Nichts ist so, wie's klingt, aber anders auch nicht

■ Deutsche Erstaufführung der Revolutions-Oper „Charlotte Corday“ von Lorenzo Ferrero am Bremer Theater respektive im Schlachthof

Breit ist die Bühne, doch ohne Tiefe. Weit aufgefächert, quer dazu, hoch oben schwebt, von mystischem Dunkel verhüllt, das Orchester. Harte Schläge auf das Schlagwerk, Streichergegrummel, wuchtige Blechattacken: Die Wirkung ist eine ungeheure. Irgendwie so muß es gewesen sein, als vor 3o Jahren in Walles eingegangenem Monumentalkino der Film Ben -Hur in Cinemascope und 7-Kanal-Stereo-Ton den verdutzten Besucher überwältigte. Doch Hollywood-Kino wird nicht geboten; das Bremer Theater spielt Oper im Schlachthof zu Bremen.

Halten wir trotzdem den Eindruck fest. Irgendwie so geht es dem Rezensenten den ganzen Abend bei Lorenzo Ferreros in Bremen für Gesamtdeutschland erstaufgeführten Oper „Charlotte

Corday“. Musik und Bühne erinnern ständig an Gehörtes, Gesehenes, schon Verdautes. Nichts ist so, wie es klingt, aber anders ist es auch wieder nicht.

Doch fahren wir fort im heiteren Zitate-Raten. Ben Hur wird bald verlassen, und wir treten ein in die Klangwelt der Kerker der Engelsburg. Nicht daß Puccini gespielt wird, nein es ist besser als Puccini, mit weniger Restsüße, ehrlicher, trockener.

Doch Zeit zum Schmecken bleibt nicht. Polizeichef, Soldaten, Volk bauen sich zu eindrücklichem Bild auf. Eisenstein: Oktober? Schaubühne: Optimistische Tragödie? Oder doch Dr. Schiwago? Nein, die Musik spricht eine andere Sprache. Das ist doch Meyerbeer. Ja, genau so muß damals ein großer Ensemblesatz aus, sagen wir mal Robert der Teu

fel auf die biedermeierlichen Berliner oder Pariser gewirkt habe. Es könnte auch Busoni oder besser Weill sein, aber die haben ja bekanntlich wiederum die gute alte Oper parodistisch zitiert.

Das Libretto, ein wirklich gutes Libretto, das den ganzen peinlichen Opernquatsch des 19. Jahrhundert geschickt vermeidet, handelt nicht vom Pferderennen, greift auch nicht die Story Vom Winde verweht auf (obwohl die Protagonistin in einem sehr schönen, rhythmisch und melodisch reizvollen Duett mit ihrem verzweifelten Liebhaber im zweiten Akt davon singt), sondern es handelt von der Revolution, der französischen, deren Jahrestag jüngst zu feiern war.

Halt, eigentlich handelt sie gar nicht von dieser Revolution, was Arno Wüstenhofer, der Regisseur, richtig erkannt hat, sondern eigentlich von allen Revolutionen, jedenfalls, das zeigt das 2. Bild des 1. Aktes, von den Versorgungskrisen, den typischen Folgen der Revolutionen.

Das aber eigentlich auch nicht so recht, aber irgend einen großen historischen Hintergrund braucht ja eine Oper, denn sonst versteht man das ausdrucksstarke Leiden an sich und der Welt, die großen Leidenschaften, die in Mord und Totschlag oder Liebestod zu enden pflegen, überhaupt nicht. Tristan und Isolde sind zum Beispiel ohne Revolution und Bürgerkrieg ausgekommen, aber die Oper ist auch entsprechend lang und nervig.

Aber ganz echt handelt die Oper Charlotte Corday eigentlich von dem alten, leider auch ganz aktuellen Thema des Volkstribunen, des finsteren, aber doch bezwingenden und von seiner auch erotisch verwirrten Mörderin; und das alles dargestellt durch die heimatlose Musikertruppe des Theaters zu Bremen unter der Leitung der Herren Istvan Denes und Arno Wüstenhöfer. Ach ja, an Peter Weis Sade/ Marat erinnert leider gar nichts.

Jetzt habich's: Die Oper handelt von dem herrlichen Ereignis

längst vergangener Tage, da festlich gestimmte Menschen nach vollbrachtem Tagwerk abends in die Oper strömen, um das jüngste Werk des bedeutenden Zeitgenossen XYZ mitzuerleben. Der Erfolg ist riesengroß, was man spätestens dann merkt, wenn die Arie aus dem 3. Akt auf den Gassen gepfiffen wird. Die Rekonstruktion ist gelungen, sie ist ansehnlich und hat in ihren besten Momenten auch den augenzwinkernden Charme der Postmoderne. Rekonstruierbar war allerdings nur die Fassade.

Theresa Erbe (Charlotte), Peter Volpe (Marat), Gerald Dolter (Gaston), Tadeusz Galczuk (Camille) und den Betrunkenen Karsten Küsters würde ich gerne wieder in einer Inszenierung von Wüstenhöfer unter Denes Leitung singen hören und spielen sehen, in einer richtig echt ollen Oper (vielleicht doch mal Meyerbeer zur Abwechslung). Und dann hätte ich gern, daß Lorenzo Ferrero eine neue Filmmusik für den Doktor Schiwago macht. Ich glaube, das würde es bringen.

Mario Nitsch