Wann wechselt Walesa die Fronten?

Nach der Überlieferungen der Solidarnosc-Historiker war es im Jahre 1980 der Sprung des entlassenen Werftelektrikers Lech Walesa über den Zaun der bestreikten Danziger Werft, der zu Verhandlungen und damit zum Umschwung führte. Noch heute ist der Sprung legendenumwoben, in Danzig kann man Dutzende verschiedener Versionen davon hören. Doch viele interessiert heute etwas anderes: Wann springt er wieder? Gemeint ist: Wann wechselt Walesa die Fronten?

Kaum war die Regierung Mazowiecki gebildet, da machten sich einige führende Genossen der gerade zerfallenden kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiter-Partei wieder Hoffnungen: Bald schon werde die neue Regierung das Land so in die Armut treiben, daß Walesa sich an die Spitze der Proteste setzen werde, so wie er sich nach eigenen Angaben 1981 in Radom an die Spitze der Radikalen in der Gewerkschaft stellte, um nicht ausmanövriert zu werden. Und dann, so glaubten sie, würden die Kommunisten endlich mit dem Danziger Elektriker an einem Strang ziehen können.

Die Rechnung scheint nicht ganz aufzugehen, wie Walesas jüngste Äußerungen zeigen. Zwar distanziert sich Walesa immer häufiger von der Regierung und „macht ihr Dampf, bevor ihr die Arbeiter die Socken anzünden“, wie er sich auszudrücken pflegt. Doch von den herrschenden Kommunisten von einst will er weniger wissen denn je, auch wenn sich Walesa wieder an die Spitze der Unzufriedenheit zu stellen versucht, um sie zu kanalisieren und um nicht selbst ins Abseits zu geraten. Es ist kein Zufall, daß die Gewerkschaftszeitung 'Tygodnik Solidarnosc‘, deren Redaktion er selbst gegen Mazowieckis Willen eingesetzt hat, ihn immer heftiger als möglichen Kandidaten für die Präsidentschaft des Landes Polen anpreist.

„Präsident oder Gewerkschaftsboß?“ fragte kürzlich die reformkommunistische Wochenzeitung 'Polityka‘ und gab sich selbst die Antwort: Es gebe auch noch Sulejowki. So hieß der Sitz von Marschall Pilsudski, der sich im Jahre 1926 aus dem einstweiligen Ruhestand heraus an die Macht putschte, weil Regierung und Sejm zu zerstritten waren. Nein, er sei nicht Pilsudski, erklärte er am Vortag des Gewerkschaftskongresses der Regierungszeitung 'Rzeczpospolita‘, aber er sei es satt, mitansehen zu müssen, „wie Spitzbuben, die sich über dem Recht glauben, Polen leerplündern“. Gemeint sind Angehörige der ehemaligen KP-Oligarchie, die ihre Ämter benutzen, um auf die Seite zu bringen, was geht, bevor sie abberufen werden. „Ihr wollt, daß ich regiere?“ fragte Walesa vor kurzem unzufriedene Bauern bei einem Treffen in der Nähe von Danzig: „Ich bin imstande und tue das, aber dann fordere ich Dekrete, Sondergerichte und solche Vollmachten, die diesen ganzen Krempel in Ordnung bringen und mit den Schuldigen abrechnen.“