"Mir wäre eine Denkpause lieber"

■ taz-Streitgespräch mit dem Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel, der Jugoslawin Gordana Golubovic und der Iranerin Shala Blum, beide Gemeinderätinnen der Grünen in Stuttgart

taz: In dieser Woche verabschiedet der Bundestag nach jahrelangen Diskussionen ein neues Ausländergesetz. Kann man nach 25 Jahren legaler Einwanderung eigentlich noch von Ausländern sprechen, für die nun ein extra Gesetz her muß?

Rommel: Ich denke, daß für diejenigen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, die hier aber seit Jahren legal leben und zum Teil hier geboren und aufgewachsen sind, der Begriff „Ausländer“ eigentlich nicht mehr zutrifft. Es sind vielmehr Einwanderer, denen man das Heimatrecht nicht absprechen kann. Außerdem müssen wir damit rechnen, daß Europa immer mehr zusammenwächst - auch angesichts einer Wiedervereinigung innerhalb des europäischen Einigungsprozesses. Ein Prinzip ist dabei wesentlich: das Prinzip der Gleichheit. Es gibt Schwierigkeiten, wenn ein Teil der Menschen einen Status der Ungleichheit erhält.

taz: Und wie wollen Sie das erreichen?

Rommel: Manche glauben, das kommunale Wahlrecht sei ein geeignetes Instrument. Das halte ich für ein Alibi, denn die Kommunen haben im Gegensatz zu Bund und Ländern weit weniger Kompetenzen in der Ausländerpolitik. Ich dagegen befürworte, daß zumindest im europäischen Rahmen - da gehört für mich die Türkei dazu - der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erleichtert werden muß, und zwar durch eine Doppelstaatsangehörigkeit. Darüber hinaus muß für diejenigen, die nicht Deutsche werden wollen, eine hohes Maß an Rechtssicherheit geschaffen werden.

Golubovic: Für mich ist die doppelte Staatsbürgerschaft für Ausländer auch eine Möglichkeit. Wir wissen ja, was es selbst für die zweite und dritte Generation bedeutet, ihre nationale Herkunft und damit einen Teil ihrer Identität aufzugeben. Man muß ihnen ermöglichen, sich in beiden Kulturen zurechtzufinden. Das ist in einem Migrationsprozeß durchaus erlernbar, wenn nur der entsprechende Rahmen geschaffen wird. Aber schauen wir uns doch die Wirklichkeit an. Wir stehen ein paar Tage vor der Verabschiedung des neuen Ausländergesetzes. Heiner Geißler hat das Gesetz sehr treffend von der Tendenz her als ein Fremdenabwehrrecht bezeichnet.

taz: Herr Rommel, teilen Sie diese Einschätzung von Herrn Geißler?

Rommel: Nein, nicht so pauschal. Das neue Ausländerrecht bringt auch Verbesserungen. Aber einige Dinge haben sich in der Tat verschlechtert; es gibt Härten, die nicht sein müssen. Der Stuttgarter Ausländerbeirat hat hierzu in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung ein ganz gutes Papier erstellt, das der Deutsche Städtetag übernommen und verabschiedet hat.

taz: Wie sieht Ihre Kritik an dem Gesetzentwurf denn aus?

Rommel: Ich bin der Meinung, daß alle diskriminierenden und beschränkenden Bestimmungen beim Nachzug von Ehegatten und Familienangehörigen fallen sollten. Der Rechtsstand der Ausländer, die nicht Deutsche werden wollen, muß so gefestigt sein, daß sie sich hier sicher fühlen - ein Ziel, das teilweise von dem neuen Gesetzentwurf verfolgt wird. Aber es gibt darin auch Bestimmungen, die diese Rechtssicherheit eher beeinträchtigen. Es ist traurig, daß die Beratung des Ausländergesetzes vor dem Hintergrund viel größerer Probleme stattgefunden hat.

Golubovic: Das erste Ausländergesetz ist 1965 als Polizeirechtsgesetz entstanden. Als es verabschiedet wurde, hat es niemanden interessiert. Das neue Gesetz ist schon lange in der Diskussion. Der frühere Bundesinnenminister Zimmermann konnte seinen Entwurf nicht zuletzt wegen heftigen Widerstands gegen die Inhalte nicht durchsetzen. Innenminister Schäuble hat es in einem taktisch klugen Moment Anfang des Jahres wieder aus der Tasche gezogen. Und nun soll es im Eilverfahren durchgezogen werden. Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und auch die SPD fordern ein humanes Ausländergesetz. Ich frage mich, was an einer derartigen Sondergesetzgebung human ist. In der Tendenz wird eine Bevölkerungsgruppe bewußt unter ein Sondergesetz gestellt, die sonst im rechtlichen Rahmen alle Pflichten besitzt...

Rommel: Das Beamtengesetz gilt auch nur für Beamte...

Golubovic: Der Scherz ist zwar nett, aber ich möchte gerne wissen, warum eine Bevölkerungsgruppe unter ein zudem noch verschärftes Sondergesetz gestellt wird. Was wird dadurch in einer Stadt wie Stuttgart provoziert, in der Menschen unter verschiedenem Recht auf engem Raum zusammenleben? Wozu brauchen wir ein Ausländerrecht?

Rommel: Sonst hätten die Ausländer überhaupt keinen Rechtsschutz. Sie sind keine deutschen Staatsangehörigen und befänden sich in einem rechtlich ungeregelten Zustand. Das Ausländerrecht schafft ein hohes Maß an Rechtssicherheit. Sie müssen beispielsweise ein Recht auf Familienzusammenführung erhalten. Das ist kein Ausnahme oder Maßnahmegesetz.

Blum: Das bezweifle ich. Wir sind nicht dagegen, daß Regelungen geschaffen werden, aber neben den bestehenden Gesetzen reichen Einwanderungsrichtlinien.

Rommel: In einem Rechtsstaat reichen keine Einwanderungsrichtlininen.

Blum: Dieses Gesetz geht im Tenor davon aus, daß Ausländer eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, obwohl im Vorwort von Integration gesprochen wird. Ein Ausländer darf nicht arbeitslos werden, sonst kann er ausgewiesen werden. Er darf sich auch nicht mit Aids infizieren, Sozialhilfeempfänger werden oder sich politisch betätigen, sonst droht ihm das gleiche.

Rommel: Daß verschiedene Bestimmungen des neuen Ausländergesetzes nicht befriedigend sind, gebe ich gerne zu. Die guten Absichten werden zum Teil hinten wieder aufgehoben. Man müßte tatsächlich das neue Ausländerrecht grundsätzlich dahingehend diskutieren, daß die ständig steigende Zahl von Ausländern sich als gleichberechtigte Mitbürger fühlen und nicht im Gefühl einer Deklassierung leben und sich dadurch in diesem Gemeinwesen nicht engagieren. In dem Gesetzentwurf gibt es noch Definitionen und Regelungen, die aus dem früheren Verständnis von Ausländern stammen und heute nicht mehr geeignet sind. Das ist auch meine Meinung.

Golubovic: Sie werden nie dahin kommen, daß sich Menschen auf einer solchen Grundlage hier sicher fühlen. Nicht umsonst hat zumindest die erste Generation von Ausländern ihre Koffer noch auf dem Dachboden. Es heißt zwar immer, integriert euch, aber man kann sein Leben nicht langfristig planen, weil man nie weiß, was passieren wird. In dem neuen Gesetz wird beispielsweise auch die Datenübermittlung an die Ausländerbehörden verschärft. Im Prinzip sind nach Paragraph 76 die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung anzeigepflichtig, wenn ihnen Gesetzesverstöße zu Ohren kommen. Das ist besonders im Sozialbereich problematisch, wo etwa ein besonderes Vertrauensverhältnis zur Klientel bestehen muß. Jetzt haben Jugend- und Sozialamtsmitarbeiter in Stuttgart in einer Resolution erklärt, daß sie sich weigern, dieser Verpflichtung nachzukommen, selbst wenn die Daten ausweisungsrelevant sind. Nun sind Sie ja nicht nur Stadtoberhaupt, sondern auch Leiter der Verwaltung. Werden Sie Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Mitarbeiter einlegen?

Rommel: Was rechtlich im Einklang mit der Verfassung angeordnet ist, muß unbedingt eingehalten werden. Wenn wir diesen Grundsatz verlassen, können wir nicht mal mehr eine Geschwindigkeitsbegrenzung durchsetzen. Ich muß die Vorschriften einhalten, ob es mir paßt oder nicht.

Blum: Man kann auch versuchen, diese Vorschriften noch aus dem neuen Gesetz zu kippen.

Rommel: Das wäre natürlich günstig. Ich bin nicht gegen jede Datenerfassung und betrachte auch nicht jede Datenermittlung unter dem Aspekt der Persönlichkeitsgefährdung. Aber hier muß sicherlich die besondere Vertrauenssituation beachtet werden, für die die Sozialverwaltung berechtigt kämpft. Ich sehe das Hauptproblem darin, daß man sich bei derartigen Vorschriften viel zuwenig Zeit nimmt.

taz: Ihre Partei hat den Druck der deutsch-deutschen Entwicklung gerne genutzt, das Ausländergesetz auf die schnelle durchzuziehen. Ist es für Sie ein liberales Gesetz?

Rommel: Es hat seitens der CSU Verschärfungsbemühungen gegeben, aber dieser Gesetzentwurf galt in der CDU als liberal. Es könnte liberaler sein. Wenn ein Ausländer mal Sozialhilfe beantragt, kann man ihn deshalb nicht gleich wegschicken. Das Grundgesetz erkennt beispielsweise das Heimatrecht der Rußlanddeutschen an, die ihr Heimatland nie gesehen haben. Jemandem, der zehn, zwanzig Jahre hier lebt, kann man nicht sagen, du darfst das nicht als deine Heimat betrachten. Da fragt man sich schon manchmal, ob das zusammenpaßt.

Golubovic: Die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John fragt sich, wie lange wir den Ausländerkindern, die hier geboren werden, noch erklären können, daß sie eine Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis für ein Land brauchen, das sie selber als ihre Heimat definieren.

Rommel: Da gebe ich ihr vollkommen recht. Ich hätte mir gewünscht, daß das viel stärker ins politische Bewußtsein eindringt.

Blum: Wäre es dann nicht angebracht, das neue Ausländergesetz in dieser Situation nicht zu verabschieden und lieber etwas abzuwarten, wie die sonstigen Probleme in diesem Land gelöst werden können?

Rommel: Die Autoren des Gesetzes meinen, es sei eine Verbesserung gegenüber der bisherigen Regelung.

Golubovic: Sie behaupten es. Mich hat besonders erzürnt, daß bei der Anhörung zu dem Ausländergesetz keine Betroffenen geladen wurden. Es soll ein paar wenige unter den 4,5 Millionen Menschen geben, die das Gesetz betrifft, die deutsch sprechen können. Sie hätten Stellung beziehen können. So etwas ist bei einer anderen Gesetzgebung kaum denkbar. Hier zeigt sich, was man mit einer Personengruppe alles machen kann, die keine Lobby hat.

Rommel: Keine Frage, es ist ein Mangel, daß Vertreter der Ausländer nicht gehört wurden.

Golubovic: Wenn wir wirklich diese multikulturelle Gesellschaft wollen, von der von links bis rechts phantasiert wird, bedeutet dies, daß man sich irgendwann auf der gleichen Ebene begegnen kann. Das Gesetz spiegelt diese Möglichkeit überhaupt nicht wider, im Gegenteil. Wir dagegen leiten unsere Rechte von dem Begriff der Lebensmitte ab: Wir sind hier geboren oder leben schon lange hier, erfüllen alle Pflichten und verlangen daher, daß wir uns an den demokratischen Prozessen auch beteiligen dürfen.

Rommel: Das unterschreibe ich sofort. Mir wäre eine Denkpause auch lieber.

taz: Heißt das, Sie sind dagegen, das Gesetz am Donnerstag zu verabschieden?

Rommel: Ich kritisiere an dem Gesetzentwurf, daß man sich zu wenig Gedanken über die Zukunft gemacht hat. Wenn der Rechtszustand weiter bleibt, sind nach zwanzig, dreißig Jahren Enkelkinder der Kinder immer noch Ausländer. Das kann ja nicht ewig so sein.

Golubovic: Wir befinden uns in einer ganz spannenden historischen Situation. Die Karten werden neu gemischt, und wir wollen mit einer Bürgerrechtsbewegung mitmischen. Für uns ist dabei ein Stichwort die Verfassungsdiskussion. In diesem Zusammenhang steht für uns das Ausländergesetz zur Disposition. In der DDR gibt es etwa ein kommunales Wahlrecht. Die Frage wird sein, ziehen wir die DDR-Regierung hier auch über den Tisch oder wird gemeinsam nach neuen Lösungen gesucht? Im Grundgesetz steht das Völkisch -Nationale, das gewisse Rechte wie das Versammlungsrecht nach der Herkunft ableitet, unmittelbar neben dem Republikanischen, das die Gleichheit aller betont. Wir brauchen eine neue Verfassung, die sich eindeutig zu einer offenen Republik bekennt.

taz: Was kann man denn tun, wenn das Gesetz erst einmal verabschiedet ist?

Golubovic: Wir werden jetzt unsere Kräfte daransetzen, daß die ausländischen Mitbürger gerade der zweiten und dritten Generation ihre Rechte einfordern. Wie in den Niederlanden und Frankreich fragen sich diese Menschen, wie lange werden wir noch so behandelt? Schauen wir uns doch einmal den Alltag an. Die wahre multikulturelle Gemeinschaft findet in den Werkshallen von Daimler-Benz statt, wo 40 Sprachen gleichberechtigt am Fließband gesprochen werden...

Rommel: ...und das Ergebnis ist ein ganz gutes Auto...

Golubovic: Ich denke, daß das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen neben der Ökologie die interessanteste Frage der Zukunft sein wird. Nicht umsonst schlägt man sich in verschiedenen Ländern die Köpfe ein. Geht es nach hinten los, in Richtung Nationalismus, oder nach vorne gewandt, in Richtung Öffnung. Die Frage ist, was in dieser historischen Situation daraus gemacht wird. Das neue Ausländergesetz geht genau in die falsche Richtung.

Rommel: Es ist sicher so, daß die Beratungstiefe um das Gesetz größer gewesen wäre, wenn nicht diese Umwälzungen in Gang wären. Schäuble hat natürlich jetzt eine Menge um die Ohren, und es ist mir ganz klar, daß das Ausländergesetz dabei in den Hintergrund tritt.

taz: Dann hätte man es ja vertagen können.

Rommel: Das ist wohl nicht realistisch. Vieles bei dem Gesetzentwurf hat nur an der Oberfläche der Verwaltungstechniker stattgefunden, das ist gar keine Frage. Ich bin sicher, daß man dieses Gesetz viel mehr hätte problematisieren können, wenn diese dramatischen Ereignisse nicht gewesen wären.

Golubovic: Das geltende Ausländerrecht war 25 Jahre in Kraft. Was glauben Sie, wie lange das neue Bestand haben wird, Herr Rommel?

Rommel:Ich gehe davon aus, daß dieses Gesetz in wenigen Jahren erneut diskutiert wird, weil es nicht genügend in die Tiefe geht und viele Probleme nur an der Oberfläche anreißt.

Das Gespräch moderierten Erwin Single und Jürgen Gottschlich