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„Wichtig sind die Inhalte“

■ Gepräch mit der Magdeburger Volkskammerabgeordneten Susanne Seils (SPD)

Sie ist mit fünfundzwanzig Jahren eine der jüngsten Abgeordneten desr neugewählten Volkskammer. In Naumburg geboren, lebt sie seit längerem nun schon in Magdeburg. Dort erhielt sie am 18. März auch das Mandat ihrer Wähler, sie in der Volkskammer zu vertreten.

taz:Die SPD hatte es ja zu ihrer Wahlaussage gemacht, weder mit der PDS noch mit der DSU zu koalieren. Nun sind die Sozialdemokraten eine Koalition mit der gesamten „Allianz für Deutschland“ eingegangen - ist das nicht ein Bruch eines einmal gegebenen Wahlversprechens?

Susanne Seils: Also, das stimmt nicht ganz. Im Wahlprogramm steht eigentlich drin: keine Koalition mit der PDS. Zur DSU haben wir zwar im Parteiprogramm den Beschluß gefaßt: wenn möglich, auch nicht mit der DSU - aber nicht so dezidiert, weil programmatische Aussagen der DSU überhaupt noch nicht vorlagen.

Mal abgesehen von den Programmen - gerade von Seiten der DSU wurde doch der Wahlkampf gegen die Sozialdemokraten als eine eine regelrechte Schlammschlacht geführt. Gibt es da nicht auch ein ganz persönliches Widerstreben, mit diesen Leuten zusammenzuarbeite?

Das kommt darauf an. Man muß dabei allerdings beachten, daß das in der DDR ganz unterschiedlich gelaufen ist. So gesehen habe ich damit keine Probleme - die Inhalte sind für mich das entscheidende.

Nebn der im Wahlkampf gegebenen Koalitionsabsage an sie DSU gab es ja auch eine ebensolche an die PDS. Könnten Sie sich vorstellen - ganz theoretisch natürlich nur - bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen auch mit der PDS zu koalieren?

Nie!

Wieso ist denn aber die CDU Bündnisfähig - sie hat das alte System doch ebenso mitgetragen?

Man kann doch die PDS und die CDU nicht miteinander vergleichen. Sicher heben auch alle anderen Altparteien das System mitgetragen - daß muß man ganz deutlich sagen; schon damit sie nicht übermütig werden. Doch verantwortlich für den Zustand der DDR ist doch vor allem die ehemalige SED.

MIt dem Beitritt der SPD verfügt die neue Regierung ja nun über eine satte Zweidrittelmehrheit - besteht da nicht erneut die Gefahr einer gewissen Selbstherrlichkeit bei den Regierenden?

Mit der Zweidrittelmehrheit habe ich auch ein paar Schwierigkeiten. Mir wäre es, ehrlich gesagt, lieber, wenn wir keine hätten in der Koalition - aber das wichtigste für uns war doch, daß wir inhaltliche Positionen gegen die Allianz durchsetzen konnten - und zwar im Interesse der DDR -Bürger. Immerhin kann man davon ausgehen, daß sechzig oder siebzig Prozent sozialdemokratische Inhalte in der Koalitionsvereinbarung enthalten sind

Hätte man diese Inhalte nicht viel besser in der Opposition vertreten können?

Das glaube ich nicht. Wenn man alleine hätte machen lassen, dann wäre beispielsweise die Möglichkeit, die Sozialunion durchzusetzen überhaupt nicht gegeben.

Zu einem wirklich die Regierung kontrollierenden Parlament gehört bekanntlich eine starke Opposition. Besteht jetzt nicht die Gefahr, daß diese ob der großen Mehrheit der Koalitionsparteien in die Bedeutungslosigkeit abgedrängt wird?

Ich denke, die Stärke der Opposition läßt sich nicht allein in Zahlen ausdrücken - ich glaube, wir haben trotz allem eine starke Opposition. Ich kenne viele von diesen Leuten sehr gut - und ganz tief in mir drin bin ich auch irgendwie noch Opposition.

Besteht aber bei der jetzigen Konstellation nicht die Gefahr, daß das Parlament einfach übergangen wird?

Die Parlamentsarbeit darf nicht zu kurz kommen. Da würde ich auch gar nicht mitspielen! Für mich gehört zu einer Demokratie, für die ich gekämpft habe, ein starkes Parlament. Da werd ich auch immer einhaken, da muß es ganz einfach Diskussionen geben. Und in dem Punkt sind auch die Ansichten in der SPD ziemlich unterschiedlich

Wie fühlt man sich eigentlich mit einem Innenminister, der die Verfassung, auf deren Grundlage er gewählt wurde, nicht anerkennt?

Ich war, ehrlich gesagt, sehr verwundert über den Ausspruch des Herrn Diestel. Er ist doch Jurist - da kann er doch eigentlich gar nicht über den Tatbestand hinwegsehen, daß die alte Verfassung nach wie vor gilt - die Worte, die da in der Volkskammer fielen, sind für mich absoluter Schwachsinn. Sowas trifft meinen Nerv, da bin ich sehr empfindlich schließlich habe ich auch Jura studiert.

Bekanntlich bekennt sich ja auch die SPD zum bedingungslosen Anschluß an die Bundesrepublik auf der Grundlage des Artikels 23 des Grundgesetztes...

Aber doch nicht bedingungslos!

Nein? - Aber der Artikel regelt doch lediglich den Beitritt ohne Wenn und Aber.

So einfach darf man daß nicht sehen. Schließlich werden wir ja über den Zusammenschluß erst noch verhandeln. So müssen zum Beispiel soziale Grundrechte in einer einheitlichen Verfassung mitaufgenommen werden. Auch käme ja durchaus für eine gewisse Übergangszeit erst einmal eine neue DDR -Verfassung in Frage. Auch ist es ja nicht ausgeschlossen, daß man mit einem Beitritt nach 23 eine neue, Gesamtdeutsche Verfassung aushandelt.

Also einen Beitritt nach Artikel 23 mit 146er Konditionen?

Wenn Sie so wollen - ja.

Nachsatz: Dieses Gespräch hatte ich mit Susanne Seils bereits am Mittwoch geführt. Mich beeindruckte besonders ihr Optimismus, den sie in die Fairnes und Rechtschaffenheit ihrer Koalitionspartner setzte. Die letzte Volkskammertagung wird sicher nicht nur sie um ein paar schlechte Erfahrungen reicher gemacht haben. Olaf Kampman

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