Die Klippschule der Republik diskutiert den Plan

■ Plandiskussion im Politbüro im Jahre 1980 über den Planansatz 1981-1985. Es sprachen Genosse Erich Honecker, Genosse Willi Stoph, Genosse Kurt Hager und andere...

Jeder DDR-Bürger kennt die Krone der sozialistischen Demokratie - die Plandiskussion. Was aber kaum einer kennt, zeigt heute die taz: Die Plandiskussion in der Führungsriege. Wir veröffentlichen die wichtigsten Passagen aus dem streng vertraulichen Protokoll über die Beratung des Politbüros der SED zum Fünfjahresplan 1981-85. Berlin, 29.4.198

Streng vertraulic

Persönlich

Genosse Stoph: Wir haben hier ein sehr umfangreiches und wie mir scheint - auch von verschiedenen Seiten her durchgearbeitetes Material vorliegen. Bei aller Würdigung der Arbeit der Genossen möchte ich sagen, daß dieses Material nicht bilanziert. Das ist kein realer Plan, wenn man zum Beispiel auf den vorderen Seiten davon ausgeht, daß alles einigermaßen stimmt, hinten aber schreibt, daß es noch offene Probleme von 30 Milliarden (VGW) gegenüber der UdSSR gibt, ohne daß dann Festlegungen getroffen werden, wie das gelöst werden soll.

Es ist auch nicht ehrlich, wenn man Annahmen zugrunde legt, die nicht allein von uns abhängen. In früheren Jahren war der Import von Getreide aus der UdSSR im Plan enthalten, ohne daß wir entsprechende Zusagen von der Sowjetunion hatten. Jetzt sind Kreditsummen eingesetzt, die wir voraussichtlich nicht erhalten werden. Wir müssen, um Reserven zu mobilisieren, auch die Voraussetzungen sichtbar machen, die zentralerseits geschaffen werden müssen. Das ist jetzt nicht der Fall. So löst man nicht die Probleme, so kommt man zu keiner Proportion, zu keinem bilanzierten Plan, wie wir ihn brauchen. Ich möchte mit dem Nationaleinkommen anfangen, das, ich weiß nicht warum, erst auf Seite 93 behandelt wird. Ich möchte sagen, daß die vorgeschlagene Steigerung des Nationaleinkommens nicht bewiesen wird. 1976 -1980 haben wir bei einem niedrigeren Ausgangspunkt als jetzt einen Zuwachs von 4,3 Prozent jährlich. 1981-1985 sind 5,2 Prozent zugrunde gelegt, - unter komplizierten Bedingungen. Wenn das möglich ist, bin ich dafür. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß das nicht eingetroffen ist.

Das gleiche gilt für den Zuwachs der industriellen Warenproduktion und der Arbeitsproduktivität. Wenn wir das möglich machen können, bin ich dafür, aber dafür muß man Voraussetzungen schaffen. Diese höheren Ziele sollen bei weniger Investitionen realisiert werden. Wie das gemacht werden soll - ich sage ganz offen - ist mir schleierhaft; 5,9 Prozent Produktionszuwachs bei einem Materialzuwachs von 0,5 Prozent. In den vergangenen Jahren hatten wir jährlich einen Materialzuwachs von zwei Prozent. Das erfordert eine spezifische Senkung des Materialverbrauchs von fünf Prozent. Wenn wir das schaffen, und den Vorlauf in Wissenschaft und Technik haben können, wäre das sehr gut. Aber im Material gibt es keine Aussage, daß das wirklich zusammenpaßt. (...)

Ich möchte ganz offen sagen und ich möchte das nicht falsch verstanden wissen: Aus der internationalen Entwicklung, aus der Tatsache, daß wir ein rohstoffarmes Land sind wurden bisher insgesamt keine echten Konsequenzen gezogen. (...)

Genosse Stoph: Ich möchte feststellen, daß ich von der Ausarbeitung dieses Planansatzes ausgeschaltet wurde. Darum möchte ich darlegen wie ich die Probleme sehe. Ich möchte auf einige andere Fragen eingehen. Im Planansatz wird auf die abweichende Meinung der Minister verwiesen. Man muß die Meinung der Minister ernst nehmen. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, daß die Auffassung der Minister oftmals gestimmt haben.

Zu Einzelpositionen möchte ich nicht sprechen, da offensichtlich eine Diskussion hier nicht gewünscht ist. Ich möchte nur sagen, daß bei einigen Erzeugnissen eine starke spezifische Materialeinsparung verwirklicht werden soll. Die Genossen müssen uns sagen wie das geht. Zum Beispiel ist auf Seite 34 die Entwicklung des Benzinverbrauchs dargelegt, mit einer jährlichen Steigerung um 2,7 Prozent. Die Anzahl der Autos soll jedoch wie in früheren Jahren anwachsen, was zu einer Steigerung des Verbrauchs um 7-8 Prozent geführt hat. Wie soll das Problem gelöst werden? Mit Rationierung, mit Preiserhöhung oder wie? Dazu ist nichts gesagt.

Zu den Seiten 89 und folgende: Ich kann diesem ganzen Abschnitt nicht folgen. Ein Planansatz, der nicht bilanziert, und wenn dann steht, daß Briefe geschrieben werden sollen, also auch noch keine Antwort vorliegen kann, den kann man der Arbeit nicht zugrunde legen. Die Antwort der sowjetischen Genossen auf den vom Politbüro im Januar beschlossenen Brief haben wir noch nicht. sie werden wahrscheinlich die Entscheidungen nur Jahr für Jahr treffen. Ich habe nicht die Meinung, daß die UdSSR uns in dieser Höhe kreditieren wird. Es kann nicht so sein, daß die SPK einen Planentwurf einreicht, und dann, wenn sie es nicht schafft einfach der Vorsitzende des Ministerrates für die weitere Arbeit verantwortlich gemacht wird. Wir müssen hier mit Hilfe der Staatlichen Plankommission einen Planentwurf ausarbeiten. Ich bin bereit, mich mit meiner ganzen Kraft daran zu beteiligen, aber unter Berücksichtigung dessen, daß wir einen realen Plan vorlegen, unter Berücksichtigung der Erkenntnisse, was auf uns zukommt. (...)

Genosse Hager:Ich halte es für verdienstvoll, daß die Genossen der Staatlichen Plankommission mal aufgeschrieben haben, was es an Problemen beim Planansatz 1981-1985 gibt. Da kann man sich ein Bild machen für die Beantwortung der Grundfragen. Sie lauten: Wollen wir orientieren auf einen hohen Leistungszuwachs oder wollen wir zurückfahren; wollen wir die Politik des VIII. und IX. Parteitages fortsetzen oder wollen wir einen anderen Weg gehen. (...) Ich bin der Meinung, wir müssen unseren Weg konsequent weitergehen; aus Gründen, die einfach mit der weiteren Stärkung des Sozialismus zusammenhängen, mit der Stärkung der DDR; aus Gründen, die mit dem Leben, dem Denken und dem politischen Handeln der Bevölkerung zusammenhängen. Wir können keinen anderen Weg gehen als den, den die Partei schon mehrmals entscheiden hat und der sich als richtig herausgestellt hat. (...) Eine letzte Frage. Das ist mir nicht klar. Ich sehe auch noch keinen Weg: Wir haben offenkundig einen Widerspruch zwischen der Entwicklung der Nettogeldeinnahmen und dem Warenumsatz. Mit anderen Worten: Die Geldmenge, die vorhanden ist, ist zu groß. Wie soll man diesem Problem auf den Leib rücken?

Genosse Honecker: Indem man mehr Konsumgüter bereitgestellt. (...)

Genosse Sindermann: Es geht doch nicht um Details; es sind zwei Fragen zu entscheiden, und die sind schon entschieden: Es geht darum, unsere Politik des Leistungsanstiegs in Verbindung mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik fortzuführen. Das ist im Material der Staatlichen Plankommission enthalten. Die Tendenz ist da, und das müssen wir entscheiden. Das Zweite ist, wie wir das machen. Ich habe das Material von Gera gründlich gelesen. Die Abrechnung der Nettoproduktion hat doch ganz entscheidende Reserven aufgedeckt. In dieser Richtung müssen wir arbeiten. (...)

Genosse Mittag: Die gegenwärtig vorliegenden Vorschläge sind nicht geeignet, um hier entscheidende Schritte zu gehen. Ich sage auch offen, daß die Staatliche Plankommission gegenwärtig nicht soviel Kraft besitzt, um das allein zu machen. Ich möchte auch sagen, daß die Genossen der SPK in manchen Fragen einen falschen Standpunkt haben. Wir hatten eine Diskussion über die Entwicklung der Produktion von Mähdreschern. Ich gehe erst einmal davon aus, daß unsere Landwirtschaft versorgt wird. Jetzt gibt es aber günstige Möglichkeiten für den Export. Gegenwärtig sind 22.000 Stück zur Produktion vorgesehen. Wir brauchen aber vielleicht 32.000 Stück. Der Erste, der dagegen war, war Genosse Heinze aus der Staatlichen Plankommission. Das Mitziehen zu den Lösungen fehlt.

Genosse Neumann: (...) Was uns Sorgen macht, sind nicht die vielen kleinen Fragen, wie Senf und Reißzwecken. Alles, was auf diesen Gebieten passiert, ist der Ausdruck dafür, daß die Proportionen nicht in Ordnung sind. Also muß das Planprojekt bessere, solidere Proportionen schaffen, weil nur das die Möglichkeit gibt, Reserven zu erschließen. Damit ergibt sich die 1. Frage: Unter den komplizierten Bedingungen, unter denen sich das Leben in der DDR entwickeln muß, müssen doch von Anfang an Lehren aus dem jetzt laufenden Fünfjahrplan gezogen werden. Wie verhindern wir die Unsicherheiten in der gesamten Arbeit? Die ständigen Eingriffe und der ständige Krampf um die Bereitstellung irgendwelcher Valutamittel geht doch nicht. Damit ergibt sich die 2. Frage: Wie kommen wir zu einer höheren Stabilität des Planes? Die offenen Probleme werden im Laufe der Arbeit irgendwie gelöst. Aber wie groß dürfen sie sein, damit man sie lösen kann? Damit steht die Realität des Planes, die Realität der Reserven an Rohstoffen usw. Wir müssen wissen, wie wir über diese Fragen hinwegkommen, wie man sie lösen kann. Ich weiß nicht, ob die Genossen überlegt haben, was die Verschuldung bedeutet. (...)

Zur Stellungnahme der Abteilung: Zum inhaltlichen Teil will ich nichts sagen, aber zum zweiten Teil bin ich baß erstaunt. Im zweiten Teil ist die Plankommission verschwunden; wo bleibt in der Aufgabenstellung die Staatliche Plankommission?

Genossen Honecker: Ich will ganz offen sprechen: Wenn hier so weiter diskutiert wird, muß man die Frage stellen, was der Ministerrat ist. Jetzt soll die Diskussion zum Planansatz 1981-85 für heute zu Ende sein. Das Verdienst der Staatlichen Plankommission besteht darin, daß sie die Probleme zusammengefaßt hat. Jeder kann sich ein Bild machen. (...)

Es besteht kein Grund zu irgendwelcher Panik. Ich möchte auch entschieden zurückweisen, wenn Genosse Neumann sagte, daß die zurückliegenden jahre eine Periode ständiger Unsicherheiten waren. (...)

Haben wir bestimmte Schwierigkeiten? Natürlich haben wir solche Schwierigkeiten. Die Kapitalisten machen das mit Preiserhöhungen, indem sie ständig den Brotkorb höher hängen. In verschiedenen sozialistischen Ländern versucht man das mit der Erhöhung der Preise zu regeln, aber sie haben auch nichts in den Läden.

Ich würde nie einen Planansatz veröffentlichen, der vorsieht eine Steigerung beim Nationaleinkommen um 5,2 Prozent jährlich, um 5,9 Prozent bei der industriellen Warenproduktion, bei der Arbeitsproduktivität um 5,0 und bei den Nettogeldeinnahmen um 3,5 Prozent. Er hält 4 Prozent erforderlich als Steigerung. Alle werden sagen, daß das in Anbetracht der geforderten Leistungen zu wenig ist. Das heißt, mit der Produktivität muß auch der Lohn steigen. Man kann auch nicht ein weiteres übermäßiges Ansteigen der Spareinlagen vorsehen. Jetzt haben wir 100 Milliarden Mark. Wenn man das Vertrauen erschüttert, werden die Leute ihr Geld abheben. Das Vertrauen in die Mark muß erhalten bleiben. Das geschieht durch vielfältige Maßnahmen; durch den Eigenheimbau, durch die erhöhte Produktion und Bereitstellung von Konsumgütern und anderem.