Rheinland-Pfalz fürchtet die Abrüstung

Das Land war ökonomisch total abhängig vom Militär / Bitburg gleicht amerikanischer Kleinstadt / Jetzt sollen Militärstandorte „Industrieparks“ werden / SPD will Daimler in der Eifel / Initiativen warnen vor neuer Monostruktur / Aber sie haben keine Gegenkonzepte  ■  Von Thomas Krumenacker

Trier (taz) - Der angekündigte Abzug amerikanischer Streitkräfte hat Rheinland-Pfalz auf dem linken Fuß erwischt. Über Jahrzehnte hinweg hat man im Land der Reben, Rüben und Raketen fast ausschließlich auf das Militär als Arbeitgeber gesetzt. Die Folge: Eine total verkorkste Wirtschaftsstruktur und eine derart große Abhängigkeit von der Rüstung, daß die Angst vor Abrüstung in Regionen wie der Eifel oder Westpfalz größer ist als die Furcht vor den alltäglichen Gefahren durch das Militär. Die Ausgangslage ist klar: Das Land ist abhängig vom Militär wie ein Drogensüchtiger vom Stoff.

70.000 Hektar des Bundeslandes bestehen aus mit Stacheldrahtverhauen abgetrennten militärischen Liegenschaften, insgesamt 3.000 gibt es davon zwischen Koblenz und Zweibrücken. Acht Nato-Flughäfen mit jährlich 250.000 Starts und Landungen ließen den pfälzischen Kanzler Helmut Kohl stolz von seinem Land als dem „Flugzeugträger der Nato“ schwärmen. Sollte die Nato auf einen anderen Kurs umschwenken, droht der „Flugzeugträger“ abzusaufen. Insgesamt 155.000 Amerikaner leben hier, davon 70.000 Soldaten, der Rest meist Familienangehörige. Zusammen ließen sie im letzten Jahr die Kassen im Lande für 4,5 Milliarden DM klingeln. Bei den Streitkräften arbeiten zudem rund 22.000 deutsche Zivilbeschäftigte. Das US-Militär ist neben dem öffentlichen Dienst und der BASF der größte Arbeitgeber im Lande. Ministerpräsident Carl-Ludwig Wagner (CDU) rechnet bei einem Truppenabzug mit dem Verlust von „zehntausenden von Arbeitsplätzen“ in einem Bundesland, das ohnehin schon mit einer überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote leben muß.

Zum Beispiel der Kreis Bitburg, in der Eifel: Ein Fünftel der Bevölkerung hat hier einen amerikanischen Paß. In Teilen von Bitburg sieht es aus wie in einer amerikanischen Kleinstadt: Chevrolet-Limousinen, Kids mit Gettoblustern auf der Schulter und ein McDonalds Drive-in in Wurfweite zum Kuhstall des nächsten Eifelbauern. Die Hälfte der Bitburger sind Amerikaner. 1.400 Deutsche arbeiten im Kreis „beim Ami“, wie es hier heißt. Von den 250 Millionen DM, die den GIs von den Basen Bitburg und Spangdahlem in jedem Jahr an Löhnen gezahlt werden, werden 90 Millionen gleich in Konsumgüter umgesetzt. Mit 28 Millionen DM bringen die Soldatenfamilien den regionalen Wohnungsmarkt in Bewegung: Das Mietpreisniveau in der entlegenen Eifel kann durchaus mit dem in Großstädten mithalten.

Noch stärker hängt die Region Westpfalz um Kaiserslautern am Tropf der Amerikaner. Auch das Institut der deutschen Wirtschaft kommt in einer Untersuchung zu dem Schluß, für einige Gebiete in der Bundesrepublik ginge mit dem Abzug der Amerikaner ein „erheblicher bis existenzbedrohender Schaden“ einher.

Vor diesem Hintergrund ist die Panik, die sich nach der Ankündigung, die Zweibrücker Air-base als erste in Europa bis Ende 1993 dichtzumachen, verständlich. Selbst diejenigen, die jahrelang jede Kritik an der Militarisierung des Landes als „Antiamerikanismus“ diffamierten, machen jetzt die „einseitige Fixierung auf das Militär“ als Schuldigen für die Misere aus, um gleich den alten Fehler „Monostruktur“ als neues Rezept für die Zukunft zu verkaufen: Einen neuen „großen Arbeitgeber“ brauche das Land, verlangen die regierende CDU-FDP-Koalition und SPD unisono. Am konkretesten wird die Landes-SPD: „Mit den aus öffentlichen Mitteln besonders geförderten Unternehmen muß eine große Industrieansiedlung für den Raum Trier/Eifel vereinbart werden.“ Konkret schwebt den Genossen „Siemens, Daimler o.ä.“ vor. Kaum eine andere Antwort als eine Daimler -Rüstungsschmiede für die dann ehemaligen Militärstandorte hat auch die Regierungskoalition.

In einem Sofortprogramm fordert sie die Nutzung einer der freiwerdenden Airbases als zivilen Frachtflughafen und die Ausweisung von „Gewerbe-, Industrie- und Technologiestandorten“. Was sich hinter dieser Formulierung verbergen könnte, deutet ein internes Strategiepapier der Landesregierung an. „Die Gewöhnung an eine störende und belästigende Nutzung ist ausgeprägt“, hoffen die Autoren unverblümt. Eifel oder Westpfalz als Standorte von Risikotechnologien, die woanders nicht mehr durchsetzbar sind: atomare Zwischenlager, Giftmüllverbrennungsanlagen, Gentechniklabors oder SPD-protegierte Daimler -Rüstungsschmieden? Dies seien „nicht nur theoretische Gefahren“ für die bald ehemaligen Militärstandorte, meint der Trierer Soziologe Heinz-Jürgen Stolz, der ein Gegenkonzept jetzt vor allem bei denen anmahnt, die jahrelang gegen den Militarismus angekämpft haben. „Die Initiativen und BIs müssen aus den Löchern, um das Schlimmste zu verhindert.“ Der Kaputtmilitarisierung droht jetzt die Kaputtindustrialisierung zu folgen.

In der Tat macht sich in den betroffenen Regionen immer lauter die Forderung nach „Arbeitsplätzen um jeden Preis“ breit. Weil aber eigentlich kaum ein Betrieb in die entlegene rheinland-pfälzische Provinz möchte, ködert die sonst eher auf Privatinitiative schwörende Landesregierung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Die EG soll im Rahmen der „Gemeinschaftsaufgabe regionale Strukturpolitik“ auf fünf Jahre je 50 Millionen DM zubuttern, und der Bund soll noch einmal die gleiche Summe zuschießen, um eine industriefreundliche, „wirtschaftliche Infrastruktur“ zu schaffen. Den Unternehmen sollen zudem „erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten und steuerstundende Investitionsrücklagen“ eingeräumt werden. Die Angst vor Arbeitsplatzverlust geht so weit, verklausuliert ein Abrüstungsmoratorium zu fordern. Kaum anders ist jedenfalls die Forderung im Sofortprogramm der Landesregierung zu verstehen, die lautet, „eine Verlaufzeit zwischen Ankündigung und Realisierung des Truppenabbaus mit mindestens drei Jahren“ einzurichten.

„Abrüstung geht vor Arbeitsplätzen“ fordern hingegen die entstehenden Alternativplanungsgruppen. Antworten haben sie allerdings auch keine. „Reaktivierung vorhandener, aber stagnierender beziehungsweise aussterbender Wirtschaftszweige und kleinräumige ökologische Musterprojekte“, lautet etwa der Vorschlag des Trierer Soziologen Stolz. Die halbe Eifel als traditionelle Besenbinder oder Korbflechter kann indes kaum eine Lösung sein. In einem Punkt sind sich die industriekritischen Planer einig. Es dürfe keine neue Abhängigkeit von einem großen Arbeitgeber wie dem Militär mehr geben. Auch davon kann Rheinland-Pfalz ein Lied singen. Mit Ludwigshafen lebt eine ganze Stadt - qua Gewerbesteuer die reichste Kommune der Republik - von einem Betrieb, der BASF.