Diestels Krawall-Szenario

■ Der DDR-Innenminister sieht sein Land von Gewalt-Demos bedroht

Der Mann lernt schneller als die Polizei erlaubt. Peter -Michael Diestel, DDR-Innenminister und Generalsekretär der rechtskonservativen DSU, widmete noch vor wenigen Jahren seine Doktorarbeit den Parteitagsbeschlüssen der SED und belobhudelte die sozialistische Plan(Land-)wirtschaft über alle Maßen. Von einer friedlichen Revolution ins Ministeramt geschwemmt, warnt er nun vor einem heißen Sommer in der DDR, vor gewalttätigen Demonstrationen. Soziale Spannungen drohen zwar auch in den Augen von Manfred Stolpe, Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche Berlin -Brandenburg. Auch der Kirchenmann befürchtet - er sagt das aber sehr viel behutsamer - ein Aufkochen der sozialen Spannungen. Einiges deutet tatsächlich darauf hin. Obwohl für Diestel daran die sozialistischen Planwirtschaftler alleinige Schuld trügen und nicht auch seine Bonner Unionsfreunde, über deren wahlkampftypische Versprechen, die jetzt nur zögerlich eingelöst werden, das DDR-Volk sich nun empört, greift der naßforsche Innenminister auf im Westen erprobte Mittel zurück.

Diestels Pech: Die DDR kann auf einen Erfahrungsschatz in Sachen Militanz nicht zurückgreifen. Da war einfach nichts. Die Bilder von prügelnden Polizeihorden bleiben daher besser im Gedächtnis als die von vermummten, mit Molotowcocktails oder Stahlzwillen ausgerüsteten Demonstranten. Deswegen muß wohl, neben westlichen Konsumartikeln, auch das Schreckensbild von politisch motivierten, marodierenden Horden in die DDR importiert werden.

Die Westdeutschen kennen das. Da wird ein, etwa im Vergleich zur organisierten Kriminalität, sicherheitspolitischer Fliegenschiß aufgeblasen und als Legitimation benutzt für einen so schlagkräftigen wie großzügig mit Kompetenzen ausgestatteten Polizeiapparat. Hat die DDR derzeit wirklich keine anderen Sorgen? Diestels Getöse muß vor dem Hintergrund der real existierenden Problemlage im anderen deutschen Staat noch mißtrauischer machen als die vertrauten Schauermärchen der Zimmermänner und Schäubles. Will der wichtigste Mann in der CSU -Satellitenpartei DSU den Boden bereiten für eine Übernahme des umstrittenen neuen Verfassungsschutz- und Polizeigesetzes, das seine Ziehväter derzeit in Bayern zu installieren versuchen? Sicher ist nur eines: Den DDR -Bürgerrechtsgruppen wird keine Atempause gegönnt. Sie müssen Sicherheitsgesetzgebung und -apparat genauso konzentriert und kritisch unter Lupe nehmen wie zuvor. Und: Sie müssen wohl wieder auf die Straße.

Axel Kintzinger