Neu in der Gondel: „Vincent & Theo“ von Robert Altman

■ Die Kunst des Weglassens

Vincent hieß er und soll sich das Ohr abgeschnitten haben. Er ist seit hundert Jahren tot und hat Sonnenblumen gemalt, eine Zugbrücke und etliche Selbstportraits. Und ganz wichtig: Seine Bilder sind sündhaft teuer.

Doch Vincent van Gogh war viel mehr. Das hat Regisseur Robert Altman mit Vincent & Theo bewiesen. Vincent war auch der Bruder seines Geldgebers Theo, er war wahnsinnig, er war besessen und er war selbstzweiflerisch bis ins Mark. Außerdem räumt Altman mit einer blutigen Legende auf. Van Gogh schnitt sich nur das linke Ohrläppchen ab. Warum war der Meister so? Was steckte dahinter?

Altman versucht gar nicht erst, zu psychologisieren oder nach tiefgründigen Basiserlebnissen zu forschen. Er filmt einfach ab und bleibt an der Oberfläche. Wie Patchwork setzt sich sein Film zusammen, chronologisch zwar, aber ohne erkennbare erzählerische Linie. Und trotzdem lernen wir Vincent van Gogh in den knapp zweieinhalb Stunden besser kennen. Vincent war zeit seines Lebens ein armer Mann. Seinen Lebensunterhalt bezahlte sein syphilitischer Bruder Theo, der in Paris als angestellter Galerist Bilder verkaufte. Nur nicht die seines älteren Bruders. Das Leben Vincents ist unvollständig, wenn man die Rolle Theos nicht versteht, da hat Robert Altman völlig recht. So spiegelt auch der Film das Wechselspiel der beiden wider, ganz behutsam. Während Theo sich in seinem Appartement der Freundin zuwendet, bemalt Vincent in seiner Bruchbude vor dem Spiegel das eigene Gesicht. Oder: Theo langweilt sich in seiner kommerziellen Galerie, während sein malender Bruder vom südfranzösischen Wind umweht in einem Meer von Sonnenblumen wütet.

Vincent genügt seinen eigenen Ansprüchen nicht, er tritt auf die Leinwand ein, die Kamera zuckt hin und her, das Gelb der Blumenköpfe wogt, und der Maler findet keinen Zugang zu seinem Thema.

Auch in dieser Szene entwikkelt Altman die Gefühle van Goghs von den Bildern her und saugt die Kraft des Künstlers mit der Kamera auf. Hier wird deutlich, welch glückliche Hand die Besetzung bei der Verpflichtung von Tim Roth hatte. Im Verein mit dem Waliser Paul Rhys läßt er sich vom Erzähl -Filmer Altman in Vincent & Theo nie dazu verleiten, dem Phänomen Vincent van Gogh eine eigene schauspielerische Interpretation zu oktroyieren. Altman kann weglassen. J.F.Sebastia