Bei 1:1 steigen die Zinsen

Stets war sie stolz auf ihre Unabhängigkeit von Bonn. Die Regierung hat ihr in der Tat nichts zu sagen bei der Entscheidung, dem D-Mark-Umlauf freien Lauf zu lassen oder mit der Kreditbremse einen Dämpfer zu verpassen. Mit dem gestrigen Tag nun mußte die Bundesbank in Frankfurt die umgekehrte Erfahrung machen: Die Bundesregierung ist ihrerseits auch unabhängig von der Bundesbank.

Anfang des Monats hatten die Volkswirte der Bundesbank mit ihrer Empfehlung, dem Volk (Ost) die D-Mark zum Kurs von 2:1 nur halbiert zukommen zu lassen, für große Empörung gesorgt. Die öffentliche Kritik richtete sich indes kaum auf die um den Wert der D-Mark besorgten Zentralbanker. Bundeskanzler Kohl wurde Wortbruch hinsichtlich seiner Versprechen im DDR -Wahlkampf vorgeworfen.

Kenner taktischer Winkelzüge der Politik konnten nun natürlich ein abgekartetes Spiel wittern: Die Bonner Regierung hatte nach dieser Lesart die Frankfurter Währungshüter vorgeschickt, um einen Versuchsballon zu starten. Wenn es dieses Spielchen gab, so hätte es sich für Bonn gelohnt. Die Pfeile der Öffentlichkeit hüben und drüben schlugen auf den Frankfurter 2:1-Ballon massiv ein. Selbst im 'Handelsblatt‘ wurden Zweifel geäußert, ob denn eine Lohnhalbierung der DDR-Bevölkerung zumutbar sei. Kohl, der sich im Gegensatz zu Bundesbank-Präsident Karl Otto Pöhl demnächst zur Wahl stellen muß, kann sich nun generös zeigen: Na gut, wir geben 1:1.

Nicht nur die Tatsache, daß Pöhls SPD-Parteibuch die Mauschelbereitschaft möglicherweise begrenzt hält, läßt eine andere Lesart wahrscheinlicher erscheinen: Die Bundesbank hatte Anfang April sehr wohl gewußt, daß sich nach all den Wahlversprechen die Hauptkritik über einen 2:1-Vorschlag auf Bonn richten wird. Sie übte klammheimlich Rache daran, daß sie zuvor in ihrer Zuständigkeit komplett übergangen wurde. Bundeskanzler Kohl hatte zuvor noch der alten Regierung Modrow die Währungsunion versprochen, ohne die Bundesbank zu fragen, ja, obwohl sie wußte, daß man in Frankfurt zu größerer Behutsamkeit riet.

Sind die Fronten für einen neuen Kampf rheinauf, rheinab gesteckt? Eine Drohung vom vergangenen Wochenende läßt dergleichen vermuten: Wenn die Bundesregierung sich auf 1:1 einläßt, so gehen wir mit den Zinsen gehörig herauf, verlautete aus dem Mund von Pöhls Vize Helmut Schlesinger, „mit allen Konsequenzen für Wachstum und Beschäftigung“.

Für eine längere Auseinandersetzung hätte man genügend Pfeile im Köcher, so daß es für Bonn durchaus peinlich werden könnte. In den letzten Wochen nämlich verzichtete die Bundesbank im Gegensatz zu vielen ihrer Partnerinstitute in den anderen Industrieländern auf Erhöhungen der Leitzinsen, so daß jetzt kräftig nachgeladen werden könnte - bewußt? Auch der in der Regel hinter den Kulissen wohlinformierte 'Platow-Brief‘ ahnt jedenfalls nichts gutes: Erinerungen an alte Kämpfe zwischen Konrad Adenauer und Pöhls berufsmäßigem Urahnen Wilhelm Vocke über vermeintlich zu restriktive Hochzinspolitik werden für Platow wach, wie auch an die letzte Phase der Regierung Schmidt, als auch eine Politik des knappen Geldes mit zum wirtschaftspolitischen Niedergang des sozialliberalen Bündnisses beitrug.

Ob es nun bewußte harte Auseinandersetzungen oder nur Schein- und Schaugefechte sind - fest steht in der Tat, daß die Bundesregierung an einer stärkeren Kreditaufnahme zur Finanzierung der Währungsunion nicht vorbeikommt, da sie sich zu vernünftigen Alternativen ganz offensichtlich noch keinerlei Gedanken gemacht hat - etwa zum Vorschlag des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbundes (WSI), die Mineralölsteuer um 20 Prozent anzuheben, was schon allein 17 Milliarden Mark jährlich einbrächte.

Und die höhere Kreditaufnahme wird das Zinsniveau auf dem bundesdeutschen Kapitalmarkt so oder so nach oben treiben, ob die Bundesbank an den Leitzinsen dreht oder nicht. Immerhin stehen Ausgleichsforderungen in zweistelliger Milliardenhöhe ins Haus, wenn die Sparguthaben in der DDR zum großen Teil zum Kurs von 1:1, die Schulden dagegen 2:1 halbiert werden sollen, wenn es nach den Vorstellungen Bonns geht. Die Schulden der DDR-Betriebe bei der Nachfolgerin der Staatsbank, der Deutsche Kreditbank AG, betragen laut Jahresbericht der Staatsbank 242 Milliarden Mark.

Wenn das neue Kreditinstitut nicht gleich Konkurs anmelden soll, muß jemand für die Zinsen der anderen Hälfte in harter D-Mark aufkommen, wenn die Guthaben unangetastet bleiben sollen. Allein für die Betriebsschulden liefe dies auf rund 12 Milliarden D-Mark jährlich hinaus, wenn von einem derzeitigen Marktzinssatz von 10 Prozent ausgegangen wird zurückgezahlt ist damit noch kein Pfennig. Es dürfte auch kaum nur eine zusätzliche Mark gedruckt werden, sobald die Bundesbank die Währungshoheit über das jetzige DDR-Gebiet hat.

Nun wären die zwölf Milliarden Mark nicht viel mehr als der gerade wieder angekündigte Anteil des Bundesbankgewinns, der jährlich in die Kassen von Bundesfinanzminister Theo Waigel fließt: Knapp 10 Milliarden. Doch sind die Betriebsschulden auch nur ein kleiner Teil der anstehenden Finanzierungslücken. Abgesehen von den Kosten des Vereinigungsprozesses, die nicht direkt aus der Währungsunion hervorgehen - Umbau der Infrastruktur, der Problembranchen wie Chemie und High Tech, die kein West -Konzern aufkaufen will - bringt auch die Währungsunion selbst - noch - unabsehbare Lasten mit sich.

Es nutzt den Wohnungsbaugenossenschaften nichts, wenn nur ihre Schulden von 108 Milliarden Mark halbiert werden. Gleichen sich die Zinsen in der DDR dem BRD-Niveau an, so können sie bei der derzeitigen Mieten nahe Null die Zinsen für „ihre“ Hälfte genauso wenig bezahlen wie dringend notwendige Renovierungsarbeiten.

Gehen dagegen die heute subventionierten Mieten hinauf, so muß auf „Subjektbezogene“ Subventionen umgestellt werden, sprich Wohngeld. Und auch wenn die Vorsitzende des DDR -Gewerkschaftsbundes, Helga Mausch, das DDR-Lohnniveau nicht durch „Almosen“ der Regierung Kohl aufgebessert wissen will: Auch sie weiß, daß bei 1:1 „die Betriebsdirektoren unsere Tarifforderungen wahrscheinlich nicht erfüllen können“. Also geht auch hier an Ausgleichszahlungen Bonns kein Weg vorbei.

Subventionen nach dem Vorbild des staatsfinanzierten Umbaus der Stahlindustrie Europas zeichnen sich schon jetzt ab. Im Wahlkampf skandierten die Massen noch: „Kommt die D-Mark, bleib'n wir hier, kommt sie nicht, gehn wir zu ihr“. Nun, da seit längerem klar war, daß „sie“ kommt, stand die Frage ganz anders: Geht die Umstellung zu einem Kurs, der die Leute zum Dableiben veranlaßt (1:1) oder der die Überlebensfähigkeit der Betriebe sichert (1:2, zumindest für viele marode Branchen). Will man beides, muß irgendjemand die Lücke füllen, nach Lage der Dinge Bonn über Kredite. Der Spekulantenwelt ist diese Angst jedenfalls gestern gewaltig in die Schuhe gefahren. Der deutsche Aktienindex, DAX, sackte durch: Ein untrügliches Zeichen dafür, daß allgemein ein Zinsanstieg erwartet wird - die anderen, zinsabhängigen, Anlageformen werden künftig attraktiver als die Aktien. Weitere Aktienstürze sind also nicht auszuschließen.

Ulli Kulke