„Keine Kandidatur für Funktionäre“

Inzwischen über hundert Organisationen in Temeswar und anderen Städten des Landes unterzeichneten die „Proklamation von Temeswar“  ■ D O K U M E N T A T I O N

Es war die Bevölkerung von Temeswar, die die Revolution auslöste. Ganz allein führte sie vom 16. bis 20.Dezember 1989 einen unerbittlichen Krieg gegen eines der grauenhaftesten Unterdrückungssysteme der Welt. (...) Gegen den Freiheitsdrang der Temeswarer erwiesen sich die Repressionsmethoden des Regimes als unwirksam: Weder Verhaftungen noch Massenmord konnten die Menschen aufhalten. (...) Am 20.Dezember wurde Temeswar zur ersten freien Stadt des großen Gefängnisses, in das der Ceausescu-Klan das Land verwandelt hatte. Die Ereignisse seit dem 28.Januar 1990 stehen im Gegensatz zu den Idealen der Revolution. Wir fühlen uns verpflichtet, der gesamten Nation zu erklären, wofür die Temeswarer den Aufstand entfacht und ihr Leben geopfert haben:

1. (...) In Übereinstimmung mit dem Streben der Menschen in Osteuropa fordern wir die vollständige Abschaffung des totalitären Systems.

2. An der Temeswarer Revolution beteiligten sich Menschen aller Gesellschaftsschichten und Altersstufen: Arbeiter, Bauern, Intellektuelle, Beamte, Studenten, Schüler und Kinder. Wir rufen alle zu einem zivilisierten und konstruktiven Dialog auf.

3. Für den Sieg der Temeswarer Revolution opferten sich außer Rumänen auch Ungarn, Deutsche, Serben und Angehörige anderer ethnischer Gruppen, die seit Jahrhunderten friedlich in unserer Stadt zusammenleben. Wir laden alle Chauvinisten des Landes, ganz gleich ob sie Rumänen, Ungarn oder Deutsche sind, nach Temeswar ein, um an einem Lehrgang über Toleranz, über gegenseitige Achtung teilzunehmen. (...)

6. Wir verurteilen die Manipulation bestimmter Bevölkerungsschichten durch Gruppen, die ein Wiederaufleben des kommunistischen Systems betreiben und die Machtergreifung vorbereiten, als konterrevolutionäre Aktion.

7. Der Aufstand richtete sich auch gegen die Parteinomenklatura. Aus diesem Grund wehren wir uns gegen den Versuch einiger Parteidissidenten, unsere Revolution zum politischen Aufstieg zu mißbrauchen.

8. Deshalb schlagen wir vor, daß das Wahlgesetz für die ersten drei Legislaturperioden den ehemaligen Parteifunktionären und Securitate-Mitgliedern jedwede Kandidatur untersagt. Außerdem fordern wir, daß kein ehemaliger KP-Funktionär für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren darf. (...)

10. Wir treten ein für die Wiedereuropäisierung Rumäniens, nicht jedoch für die Nachahmung des kapitalistischen Systems. Die Temeswarer sind entschieden für die Privatinitiative, denn politischer Pluralismus setzt wirtschaftlichen Pluralismus voraus. (...) 12. Wir treten offen für die Repatriierung der Exilierten ein, die ihre Heimat verlassen mußten.

13. Wir fordern, nicht den 22.Dezember zum Nationalfeiertag zu machen, sondern den 16.Dezember. Auf diese Weise werden unsere Kinder und Kindeskinder den Mut des Volkes, der Unterdrückung zu widerstehen, feiern und nicht den Sturz eines niederträchtigen Tyrannen.

Temeswar, am 11.3.1990 (übersetzt von William Totok)