Das Ende des Damentennis

Martina Navratilova machte das sportliche Patiencespiel „Damentennis“ zum professionell betriebenen, dynamischen Frauensport  ■  Aus Hamburg Jan Feddersen

„Deutsche Journalisten sind wohl schüchtern“, spottete Martina Navratilova mit einem leichten Lächeln um den Mund. Sie irrt, aber das kann sie nicht wissen. Denn wenn Stefanie Maria Graf den Presseraum auf der Tennisanlage am Hamburger Rothenbaum betritt und den Reportern versichert, man dürfe weiterhin „Steffi“ zu ihr sagen, der Name sei schließlich ihr Markenzeichen, ist es mit den reservierten Mienen der schreibenden Tennisgilde vorbei. Dann quellen die Fragen nur so aus den Mündern: „Wie fühlst Du Dich, Steffi?“ Dann wird kein Tabu ausgespart: „Steffi, was hast Du gestern im Kino gesehen?“

Bei der gebürtigen Tschechoslowakin Martina Navratilova, mit inzwischen 17 Grand-Slam-Titeln und 150 Profiturniersiegen sowie geschätzten 50 Millionen Dollar Privatvermögen die ungekrönte Tenniskönigin der achtziger Jahre, liegen die Dinge anders. Eine 33jährige zu fragen, in welchem psychischen Zustand sie sich befinde, verbietet sich offenbar von allein. Miß Navratilova, die schon vor Jahren mit der Nachricht, sie sei lesbisch, dafür gesorgt hat, daß schlüpfrige Nachstellungen fortan unterbleiben können, flößt Respekt ein.

Jahrelang hat sie auf den Centre Courts der Welt alles dafür getan zu zeigen, daß Damentennis zu einem auslaufenden Modell wurde. Frauentennis - physisch stark, trainingsintensiv, aggressiv und siegeswillig - machte sie zu ihrer ureigenen Domäne.

Warum sie überhaupt am Hamburger Rothenbaum spiele, wurde sie gefragt. Schließlich sei ihr größtes Ziel, zum neunten Mal in Wimbledon zu gewinnen, an der Stätte ihres erstes großen Triumphes. Ein langsamer Sandplatz wie in Hamburg sei doch bestimmt nicht dafür geeignet, auf dieses Ziel hinzuarbeiten. „Mir macht es Spaß“, sagte sie. Eine Mitarbeiterin der WITA, des Welttennisverbandes der Frauen, wußte schon vorher: „Martina macht sowieso das, was ihr paßt.“

In gewisser Hinsicht dürfte dieser Satz als Leitmotto ihres bisherigen Lebens gelten. Am 18. Oktober 1956 wurde Martina Navratilova in der grauen Prager Vorstadt Revnice geboren. Ihr Vater förderte das Bewegungstalent der damals dürren Bohnenstange. Doch nicht nur äußerlich paßte sie überhaupt nicht ins Püppchenkabinett der Tennisjuniorinnen. Martinas größter Vorzug, der entscheidende Unterschied zur sonstigen Frauentennisszene: Ihr Wille zum Sieg. „Ich wollte mich nicht unterkriegen lassen“, schrieb sie in ihren Memoiren Mitte der achtziger Jahre.

Anfang der siebziger Jahre reiste Martina erstmals in den kapitalistischen Westen und ließ sich ordentlich antörnen von vollen Regalen, bunten Farben und einem Lebensstil, der viel lockerer schien als in ihrer realsozialistischen Heimat. „Amerika“, erklärte sie mal, „Amerika war für uns das große Ziel.“

1975 stellte sie während eines Turniers in den USA einen Antrag auf politisches Asyl. Erst Anfang der Achtziger wurde sie eingebürgert - dazwischen lebte sie in einem, ernährungswissenschaftlich gesehen, kulinarischen Inferno. Kiloweise stopfte sie Junkfood in sich hinein und trank am liebsten zuckerhaltige Cocagetränke. Zur Strafe quoll sie auf, wurde zum wandelnden Kummerspeck und war schon deswegen außerstande, mit ihrem mutigen Serve-and-Volley-Spiel ihre Gegnerinnen zu defensiven Grundlinienschleicherinnen zu degradieren.

Mit ihrem ersten Wimbledon-Sieg 1978 begann ihr Siegeszug durch die Tennisarenen der Welt, wurde die damals dominierende Präzisionsschlägerin Chris Evert auf die zweite Position verdrängt. Und die Reporter fragten erstmals: Wer ist diese Dame, die den Amerikanerinnen das Fürchten lehrt? Und fanden heraus, daß es mit der Liebe im Hause Navratilova so ganz anders bestellt ist. Der erste Versuch in Sachen Heterosexualität blieb zugleich der letzte: „Es war kalt, unromantisch und unbequem. Sterne sah ich auch keine. Wozu soll das gut sein, wenn es so weh tut, dachte ich mir.“

Zum Entsetzen ihrer Eltern („Die sagten, das tut man nicht“) verliebte sie sich in eine Frau und hakte diese Episode nicht als läßliche Sünde ab. Rita Mae Brown, schreibende Kämpferin der amerikanischen Lesbenbewegung, brachte ihr bei, sich in einer Männerwelt zu behaupten. Und mit Nancy Lieberman, einer glänzenden Basketballspielerin, verbrachte sie nach eigener Auskunft ihre „wildesten Jahre“. Eine Aussage, die vor allem in sportlicher Hinsicht zutrifft: Mit reichlich Geld in der Tasche engagierte sie einen Stab von Helfern. Ein Ernährungsberater beispielsweise half ihr, die richtige Speisen zu wählen, um Topleistungen zu bringen. Andere rieten ihr mit Erfolg, sich der Tortur von Kraftmaschinen, dem Stretching und dem Ausdauertraining auszuliefern. 1982 war ihr furchterregender linker Spielarm bereits Legende.

Angst nur vor Mike Tyson

In den letzten vier Spielen hat sie indes gegen Stefanie Graf nichts ausrichten können. Hat sie Angst vor ihr? „Nein, nur vor Mike Tyson hätte ich Angst.“ Steffi Graf sei auch schlagbar, „ganz gewiß“. Und wenn sie verliert? „Meine Güte, dann habe ich ein Tennismatch verloren.“ Mehr nicht, heißt dies.

Fragen danach, ob sie wieder die Nummer eins werden will, findet sie „komisch“. Schließlich wolle jede Sportlerin die Nummer eins werden. Auskünfte über das Ende ihrer Karriere bescheidet sie gewöhnlich souverän: „Sie werden es früh genug erfahren. Vorläufig bringt es mir noch Spaß. Möglich, daß ich noch im Jahre 2000 spiele. Oder auch nicht.“

Am Hamburger Rothenbaum jedenfalls, wo die Frau mit den zartgliederigen Händen erstmals seit 16 Jahren wieder spielt, gilt ihr der größte Respekt, manchmal auch richtige Zuneigung. Anders als bei Steffi Graf ist jede Gefühlsregung, jede Gemütsschwankung zu sehen. Mit anderen Worten: Ein Spiel der Navratilova langweilt nie, man weiß schließlich nicht genau, ob sie nicht vielleicht doch verliert.

Anders: Die Navratilova verkörperte wie keine sonst den modernen Frauentyp der Neunziger bereits zehn Jahre vorher: verletzlich, sportlich, fair, präsent und nicht unterzukriegen. Und vielen gefällt es offenbar zu sehen, daß eine Frau mit Falten und Muskeln nicht gewillt scheint, sich den Nachstellungen der (zumeist männlichen) Presse, den Obsessionen des Publikums zu unterwerfen.

Beifall gab's dafür, daß sie einem Ballmädchen ihre Brille anbot, um bessere Linienentscheidungen treffen zu können. Die Navratilova hat aus einem sportlichen Patiencespiel für Damen eine professionell betriebene Frauensportart gemacht. Daß sie deswegen nicht im allgemeinen Spielerinnenhotel wohnen muß und stattdessen im sowohl vornehmen als auch hanseatischen „Hotel Vier Jahreszeiten“ mit ihrer Freundin Judy Nelson abgestiegen ist, versteht sich dann schon von allein. „What I do is my life. You understand?“ - Keine Fragen mehr.

2. Runde: Sanchez - Rittner 6:4, 6:1; Langrova Caverzasio 6:3, 6:4; Probst - Tanvier 6:3, 6:2; Hanika Pampoulowa 6:4, 6:0; Sukova - Meier 6:1, 4:6, 7:5; Navratilova - McQuillan 3:6, 6:1, 6:1; Jagerman - Morton 6:3, 7:5; Rajchrtova - Coetzer 6:4, 3:6, 6:1; Meschki Baranski 5:7, 6:1, 6:2; Cueto - Paz 3:6, 6:4, 6:4

Achtelfinale: Graf - Provis 6:0, 6:2

Männer in München, 2. Runde: Courier - Oresar 6:2, 6:1, Svensson - Srejber 6:1 (Aufgabe Srejber); Muster Gustafsson 7:5, 6:2;

Achtelfinale: Strelba - Edberg 6:4, 6:1