Come see the paradise

■ Zum diesjährigen Programm des Filmfestivals in Cannes

Wer sich auch nur ein bißchen für Kino interessiert, dem werden schon von der bloßen Lektüre des Programms der 43.Internationalen Filmfestspiele von Cannes (11.bis 21. Mai) die Augen übergehen. Nachdem sich im vergangenen Jahr mit Soderbergh, Spike Lee und Jim Jarmusch eine aufsehenerregende neue Kinogeneration vorgestellt hatte, gibt sich diesmal offenbar der Autorenfilm des 20. Jahrhunderts noch einmal unter Aufbietung aller Kräfte die Ehre - fast sämtliche der großen, älteren Regisseure sind mit Weltpremieren vertreten. Nur Chabrols Fritz-Lang-Hommage Dr. M fehlt - laut Auskunft des Verleihs ist der Film noch nicht fertig. Insgesamt laufen im Hauptprogramm 24 Filme, davon 17 Uraufführungen.

Außer Wettbewerb läuft zur Eröffnung Akira Kurosawas Träume, ein Episodenfilm, in dem der 80jährige Japaner seine Kindheitsträume auf die Leinwand bringt. In einer Sequenz spielt Martin Scorsese Vincent van Gogh. Ebenfalls außer Konkurrenz zeigt Fellini sein neuestes Werk La voce della Luna mit Roberto Benigni, den Abschluß macht Paul Schrader mit Comfort of strangers. Auch der Portugiese Manuel de Oliveira will mit seinem neuen Streifen Non ou la vaine gloire de commander nicht um die Goldene Palme konkurrieren.

Im Wettbewerb dann der neue Godard (Nouvelle vague mit Alain Delon), die neueste Produktion der Gebrüder Taviani (Il sole anche di notte), von Tavernier (Daddy Nostalgie mit Jane Birkin), von David Lynch (Wild at Heart) und von Ken Loach (Hidden Agenda). Andrzej Wajdas Film über Janusz Korczak läuft außer Wettbewerb. Weiter konkurrieren um die Goldene Palme aus Frankreich Jean -Paul Rappeneaus Verfilmung des Rostand-Klassikers Cyrano de Bergerac mit Gerard Depardieu und Raymond Depardons La captive du desert, aus den USA Alan Parkers Come see the paradise und Clint Eastwoods White hunter, black heart über die Dreharbeiten zu John Hustons African Queen, aus Italien Stanno tutti bene von Giuseppe Tornatore mit Marcello Mastrioanni, aus Burkina Faso Tilai von Idrissa Ouedrago, aus Kolumbien RodrigoD No Futuro, ein neorealistischer Debutfilm von Victor Manuel Gaviria über Jugendbanden in der Großstadt Medellin. Der Film wurde 1989 in Kolumbien uraufgeführt, sechs Darsteller wurden seit Drehbeginn im Krieg der Jugendbanden ermordet. Aus Polen kommt Ryszard Bugaskis Das Verhör, aus der Tschechoslowakei Karel Kachynas Das Ohr, aus den UdSSR Gleb Panfilows Die Mutter, aus Japan Stachel des Todes von Kohei Oguri und Ju dou von Zhang Yimou und Yang Fengliang (Koproduktion mit China). Axel Corti geht mit einer britisch-italienisch-französisch-österreichischen Koproduktion ins Rennen, La Putain du Roi heißt der Film. Und Taxi Blues von Pavel Lounguine ist eine französisch-sowjetisch Gemeinschaftsarbeit. Im Wettbewerb dominieren also die traditionellen Filmländer Frankreich, Italien und die USA; die Bundesrepublik und die DDR sind übrigens nicht vertreten, was dem derzeitigen Niveau des deutschen Films durchaus entspricht.

Eine Retrospektive ist dem US-Dokumentaristen Robert Flaherty (1884-1951) gewidmet, anläßlich seines 100. Geburtstags soll auch des Marx-Bruders Groucho gedacht werden. Den Jury-Vorsitz übernimt Bernardo Bertolucci.

taz