Begonnene und abgebrochene Töne

■ Aus einem Gespräch mit Dave Liebman und Richard Beirach vor ihrem Duo-Konzert am Sonntag

Taz: Im vorletzten Jahr sind Sie mit der Gruppe „Quest“ in Bremen aufgetreten. Ist das Duo nun eine Sparausführung von diesem Quartet ?

Liebman: Das Duo ist der Kern der Gruppe. „Quest“ besteht seit etwa zehn Jahren, aber Richard und ich spielen jetzt schon mehr als zwanzig Jahre zusammen. Und hier in Bremen haben wir mit der Gruppe „Lookout Farm“ un

ser erstes Konzert außerhalb von New York City gespielt. Das war, nachdem ich aus der Gruppe von Miles Davis ausschied.

Ist es schwerer, im Duo zu spielen?

Beirach: Es ist schwerer und leichter. Im Duo bin ich die ganze Rhythmusgruppe und muß so viel Kraft, Bedeutung und Farbe liefern wie sonst der Bassist, der Schlagzeuger und ich am Piano

zusammen. Aber wenn wir nur zu zweit spielen, können wir viel schneller und genauer auf musikalische Ideen oder spontane Änderungen reagieren.

Liebman: Für mich ist das Duo immer wieder eine große Herausforderung. Schlagzeug und Bass verwischen einige Nuancen, aber im Duo ist mein Saxophon viel nackter. Man hört genau, wenn die Ansätze, die Intonation nicht genau stimmen. Das Atmen, auch wie ich einen Ton beginne oder abbreche, das sind sehr feine Details auf einem hohen Niveau der Spieltechnik, die im Duo gnadenlos enthüllt werden.

Kann es nach mehr als zwanzig Jahren Zusammenarbeit überhaupt noch etwas im Spiel des anderen geben, was man noch nicht kennt?

Beirach: Mit dem Saft der Kreativität ist es nicht so wie bei einem Fass, in dem irgendwann nur noch ein paar Tropfen auf dem Boden übrig sind. Wir sind immer noch begierig darauf, voneinander überrascht zu werden. Und dann ist da die ewige neue Aufgabe, Komposition und Improvisation miteinander zu mischen. Das muß ineinander fließen, so daß das Publikum nicht erahnen kann, wo die geschriebenen Teile aufhören und wo das freie Spiel anfängt. Wir spielen sehr komplexe, fortgeschrittene Musik, die in den Harmonien auf der klassischen Musik des zwanzigsten Jahrhunderts basiert. Der Jazz liegt im Rhythmus. Die Zuhörer in unseren Konzerten erleben eine musikalische Diskussion zwischen uns beiden.

Besteht da nicht die Gefahr, daß Sie über die Köpfe des Publikums hinwegspielen? Beirach: Das ist die Gefahr und die schwierigste Aufgabe für uns. Wir sind die Experten, und wir haben

zwanzig Jahre gebraucht, um dieses Level zu erreichen. Wie können wir vom Zuhörer erwarten, das nachzuvollziehen? Es ist Musik für Experten, fast wie Wissenschaft, und sollte subventioniert werden, dann könnten wir schön im Elfenbeinturm residieren.

Liebman: Aber immer kommen neue Experten, neue Studenten und interessierte Musiker, für die wir spielen. Je weiter wir uns entwickeln, desto abstrakter spielen wir, aber wir haben auch gelernt, das Unwesentliche wegzulassen, unsere Energien genauer gerichtet einzusetzten. Die Ideen hinter der Musik können so immer klarer ausgedrückt werden. Und so können wir auch immer universeller klingen.Wenn wir das erreichen, haben wir das Geheimnis des modernen „performing artist“ enthüllt. Wenn nicht, limi

tieren wir unser Publikum mehr und mehr.

Sie haben beide als Juden aus New York den gleichen kulturellen Hintergrund. Hört man das Ihrer Musik an?

Liebman: Ich glaube, man wird darin Romantizismus und Intellektualität erkennen. Vieles in unserer Musik ist dunkel und traurig. In der jüdischen Kultur wird man dazu ermuntert, seinen Gefühlen Ausdruck zu geben. Aber neben dieser Emotionalität steht immer unsere Tradition des Lehrens und Lernens. Der Intellekt dient den Gefühlen. Der Schrei und das Wissen („Cry and knowledge„; W.T.) - das ist Jazz, und für uns eine endlose Herausforderung. Fragen und Übersetzung Willy Tau