Torschlußpanik bei polnischen Autoschiebern?

■ Polizei: Zahl der geklauten Autos gestiegen, weil polnische Schieberbanden bei Wiedervereinigung schärfere Grenzkontrollen fürchten / Polnische Gewerkschaftszeitung ist um den Ruf der Polen in West-Berlin besorgt / Auch Autoausschlachter sind in der Stadt unterwegs

West-Berlin. Politisch bedingten Handlungsbedarf registriert die Westberliner Polizei bei den in der Stadt operierenden Autoschieberbanden. Die steigende Zahl der Autodiebstähle in den ersten drei Monaten dieses Jahres führt sie direkt auf den rapide fortschreitenden deutsch-deutschen Annäherungsprozeß zurück.

Die aus Polen stammenden Ganoven befürchteten laut Polizei, „daß bei einem gemeinsamen Deutschland ihre Grenze nicht mehr so frei und offen ist für die Fahrzeugverschiebung“, so ein Beamter der zuständigen Fachdienststelle der Kriminalpolizei. Dabei sei der übliche Weg direkt nach Polen das kurze Stück der DDR-Transitautobahn via Frankfurt/Oder. Beigetragen zu dem Diebstahlsboom hat nach Einschätzung der Polizei auch die Eröffnung von zahlreichen neuen Grenzübergängen zu Ost-Berlin und der DDR: „Das heißt, die ganze Sache wird für die Tätergruppen einfacher.“

Bis einschließlich März dieses Jahres wurden nach Angaben der Polizei bereits achtzehn neuwertige Mercedes-Limousinen entwendet oder bei Verleihfirmen unterschlagen (die Zahl aus dem entsprechenden Vorjahreszeitraum: sieben Stück). „Nach wie vor gefragt“ sind der Kriminalpolizei zufolge VW -Fahrzeuge. Seit Jahresbeginn tauchten insgesamt 105 Autos dieser Marke nicht wieder auf - neue Rekordzahl. Die Diebe bauen die Tankschlösser aus und feilen sich dann passende Schlüssel. Da der Porsche 944 die gleiche Schließanlage hat, verschwanden laut Polizei seit Oktober/November des letzten Jahres übrigens auch neunzehn Zuffenhausener Sportkarossen. Inzwischen hat man Informationen des Bundeskriminalamtes, nach denen mit Sicherheit mindestens zwei geklaute Daimler in der Sowjetunion zugelassen worden sind, daß sich dieser Abnehmer-„Markt“ also auch öffne.

Nach den Erkenntnissen der Kripo sind in der Stadt überwiegend Vierergruppen unterwegs, die Autos auf Bestellung stehlen. Zwar ist allein von Januar bis März gegen 22 Personen Haftbefehl erlassen worden - aber ohne durschlagenden Erfolg. Die verhafteten Diebe oder Kuriere seien „austauschbare“ kleine Fische.

Amtshilfe leistet mittlerweile auch die Volkspolizei, die im März zwei Polen wegen der gefälschten Fahrzeugpapiere von Drewitz nach Dreilinden zurückschickte. Eine Aktion, die möglicherweise noch diplomatischen Ärger verursacht. So sprachen Diplomaten der polnischen Militärmission, die erst durch die taz von der Sache erfuhren, von einer Verletzung des Konsularabkommens zwischen Polen und der DDR. Korrekterweise hätte die Volkspolizei die Betreffenden in ihre Heimat geleiten müssen.

Auch weiß die Polizei von einer ganzen Bande zu berichten, die seit etwa zwei Monaten rund um den Bahnhof Zoo und den Polenmarkt reihenweise die Kleinwagen polnischer Touristen ausplündert. Die Langfinger haben es dabei nicht nur auf Kartons mit Stereoanlagen, Videogeräten und Kassettenradios abgesehen. Gezielt demontiert werden Kopfstützen, Räder, Lichtmaschinen und Einspritzpumpen - im Grunde so gut wie alle Ersatzteile, die in Polen rar sind. Diese Form der „Armutskriminalität“ werde wahrscheinlich demnächst durch Rumänen und Russen fortgesetzt, da in den betreffenden Ländern Reisegesetze in Vorbereitung seien.

„Unermeßlich“ seien die Schäden, die die polnischen Autoknacker- und Diebesbanden ihrem Land zufügten, warnte unterdessen die Wochenzeitung der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc. „Keine Goebbelssche Propaganda“, sondern „Beutezüge in fast industriellem Ausmaß“ verschafften den Polen in Berlin den „Ruf von notorischen Dieben“ und verstärkten Ressentiments bei der deutschen Bevölkerung. Die Solidarnosc-Journalisten: „Was beim Polenmarkt vielleicht noch geduldet werden mochte - hier wird es unerträglich.“ Sie forderten die polnischen Behörden mit Nachdruck auf, durch ein Bündel von restriktiven Maßnahmen die Zulassung von gestohlenen Autos, insbesondere aus Berlin und Westdeutschland, im Lande unmöglich zu machen.

Thomas Knauf