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Europäischer Rassismus

■ Zur Ermordung von vier Afrikanern in Süditalien

Mag sein, daß die vier Schwarzafrikaner, die in Süditalien von einem vermummten Kommando erschossen wurden, Opfer des Kampfes um den Drogenmarkt sind - mithin also den Hunderten, die die Camorra jährlich in Neapel und Umgebung ermordet, hinzuzufügen sind. Die Öffentlichkeit könnte aufatmen. Der Terror der sizilianischen Mafia, der calabresischen 'ndrangheta und der Camorra gilt längst als unausrottbares Übel, als Fluch, der auf dem Mezzogiorno lastet. Doch zum Aufatmen besteht kein Anlaß. Fakt ist, daß in Italiens Städten seit Monaten Schlägerbanden schwarzafrikanische, maghrebinische und asiatische Einwanderer terrorisieren. Fakt ist, daß der Vizeministerpräsident des Landes äußerst öffentlichkeitswirksam im Kampf gegen unliebsame Boat-people den Einsatz der Armee zur Überwachung der Grenzen durchgesetzt hat. Fakt ist, daß das Parlament ein Immigrantengesetz verabschiedet hat, das die Ausländer aus dem Süden von den legalen und halblegalen in die illegalen Branchen der Schattenwirtschaft abdrängt.

Ein Jahrhundert lang war Italien ein klassisches Auswandererland. Millionen suchten einst ihr Glück in den USA, später vor allem in der Schweiz und der Bundesrepublik. Millionen machten die Erfahrung, Ausländer zu sein. Für Ausländerfeindlichkeit schien in Italien zudem der Humus zu fehlen, den in Frankreich und Großbritannien die Immigranten der ehemaligen Kolonien abgaben. Über den Rassismus im eigenen Land, der sich gegen die terroni, die Einwanderer aus dem verarmten Süden des Landes, richtete, sah man nur allzugern hinweg.Die Ausländerfeindlichkeit ist in Italien neueren Datums. Erst die Abschottung der EG -Grenzen und eine restriktive Einwanderergesetzgebung in Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik haben auf der Halbinsel eine virulente Xenophobie ermöglicht. Knapp eine Million Ausländer aus der Dritten Welt haben in einem Land Unterschlupf gefunden, das bis vor einem Monat keine Sanktionen gegen ihre illegale Anwesenheit kannte. Sie sind die Vorboten des neuen Nord-Süd-Konflikts - nicht mehr zwischen dem industrialisierten Norden Italiens und dem Mezzogiorno, sondern zwischen Italien als einem Südzipfel der „Festung Europa“ und Afrika, dem ärmsten Teil der Dritten Welt auf der anderen Seite des Mittelmeeres.

Thomas Schmid

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