Weizsäcker: Westgrenze unwiderruflich

Erster Besuch eines bundesdeutschen Staatsoberhauptes in Polen / Warschau erwartet Stellungnahme von Richard von Weizsäcker zu Zwangsarbeiterentschädigung und Westgrenze / Interview im polnischen Fernsehen / Kranzniederlegung noch vor Gespräch mit Jaruzelski  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Pünktlich und bei strahlendem Sonnenschein landete Bundespräsident Richard von Weizsäcker gestern morgen auf dem Warschauer Flughafen Okecie. Sein viertägiger Besuch ist der erste eines bundesdeutschen Staatsoberhauptes in Polen. Entsprechend hoch wird das Ereignis daher auch in Polen eingestuft. Im Gegensatz zu Kanzler Kohl gilt Weizsäcker als verständigungsbereiter und Polen wohlgesonnener Politiker.

So schrieb gestern die linksliberale Warschauer Wochenzeitung 'Polityka‘, die den Kohl-Besuch vom letzten November recht kritisch kommentiert hatte: „Richard von Weizsäcker mißt Worten und Gedanken hohe Bedeutung zu; er ist ein Politiker, der sich von protestantischer Ethik und Rationalismus und vom Geist der Bergpredigt leiten läßt, er verfügt über ein Gefühl für Harmonie und über gesunden Menschenverstand.“ Schon 1962 habe er sich in einem 'Zeit' -Artikel dafür ausgesprochen, Polen als Nachbarn ernst zu nehmen und die polnische Westgrenze anzuerkennen. Er habe auch dazu beigetragen, daß der Warschauer Vertrag von 1970 im Deutschen Bundestag eine Mehrheit fand. Unmittelbar nach seiner Ankunft, noch vor dem Beginn der offiziellen politischen Gespräche, legte der Bundespräsident zwei Kränze nieder: den einen am Grabmal des Unbekannten Soldaten, den anderen am Denkmal für die Opfer des Warschauer Aufstandes von 1944.

Bei einem Bankett, das Präsident Wojciech Jaruzelski zu Ehren seines Bonner Gastes gab, stellte Weizsäcker am Abend klar: Polen könne ohne Vorbehalt darauf vertrauen, daß die Grenzfragen „in ihrer Substanz unwiderruflich geklärt sind und daß sie im Zuge der werdenden deutschen Einheit die nötige völkerrechtlich verbindliche Vertragsform erhalten werden“. Dies werde aber nicht gesagt, um menschlich erlittenes Unrecht zu legitimieren. Es werde gesagt in bleibender Verbundenheit mit dem schweren Los der deutschen Landsleute, die Haus und Hof, Dorf und Heimat verloren hätten. Er wisse, daß auch viele Polen ein solches Schicksal hätten erleiden müssen, und er wisse auch, „daß es gewiß nicht die polnische Bevölkerung war, die am Ende des Krieges die Verlagerung des polnischen Territoriums nach Westen veranlaßt und durchgesetzt hat“.

Eindringlich erinnerte der Bundespräsident an die Grauen des letzten Krieges, mit dem die Deutschen die Polen überzogen: „Unsagbare Leiden sind ihnen durch Deutsche widerfahren, und wir tragen daran schwer.“ Die Wunden heilten nur langsam. Man könne in der Geschichte beider Völker nichts gegeneinander aufrechnen: „Was ein Mensch zu erdulden hatte, wird durch das Schicksal eines anderen nicht leichter.“

Die Frage einer Entschädigung für die während des Krieges nach Deutschland verschleppten Zwangsarbeiter klammerte Weizsäcker in seiner Rede aus. Am Dienstag abend hatte er in einem Interview mit dem polnischen Fernsehen gerade auf diese Frage ausweichend geantwortet. Kommentar Seite 4