Lech Walesa wieder Vorsitzender

Streit um künftige Strategie der Gewerkschaft noch nicht entschieden / Walesa als neuer Präsident?  ■  Aus Danzig Klaus Bachmann

Beifallsstürme, stehende Ovationen, Prügeleien zwischen Ordnern und Fotografen: so endete am Samstag die Wahl zum Vorsitzenden der Gewerkschaft Solidarnosc in Danzig. Mit über 77 Prozent der gültig abgegebenen Stimmen haben die Delegierten des Zweiten Solidarnosc-Gewerkschaftskongresses am Samstag Lech Walesa zum Vorsitzenden wiedergewählt.

Nur aus Bydgoszcz und Lodz kamen walesakritische Delegierte, angeführt jeweils von Jan Rulewski, der bereits 1981 gegen Walesa bei der Wahl zum Vorsitzenden unterlegen war, und Andrzej Slowik. Der vertrat in seiner Wahlrede die Ansicht, Solidarnosc müsse sich aus der Politik heraushalten und reine Arbeitnehmervertretung werden. „Wir sollten nicht mitregieren, sondern Forderungen stellen“, forderte er. Daher solle sich die Gewerkschaft von den Bürgerkomitees und dem Parlamentarischen Bürgerklub trennen.

Von Jurczyk und Gwiazda, beides prominente Solidarnosc -Aktivisten und Walesa-Kritiker, die inzwischen eine eigene Gewerkschaft gegründet haben, distanzierte er sich scharf: Sein Ziel werde es sein, deren Mitglieder aufzunehmen, anerkennen werde er diese zweite Solidarnosc als Vorsitzender auf keinen Fall.

Walesas recht aggressiv gehaltene Antrittsrede enthielt auch einige antiintellektuelle Töne. Hintergrund sind dabei insbesondere im Bürgerklub verbreitete Argumente, Walesa sei als Präsident im Ausland wenig vorzeigbar. „Ich frage euch, was ist besser: ein Präsident, der zehn Sprachen spricht“, fragte er die Delegierten, „oder einer, der euch hier die Demokratie und den Pluralismus erkämpft, der mit euch eine Sprache spricht, der von unten kommt?“ Bereits zuvor hatte ein Delegierter den Antrag gestellt, zusätzlich noch einen stellvertretenden Vorsitzenden zu wählen, um nicht erneut einen Kongreß einberufen zu müssen, falls Walesa Präsident werde. Der Antrag wurde allerdings abgelehnt, da er dem Statut widersprach. Viel wird daher von der Zusammensetzung der Landeskommission abhängen, die einen eventuellen Stellvertreter oder Nachfolger für Walesa wählen muß.

Über die Finanzen hat die bisherige Führung nur ein sehr oberflächliches Urteil abgegeben. Wie etwa die Spenden westlicher Gewerkschaften, des US-Kongresses oder anderer Geldgeber im Detail verwendet wurden, das alles erfuhren die Delegierten nicht. Begründung: Unter den Bedingungen des Untergrunds sei eine Buchführung nicht möglich gewesen. Die Delegierten gaben sich damit ebenso zufrieden wie mit Walesas Weigerung, einen Rechenschaftsbericht über die vergangenen Jahre abzulegen. Mit Walesas deutlichem Wahlsieg ist der Streit um den künftigen Kurs dennoch nicht beigelegt. Zwar haben die Delegierten damit Slowiks Forderung nach einer Entpolitisierung abgelehnt, doch auch Walesa erklärte, er trete ein für eine Einmischung in die Politik, „aber immer mehr in Richtung gewerkschaftliche Vertretung“. Längst nicht alle, die für Walesa stimmten, sind auch für die bisherige schonende Gangart der Gewerkschaft gegenüber der Regierung. Das zeigte sich bereits unmittelbar nach der Wahl, als die Debatte über das künftige Programm begann. Im Grunde wird die künftige Haltung der Gewerkschaft vor allem von Walesas Taktik abhängen, und der äußert sich in letzter Zeit zunehmend kritischer über „unsere Regierung“.