„Wir bitten um Vergebung“

Erfreut hat die Bonner CDU im Vorfeld der Weizsäcker-Reise Äußerungen von polnischen Politikern zur Kenntnis nehmen können, die Vertreibung der Deutschen aus Polen sei ein Unrecht gewesen. Karl-Heinz Hornhues, Vizefraktionschef der CDU, würdigte entsprechende Reden des Außenministers Skubiszewski und des Reformpolitikers Geremek.

Die Grundsatzrede des polnischen Außenministers zur außenpolitischen Orientierung Polens zwischen Ost und West ist aber auch in Polen allgemein begrüßt worden. Skubiszewski schuf mit seiner Rede am vergangenen Donnerstag vor dem Sejm Klarheit gegenüber den Zweideutigkeiten der letzten Wochen. Besonders die Frage, ob die sowjetischen Truppen tatsächlich in Polen stationiert bleiben sollten, um einer eventuellen Bedrohung der Oder-Neiße-Grenze vorzubeugen, war in den letzten Tagen in Polen heiß diskutiert worden. Zuletzt hatte dann der stellvertretende Senatsmarschall Wielowiejski Aufsehen erregt, als er im Fernsehen die Lage in Deutschland mit der Situation vor der Machtergreifung Hitlers verglich. Mit Skubiszewskis mehrfach entwickeltem Konzept einer „deutsch-polnischen Interessengemeinschaft“ schien das kaum unter einen Hut zu bringen zu sein.

In seiner Rede hatte Skubiszewski den Ausdruck „Interessengemeinschaft“ jedoch nicht wiederholt, an erster Stelle sprach er von den Beziehungen zur Sowjetunion. Doch klar ist nun: Der Abzug der sowjetischen Einheiten aus Polen ist nur eine Frage der Zeit. Die Beziehungen zur Sowjetunion stehen für den Außenminister im Vordergrund: „Bei unserem Weg nach Europa werden wir uns von der Sowjetunion nicht distanzieren.“ Unter dem Eindruck der Stimmung in Polen entschloß sich die Regierung ferner, in der litauischen Frage klar Stellung zu beziehen: „Die Hoffnungen des litauischen Volkes sollten erfüllt werden.“ Offen ließ Skubiszewski dagegen, welche Position Polen gegenüber der Frage regionaler Zusammenarbeit beziehen wird: zur Ostsee und den baltischen Staaten hin, zu „Mitteleuropa“, d.h. der Tschechoslowakei und Ungarn hin oder nach Westeuropa. Gute Beziehungen will Skubiszewski zu allen, ohne Schwerpunkte zu setzen.

Nicht nur der Fraktionsvorsitzende der Solidarnosc -Bürgerkomitees im Parlament, Prof. Bronislaw Geremek, stimmte Skubiszewskis Ausführungen zu, auch die Kommentatoren der Presse berichteten darüber mit Wohlwollen. Skubiszewskis unternehme den Versuch, Polens geopolitische Lage, die sich bisher stets als Last oder gar Falle erwiesen habe, in einen Trumpf zu verwandeln, findet etwa die Tageszeitung 'Zycie Warszawy‘. Solch ein Programm erfreue sich der Zustimmung der Mehrheit.

Daß die Außenpolitik der Regierung Mazowiecki nur eine Fortführung der über vierzigjährigen kommunistischen Tradition sei, dagegen wehrte sich Prof. Geremek gleich mehrfach. In der Regierungszeitung 'Rzeczpospolita‘ schrieb er am Tag nach der Debatte, die Außenpolitik sei nun zum ersten Mal von einem nationalen Konsens getragen. Polen könne auf einen außenpolitischen Erfolg in der Frage der Beteiligung an den Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung blicken. „Es ist nun Zeit, mit der Politik der Angst zu brechen“, schreibt Geremek mit Blick auf die polnische Deutschlandpolitik, „mit der im letzten Jahrzehnt verfolgten Erpressung mit der deutschen Bedrohung. Die deutsch-polnische Versöhnung ist eine reale Perspektive und eine reale Notwendigkeit. Vor einem Vierteljahrhundert erklärten die polnischen Bischöfe, woran heute von Minister Skubiszewski erinnert wurde: Wir verzeihen und bitten um Verzeihung.“ Dies hieße aber nicht vergessen. „Wir denken mit dem Gefühl der Verantwortung an das Unbill jener Hunderttausenden von Deutschen auf dem Gebiet des polnischen Staates am Ende des Krieges und in den Monaten danach. An diejenigen, die Opfer des Unrechtes und des Leids wurden, die ihre Häuser aufgeben mußten und ausgesiedelt wurden. Wir denken an das Leid der Unschuldigen, die den höchsten Preis für die Schuld des verbrecherischen Systems und für die Schuld der Verbrecher bezahlten, für diejenigen, die den schrecklichsten Krieg der Menschheitsgeschichte verursachten, und wir sprechen davon mit einem moralischen Imperativ. Ja, wir bitten um Vergebung.“ Zugleich könne Polen jedoch keinerlei moralische Belehrungen akzeptieren, schwer sei es, die Arroganz derer zu verstehen, die von Polen Entschuldigungen verlangten: „Die fragen wir nach ihrer eigenen Verantwortung für das, was die Schande des 20. Jahrhunderts wurde“, schreibt Geremek unmißverständlich an die Adresse westdeutscher Vertriebenenfunktionäre - aber wohl auch an Kanzler Kohl. Er forderte erneut eine klare Stellungnahme zur polnischen Westgrenze.

Klaus Bachmann