Ein generöses Gastgeschenk

Alemannia Aachen - Hertha BSC 1:1 / Hertha im Aufstiegsjubel mit großzügiger Tatenlosigkeit  ■  Aus Aachen Bernd Müllender

In diesen Tagen des gesamtdeutschen Glückstaumels, sprachen seit Wochen zahllose Politiker und Fußballfreunde mit ganz besonderem nationalem Bewßtsein, müsse doch auch Berlin in der Bundesliga vertreten sein. Nun ist der Herzenswunsch der deutschen Deutschdenker in Erfüllung gegangen. Die Dame Hertha, fußballerisches Nachnamenskürzel BSC, Geburtsort Berlin zu Preußens Glorienzeiten, ist ins Oberhaus aufgestiegen, ausgerechnet in Aachen, der alten Kaiserstadt, wo sie vor vier Jahren von der heimischen Alemannia zum schmählichen Gang in die Amateurliga verurteilt worden war.

Alles schien somit wie perfekt inszeniert. Doch die Spieler konnten hernach in der Kabine, vom „Gold Cuvee halbtrocken“ klebrig verspritzt, noch so ausgelassen herumjauchzen. Die Fernsehkameras diverser Anstalten konnten noch so authentisch die gröhlende Masse der volltrunkenen „Hertha Frösche“, dem anerkannt rechtsradikalsten Fanblock der Gesamtnation, abfilmen - das Ergebnis hatte hinterher einen argen Beigeschmack von Manipulation.

Anlaß dazu gab die kuriose Schlußphase mit einem sehr offensichtlichen Gastgeschenk. Die Kunde von der Stuttgarter -Kickers-Niederlage (dem letzten - theoretischen Aufstiegskonkurrenten der Berliner) war bereits vorzeitig angekommen, Herthas Spieler umarmten sich schon, Trainer Werner Fuchs tanzte mit der Gattin an der Seitenlinie umher, und jeder böswillige Realist rechnete mit einem Gastgeschenk der Freudetrunkenen.

Theo Gries aber, Herthas Torjäger und einst im Groll geschiedener Ex-Aachener, hatte für Hilfsgesten keinen Sinn. Er schaffte mit einem krachenden Volleyschuß in der 85. Minute das 0:1 - das wäre der vermutliche Todesstoß für die Alemannia im Abstiegskampf gewesen. Dann wollte es der Zufall doch noch, daß in der vorletzten Minute kein Berliner mehr so recht zum abwehrenden Kopfball hochsprang, daß ein Kullerball sich Richtung Tor aufmachte und daß Kastenhüter Junghans dem Leder so lange tatenlos hinterherblickte, bis es endlich im Netz zum Stillstand kam.

Theo Gries hatte sich nichts vorzuwerfen: „Für mich“, sagte er mit stolzer Genugtuung, „den sie in Aachen rausgejagt und weggeekelt haben, ist es ein besonderer Triumph, gerade hier aufzusteigen.“ Die anderen lächelten verneinend auf die Frage nach Hilfestellung. Und Trainer Fuchs, Aachens Ex -Coach, der mit seiner Familie nach wie vor direkt neben dem „Tivoli„-Stadion zweitwohnt und viele freundschaftliche Kontakte zum früheren Arbeitgeber hat, wußte hinterher nur zu erklären, die Seinen seien im vorzeitigen Jubel halt nicht mehr so ganz konzentriert gewesen.

Daß die Hertha ausgerechnet mit einem 1:1, der aktuellen deutsch-deutschen Zauberformel, aufgestiegen ist, mag die nationale Freude abrunden. Die Konkurrenten der Aachener werden da ganz anders drüber denken. Und Schiedsrichter Umbach, dessen verspätete An- und Abpfiffe das Ergebnis erst ermöglichten, mag zur Erkenntnis gelangen, daß Ungleichzeitigkeit ein entscheidender Faktor im Zahlenwerk des Fußballs sein kann. Anders als im zivilen Leben. Da ist Umbach Professor für Mathematik.