Tiefgekühlte Mieter

■ Wenn Frost-Erbsen gegen Wohnqualität antreten / Schlachthof Berlin ist Thema im Amt für Regionalplanung / Bürgerkomitee SO96 wurde aktiv

Prenzlauer Berg. Fritz-Riedel-Straße, früher Morgen: Ein Kleinlaster zockelt die Straße entlang. Als er eine Bodenwelle erreicht, spritzt Blut über seine Ladewände. Wir sind am Schlachthof. Wo man nur mit leerem Magen hingehen sollte, wohnen Menschen. Ein Neubaublock wurde vor einigen Jahren aus dem Boden gestampft. Versüßt wird der ungünstige Standort mit einer Baulücke gegenüber, die Sonne scheint deshalb den Mietern bis ins Erdgeschoß. Was die BewohnerInnen damals noch nicht wußten: Schon vor Baubeginn war dort ein Verwaltungsbau für den Kühlbetrieb geplant. Mittlerweile ist das Fundament gelegt, die BürgerInnen fühlen sich betrogen.

Mit dem Schwung der Wende hat sich ein Bürgerkomitee im Kiez gegründet, um zu retten, was zu retten ist. Viel scheint nicht mehr zu holen zu sein, eine Anhörung der Protestler im Amt für Regionalentwicklung hat schon stattgefunden. Ergebnis: Der Bau des Verwaltungsgebäudes hat begonnen, ein Stopp ist mittlerweile viel zu teuer. Opfer der „Altlasten“ seien sie geworden, hätte doch ein Einspruch zu früherem Zeitpunkt Erfolg haben können. Nur, leider - der Wohnblock grenzt an die Leninallee, und die war der tägliche Arbeitsweg vom Chef der Staatssicherheit, Mielke. Und so regierte Eitelkeit: Geschlossene Bebauung war Vorgabe, Einsprüche hatten keine Chance.

Mielke ist gegangen, doch beim Konfliktpartner Kühlbetrieb hat sich auch was getan. Er wird jetzt eine GmbH. Und so wirft die Marktwirtschaft ihren Schatten voraus. Viel zu attraktiv ist das Gelände für Betriebsleiter Ackermann, um es brachliegen zu lassen: „Unsere Bodenwerte liegen in der Größenordnung einer dreiviertel Milliarde Mark“, in der besten Stadtlage.

Darüber denkt nun auch das Bürgerkomitee SO96 nach. Dessen Sprecher Georg Domanski meint: „Berlin als zukünftige Hauptstadt und Ost-West-Drehscheibe braucht Bauflächen. Warum sollte man nicht den Schlachthof an den Stadtrand verlegen?“ Die Einstufung als Industriegelände findet er unglücklich, die Umwandlung des ehemals benachbarten Gaswerkes in den Thälmann-Park hat für ihn Modellcharakter.

Auch Ackermann findet Kritik, allerdings am Wohnungsbau. Und er hat noch viel vor. Trotz vermutlich geringerem Fleischabsatz nach Wegfall der Subventionen bleibt das Kühlhaus voll. Neue Wohlstandsgüter werden die Regale füllen, Tiefkühlerbsen und Speiseeis haben sich schon angemeldet.

Der im Sozialismus eingesetzte Boß zeigt im aufziehenden Kapitalismus im Osten Überlebensqualitäten. Wenn da sozialer Unwille steigt, wird das Image poliert, es wird „gesponsert“. Ackermann baut noch einen Kinderspielplatz dazu.

josch