Die Freiheit der Frauen wird beschnitten

Ist die letzte Chance zur Rettung der Fristenlösung vertan?  ■ K O M M E N T A R E

Wenn morgen „BürgerInnen“ aus Ost und West in Ost-Berlin zum ersten Mal gemeinsam - und vielleicht sind sie ja viele gegen den Paragraph 218 auf die Straße gehen, ist das ein später Versuch, retten zu wollen, was wahrscheinlich nicht mehr zu retten ist: die Fristenlösung, die Frauen in der DDR erlaubt, bis zur 12. Woche selbst darüber zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft abbrechen oder austragen wollen.

Paragraph 218 - kein Anschluß unter dieser Nummer? Der Anschluß der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes ist ja längst beschlossene Sache. Doch im Gegensatz zur noch gültigen DDR-Verfassung gibt das bundesrepublikanische Grundgesetz dem Schutz des ungeborenen Lebens Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen. So jedenfalls entschieden sechs alte Männer 1975 beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe - und kippten damit die Fristenlösung.

Wenn sich die DDR nun dem bundesrepublikanischen Grundgesetz bedingungslos ergibt, stehen auch die Abtreibungsparagraphen zur Vereinigung an - und zwar nicht zu DDR-Bedingungen. Der Stand der Dinge in der Bundesrepublik hinsichtlich Paragraph 218 ist bekannt. Schauen wir lieber mal „nach drüben“: Viele West-Frauen hegen ja erhebliche Hoffnungen, daß sich die Ostlerinnen dieses Recht nicht widerstandslos abspenstig machen lassen. Eine richtige Bewegung ist allerdings noch nicht in Sicht. Dennoch hatten die DDR-Frauen erreicht, daß viele Parteien und politische Gruppie rungen sich vor den Wahlen in ihren Programmen und Beschlüssen für eine Fristenlösung aussprachen.

Doch der Aushöhlungsprozeß hat längst begonnen: In den Grundlinien für eine Sozialcharta, beschlossen von der Volkskammer Anfang März, hieß es noch: „Das Recht der Frau auf selbstbestimmte Schwangerschaft (muß) gesichert bleiben.“ Vom Schutz des ungeborenen Lebens war in diesem Zusammenhang noch nicht die Rede, wohl aber kurz darauf im Entwurf des Runden Tisches für eine neue Verfassung der DDR: „Frauen haben das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft. Der Staat schützt das ungeborene Leben durch das Angebot sozialer Hilfen.“ In der Koalitionsvereinbarung von Mitte April hatten sich die Prioritäten bereits verkehrt: „Umfassender Schutz des ungeborenen Lebens durch umfangreiche Beratungs-, Aufklärungs- und Unterstützungsgebote ... für Frauen bei Beibehaltung der Fristenlösung zum Schwangerschaftsabbruch.“ Ganz offenbar ein Kompromiß zwischen SPD und CDU bzw. deren „Allianz“. Die CDU nämlich hatte die Fristenlösung nie in ihrem Programm. Dort hieß es nur: „Hilfreiche Beratung bei Anträgen zum Schwangerschaftsabbruch muß dieser Gewissensentscheidung vorausgehen... Abtreibungsverbote und Strafandrohungen sind keine Lebenshilfe.“ Eine rundum schwammige Formulierung, die auch einem Paragraphen 218 (ge)recht wird. Und von höherer Ost-CDU-Ebene wurde unlängst bereits das Ansinnen laut, Abbrüche nur noch „in Notsituationen“ zuzulassen (siehe taz vom 4.4.).

Aber vielleicht kapieren die Frauen von hüben und drüben das jetzt und bringen gemeinsam jene Bewegung auf die Beine, von der müde gewordene Westlerinnen in den letzten Jahren nur träumten. Eine gute Gelegenheit, den Bizeps zu zeigen: der 16. Juni - dann wird in Bonn landesweit gegen den Paragraph 218 demonstriert.

PS: Es gab da mal einen Spruch: Frauen gemeinsam sind stark. Oder war das schon im letzten Jahrhundert?

Ulrike Helwerth