„Schickt uns doch mal richtige West-Offiziere!“

■ Ein taz-Reporter begleitete die Volkspolizei beim Einsatz gegen Fußballfans und Skinheads am Freitag abend / Auf dem Plan der Einsatzleitung stand „Deeskalation“, doch die Truppe selbst wollte lieber draufschlagen wie früher

Hauptmann Günther von der Volkspolizei bringt uns durch die Ordnerkette, die jeden abtastet, der ins Stadion will. In der obersten Etage des Hauptgebäudes betreten wir den „Führungspunkt“. Der Berliner SPD-Vorsitzende Knut Herbst und der taz-Reporter sind hergekommen, um die Arbeit der Polizei zu beobachten. Der Raum ist nur rund fünf mal fünf Meter groß. Für die Größe des Einsatzgebiets, das sich praktisch über die ganze Ostberliner Innenstadt erstreckt, ist erstaunlich wenig Technik zu sehen.

Oberst Kreibel hat das Kommando über den ganzen Einsatz. „Hier Ball Null Eins, kommen“ meldet er sich. „Hier Ball Sechs Null Eins“, knarrt es zurück. „Relevante Personengruppe sammelt sich Schönhauser Ecke Dimitroffstraße im Kreuzungsbereich, kommen.“ Rund 200 Berliner „Fußballfans“ warten dort mit Steinen bewaffnet auf die vier Sonderbusse, die die Rostocker Fans direkt zum Bahnhof Lichtenberg bringen sollen. Oberst Kreibel plant sofort um und ändert über Funk die Route der Busse, die gerade aus dem Stadion rollen. Dann gibt er der Transportpolizei über Telefon Befehl, auf dem Bahnhof „Maßnahmen zur Abfahrt der Rostocker einzuleiten“. In der kurzen Atempause danach zieht er eine Cabinet aus der Schachtel. Sein Blick sucht gereizt das Feuerzeug, als aus dem Funkgerät hektisches, lautes Schimpfen dringt. „Die Busse sind getroffen.“ Fragezeichen in allen Gesichtern. „Das klären wir später“, dirigiert der Oberst und vermutet das seine zweite Route auch blockiert war. Als um 18.25 Uhr die Reichsbahn die Rostocker der sicheren Küste entgegenbringt, wird aufgeatmet.

Die 200, meist Skinheads, ziehen weiter in Richtung auf das besetzte Haus in der Schönhauser Allee 20. Der Oberst und der Chefpolizist vom Prenzelberg, Oberstleutnant Meinert, greifen ihre Dienstmützen und fahren mit uns los zur Lagebesichtigung. Das Haus ist schon von Volkspolizisten gesichert und wir gehen in die Dienststelle gleich daneben. Dort kommt die Meldung, daß die Meute jetzt den Alexanderplatz unsicher macht. Der Oberst kommandiert eine Hundestaffel zur Verstärkung hin. Um 18.55 sind wir dort. Eingeworfene Schaufensterscheiben, aufgeregte Bürger, „Ausländer raus“ gröhlende 17jährige im Fascho-Outfit. Eine Polizeikette, die sich zurückhält. Der Oberst befiehlt „Auflösen“! Die Visiere klappen runter, Flaschen fliegen. Ein Pflasterstein trifft mit Wucht einen Polizeihelm, der dem Träger wahrscheinlich das Leben rettet. Die Lage wird kompliziert, zuviele Unbeteiligte Gaffer stehen im Weg. Jetzt entscheidet sich der Oberst für Deeskalation und zieht die Einheiten zum Präsidium Keibelstraße zurück. Die Stimmung auf den Mannschaftswagen ist mies. „Wir haben unsere Ehre verloren“, ist die Truppenmeinung. „Feiglinge“ müssen sich die Einsatzleiter nennen lassen. „Morgen steht in der 'Jungen Welt‘ wieder, daß wir gegen Rechts nicht hart genug vorgehen“, stöhnt ein Polizist. Erinnerungen werden wach. „Früher hätten wir solche Typen platt gemacht!“, und: „Da waren wenigstes klare Einsatzkonzepte da!“ Bei einer Lagebesprechung rund um den Lada des Herrn Oberst klärt dieser noch einmal auf: „Wir können nicht mehr einfach draufhauen wie früher. Außerdem war es die einzige Möglichkeit, den Alex zu befrieden.“

Konfliktberuhigung ohne Gummiknüppel aber ist für die Vopos neu. „Da müssen Psychologen in die Einheiten“, sagt ein Zugführer. Über Funk erfahren wir, daß in der Unterführung Dirksenstraße Skins wieder ausflippen und auch den Schwulentreff Moccabar platt gemacht haben. „Rigoros räumen“, sagt der Oberst energisch, und zehn Minuten später ist der Alex wieder grün. Ein 10er-Trupp wird ins Cafe geschickt, um einen verletzten Mann rauszuholen, der dort schon eine dreiviertel Stunde liegt. Bei der Einsatzbesprechung, die dann folgt, spürt der Oberst durch die Zugführer den Unmut der Truppe. Handeln ist gefragt. Um 20.58 wird beschlossen, den Alex doch zu räumen. „Viel zu spät“, höhnt es von den Mannschaftswagen.

Eine riesige Wagenburg umschließt den Platz und über Lautsprecher wird aufgefordert, ihn zu räumen. Aber auf dem leeren Alex ist nun überhaupt nichts mehr los und die unteren Dienstgrade fühlen sich „völlig verarscht“. Zum taz -Reporter gewandt, fordern einige: „Schickt uns doch mal paar richtige West-Offiziere!“

Torsten Preuß