als Westler am Tage X seine gesamte Ostbarschaft, die er für 1:4 gekauft hat, auf dem Amt für 1:1 losschlagen kann. Andere haben noch eine kleine Lücke auf dem Konto diverser Tante Ernas im Osten entdeckt, und decken sich - je nach Einschätzung ob 2.000 oder 30.000 Ostmark 1:1 offiziell umgetauscht werden, mit kleineren oder größeren Beträgen ein. Derjenige, der ein Auge auf ein schönes Wassergrundstück bei Potsdam geworfen hat, und da meint, die genügsamen Inhaber mit billig eingekaufter Ostmark über den Tisch ziehen zu können, kann seine Schmuggelware freilich gleich verbrennen, bevor er sich der unnötigen Gefahr des Erwischtwerdens an der Grenze aussetzt. Gute Geschäfte konnten dagegen - bislang jedenfalls - diejenigen machen, die etwa zu 1:6 eingekauft haben, und schlicht darauf setzten, daß der Schwarzmarktkurs in Richtung 1:1 tendiert. Gestern stand er bereits besser als 1:4. Doch auch hier heißt es: Alles hat ein Ende, nur die Wurst, die die Spekulanten haben wollen, hat zwei: Zunehmend nähert man sich nämlich dem Zeitpunkt des Alles oder Nichts - wenn keiner mehr DDR-Mark haben will.

Derweil machen nach Einschätzung von nicht wenigen Beobachtern noch ganz andere Kräfte ihre Geschäfte. Meldungen über wundersame Vermehrungen des DDR -Bargeldumlaufs wie auch der Schulden der öffentlichen DDR -Hand (die möglicherweise annulliert werden sollen), und auch die angekündigte Kapitalausstattung der neuen Geschäftsbanken (Ost) in Milliardenhöhe machen der Bonner Regierung und auch der Bundesbank gehörige Angst: Man fürchtet, daß jetzt die DDR-Notenpresse auf Hochtouren läuft, und die Betriebe mit frischgedruckter Ware bedient, die am Tage X eingetauscht werden: „Corriger la Fortune“ nennt dies das 'Handelsblatt‘ und plädiert für sofortige Währungsunion.