Schwarze, Weiße und Tourismus

■ Andras Fricsay inszeniert „Was ihr wollt“ in Bremen

Am Anfang ist der Vorhang: eine Comic-Zeichnung mit drei Männern im Meer; eine ironische Anspielung auf das Wasser, das dem Bremer Ensemble nach einem schwierigen Start und bislang nur einer gelungenen Produktion (Koltes‘ Kampf des Negers und der Hunde) bis zum Halse steht? Dieses Mal soll das Publikum erobert werden: In einem furiosen Schlußreigen aller MitspielerInnen werden Facetten der Inszenierung persiflierend aufgenommen - „Ist es das, was ihr wollt? Oder lieber das?“

Andras Fricsay hat sich dafür entschieden, Shakespeares Illyrien aus dem Imaginären nach Afrika zu verlegen, in eine Wellblechszenerie mit Theke und kaputten Plastikstühlen. Hier landet nicht der Neckermann-Tourist - eher hat sich allerhand Kolonialstrandgut festgesetzt. Ein Ort, von dem keiner mehr fortkommt: der verliebte Orsino, ein windiger weißer Geschäftemacher mit seinen Kumpels, umgeben von schwarzen Frauen, die er für ihre Songs und Tänze bezahlt; Tobias Rülp und Bleichenwang als Schwadroneure und Zecher; der Narr ein Schwarzer im Karoanzug, devot und dreist zugleich. Daß die schiffbrüchige Viola sich als Mann verkleidet, um in Orsinos Diensten zu überleben, leuchtet an diesem Schrott-Ort zwischen Graffitiwänden und Mülltonen ein - daß sie sich in den glattbösen Orsino (Andreas Grotgar) verliebt, schon weniger, aber unter dem Gesichtspunkt des Überlebens im Dschungel der Khakimänner und Kongo-Müller ist es zu begreifen. Die Welt der von Orsino begehrten Olivia ist mit Plastiksofa, Zebratapete und Gummibaum die einer halbseidenen indischen Dame, und nur der Butler-Verschnitt Malvolio (Ilja Richter) steht fürs Feine. Der Kern von Shakespeares Verwirrspiel um Sein und Schein, um die Schöne, die sich in die als Mann verkleidete junge Frau verliebt, und Orsino, den sein mannweiblicher Diener zunehmend verwirrt, verliert in dieser Inszenierung seine Bedeutung. Wichtiger wird die Atmosphäre von Wellblechkaff, Kunst -Urwald mit Glitzerpalme und Stoffäffchen und Talmi-Boudoir: die Kerle, die nach Bölkstoff brüllen und die schwarzen Frauen anmachen, die „Bimbos“ und „Rastabräute“, die für weiße Touristen Trommel und Bastrock in Bewegung setzen und trotz allem immer auch wieder selbst Spaß daran haben, man glaubt es kaum.

Regisseur Fricsay hat diese Welt entzaubert, mit allen Mitteln: Er nutzt die Touristenrequisiten, Fotoapparat und Transistorgerät, läßt den Joint kreisen, mischt die Diskoklänge mit Hundegebell, Autohupen oder Zikadengezirpe. Bewegung kommt ins Spiel, weniger durch die trägen, schlaffen Begierden von Orsino und Olivia als durch die Intrigen des Tobias Rülp, einem Macho im Schottenrock (!), der die alkoholdumpfe Aggressivität spürbar werden läßt, wenn er den einen schwächlichen Mann auf den vermeintlichen anderen hetzt. Auch Ilja Richters Geschichte des Dieners Malvolio, der von den boshaften Schwarzen in einen Urwaldtraum eigener Art geschickt wird, ist sehenswert: Während seine Plagegeister auf einer Schaukel unter dem Glitzersternenhimmel kichernd Chips und Bier genießen oder ihn im Voodoo-Kostüm heimsuchen, verstrickt sich der aufstiegsgierige steife Mann in seine Wahngebilde und die geschnürten gelben Strümpfe gleichermaßen. Andras Fricsay teilt im Programmheft mit, er sei „nur ein Geschichtenerzähler“. Die Geschichten, die er auf Florian Parbs‘ beweglicher Wellblech- und Talmi-Bühne ineinander übergehen läßt, mit großem Tempo und gelungenen musikalischen und tänzerischen Einlagen, sind so lange interessant, wie sie Funken aus der schwarz-weißen Begegnung schlagen und dabei die Schattenseite nicht aussparen. Shakespeares Stück mit seinen Verwirrungen, seiner grausamen Scheinidylle hätte durch die Idee eines postkolonialen Touristenafrikas eine neue Intensität gewinnen können. Doch vor allem im letzten Teil bleibt die Spannung auf der Strecke, weil die Geschichten im Klamauk versanden und die schauspielerische Sorgfalt nicht durchgehalten wird - kein Ensemble kann überspielen, daß es noch keines ist. Wichtiger aber ist etwas anderes: die gedankliche Alternative, die Fricsay dem organisierten Tourismus entgegensetzen will und die seinen Zugang zum Stück bestimmt, ist ebenfalls keine: „Auf eigene Faust losziehen und Erfahrungen jenseits von Organisation sammeln“ - das ist bestenfalls naiv und läßt die Inszenierung gegen Ende zur Substanzlosigkeit zerbröseln. Die Ankündigung, sich „auf der schmerzhaften Trennlinie zwischen Schwarzen, Weißen und der Plage des organisierten Tourismus“ bewegen zu wollen, wird nicht eingelöst, weil die Inszenierung sich den Schmerz erspart. Mit stimmigen Bildern und gelungenen Einfällen kann zwar Applaus provoziert werden - doch die „Eroberung“ des Publikums steht noch aus.

Lore Kleinert

Was ihr wollt, Schauspielhaus Bremen, Regie: Andras Fricsay.