Rosa Kosaken in deutschen Köpfen

■ Lew Kopelew in Oldenburg: Zur Geschichte deutsch-russischer Fremden- und Feindbilder

Fragen der Zeit, wie sie die Karl-Jaspers-Vorlesungen in Oldenburg stellen wollen, sind zur Stunde zumeist deutsche Fragen, und der teutonische Ernst, mit dem die deutsche Frage sich gegenwärtig selbst wichtig nimmt, müßte einem historisch und kosmopolitisch denkenden Menschen wie Lew Kopelew bitter aufstoßen. Zeitgeistiges stand also mit seiner Vorlesung in der vergangenen Woche zu erwarten, noch dazu, wo der Sacharow-Intimus als Exilrusse und Germanist quasi ein personifiziertes Ost-West-Verhälltnis darstellt.

Kopelews Vortrag mit dem Titel „Fremdenbilder - aber keine Feindbilder“ war äußerlich allerdings eher „bewegend“, was das fast subversiv zu nennende Kommen und Gehen der Oldenburger Zeitgeister betraf: Wer nicht zu spät kam, ging früher.

Dabei forderte Kopelews Revue des 19. Jahrhunderts zu Quellen und Geschichte deutscher und

russischer Fremdenbilder des jeweils Anderen hohe Aufmerksamkeit. Gerade bei Fremdenbildern lägen allzuoft kurzschlüssige Gleichsetzungen von Herrschaftsinteressen und Volkswillen vor. So sei für ihn die geistige Einheit der beiden deutschen Staaten nie in Frage gestellt gewesen, trotz entgegengesetzter Machtinteressen östlich und westlich der Mauer.

In den Mittelpunkt der Ausführungen rückte Kopelew die geistigen Verbindungen zwischen dem zaristischen Rußland und dem monarchistischen Deutschland, deren erste Blütezeit mit der napoleonischen Bedrohung des übrigen Europa und den Befreiungskriegen gegen den französischen Kaiser einherging. Wie Kopelew anhand zeitgenössischer Poesie darlegte, ritten in den Dichterköpfen Deutschlands die rettenden Kosaken in rosa Farben einher. Doch noch vor dem Wiener Kongreß 1815 nahm Goethe hell

sichtig die Wende zum Zeitalter der Restauration wahr, als er mit der Befreiung von der Tyrannei durch Rußland auch „die Befreiung von der Freiheit“ vierzeilend heraufdämmern sah.

So gaben sich die Herrscher zwar aufgeklärt kosmopolitisch

-allerdings vornehmlich um die konservativen Kräfte Europas gerade gegen die aufklärerischen Bewegungen und liberalistischen Tendenzen zur „Heiligen Allianz“ zusammenzubinden. Im Unterschied zu heute schienen damals also - Ironie der Geschichte - die konservativen Staatskräfte rußlandfreundlich, während gerade die demokratischen Fortschrittsbewegungen des jungen Deutschland das Bild Rußlands als Hauptschuldigen der reaktionären Politik a la Metternich aufbauten und das Fremdenbild zum Feindbild umschlug.

Damit ist für Kopelew bereits im 19. Jahrhundert eine wesentliche Quelle für die Verzerrungen

des Russenbildes noch über den Nationalsozialismus hinaus angelegt. So beschwor beispielsweise der sozialreformerische Schriftsteller Freiligrath Mitte des 19. Jahrhundert trotz der Freundschaft der Monarchen die Feindschaft der Völker und rief zum Krieg gegen Rußland auf - in Verkennung der Diskrepanz von staatlicher Raison und den massiven positiven Unterströmungen einer geistigen deutsch-russischen Verwandtschaft.

Diese positiven Fremdenbilder überstanden laut Kopelew auch die russischen Antipathien gegenüber dem erstarkenden Reich unter Bismarck und zeigten sich sogar noch, als die Reichswehrschulen die Feindbilder schon so nachhaltig in die Weimarer Gesellschaft trugen. Auf aktuelle Folgerungen wartete das Publikum jedoch auch in Kopelews anschließendem Gespräch mit dem Ostberliner Slawisten Gerhard Ziegengeist vergeblich.

drborg