Schweinestau im DDR-System

Wegen stark ansteigender Agrar-Importe aus der Bundesrepublik haben die LPGs in der DDR existenzbedrohende Absatzsorgen / Freihandel gen Osten - strikte Kontingentierung gen Westen wegen der EG-Bestimmungen / Bauernorganisationen fordern Quotierungen für Importe aus dem Westen / Heute Treffen Pollak-Kiechle  ■  Von Katrin Schröder

„Die haben wohl 'ne Macke!“ so die Reaktion einer Kundin in Ost-Berlin auf die Preise westlicher Lebensmittel. „Ist eben was Feineres“, rechtfertigt die kundige Verkäuferin den westlichen Friseesalat und wird ihre Ware los. Seit Wochen überschwemmen westliche Agrarprodukte den DDR-Markt, der Import aus der BRD stieg in den ersten drei Monaten 1990 auf 279 Millionen D-Mark. Das ist gegenüber demselben Vorjahreszeitraum ein Anstieg um 81 Prozent - mit rapide steigender Tendenz: Für den März allein betrug der Zuwachs laut Bundeslandwirtschaftsministerium 132 Prozent. Das verschafft den heimischen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) existenzielle Absatzprobleme. Schätzungen besagen, daß der Verkauf von Agrarprodukten „Made in GDR“ um etwa 30 Prozent zurückgegangen sei.

„Seit Öffnung der Grenzen bleiben die landwirtschaftlichen Betriebe auf ihren Produkten hängen“, berichtet der Sprecher der Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst, die den größten Teil der 118.000 Landarbeiter in den volkseigenen Genossenschaften vertritt. Dringende Schutzmaßnahmen für die heimische Produktion sowie Rationalisierungsschutzabkommen für die Beschäftigten seien notwendig. „Einige Betriebe stehen bereits kurz vor dem Bankrott.“

Als Folge der Aufhebung des staatlichen Außenhandelsmonopols und der Lockerung der Zollkontrollen drängen sich in der DDR die Mastsauen in überfüllten Ställen, und die agrarischen Produkte stapeln sich im Kombinat Kühl- und Lagerwirtschaft. Während die westliche 'Bauernstimme‘ zum Thema DDR noch eher verhalten titelt: „Die Bauern werden es nicht leicht haben“, hallen aus dem östlichen 'Bauernecho‘ die ersten Protestaktionen zurück, wie sie im Westen seit langem bekannt sind.

„Grüne Grenze“ gefordert

Bereits vor einer Woche organisierten 1.200 Landwirte aus allen Genossenschaften und Betrieben des Kreises Herzberg im Bezirk Cottbus einen rund 50 Kilometer langen Protestzug mit 450 Traktoren, Lkws und anderen Landmaschinen. Ökonomisch unvertretbar sei es, daß sich allein im ihrem Kreis 10.000 schlachtreife Schweine und weitere 2.000 Rinder in den Ställen stauten. Gefordert wurde der Stopp unkontrollierter Nahrungsgüterimporte sowie eine „Grüne Grenze“, die beim Übergang in die EG-Agrarwirtschaft Chancengleichheit sichern soll.

„Etwas befremdet“ zeigt sich der Genosse Bublitz von der LPG Tierproduktion Lietzow, „daß unsere Schweine plötzlich nicht mehr kernig genug sind“. Schließlich seien gerade in den Westen schon über viele Jahre Schwein und Rind geliefert worden. Zwar ist auch die LPG Lietzow seit Ablauf der jährlichen Abnahmeverträge im März von Absatzrückgängen betroffen, für die Zukunft aber sieht man Chancen. Aus der Währungsunion werde die LPG, die Eigentum der Genossenschaftsbauern bleiben soll, wahrscheinlich mit einem Guthaben hervorgehen. Der Einkauf westlicher Technik ist beschlossen, und schon Anfang 1991 werde mit der Modernisierung begonnen. Entlassungen kann man sich sparen, ein Drittel der Beschäftigten geht demnächst in Rente und wird nicht ersetzt werden.

Unterstützt wird dieser optimistische Blick in die Zukunft von Fachleuten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in West-Berlin. Nach Expertenmeinung, so ist in der 'Zeit‘ zu lesen, haben die LPGs wegen ihrer Größe gegenüber den bundesrepublikanischen Kleinbetrieben bessere Produktionsvoraussetzungen. Durch besseres Management, ertragreicheren Anbau und mehr Kapital könnten diese Vorteile realisiert werden. Die Konkurrenz zu den bisher niedrigeren Erzeugerpreisen der EG kann also auf Kosten der Umwelt - aufgenommen werden.

Deutlich benennt Herr Dr. Tappert vom neugegründeten Landesverband Gartenbau und Landwirtschaft Berlin das Problem der „unkontrollierten Einfuhr“ der Agrarprodukte Richtung Osten. „Wir brauchen ja für den Export von einem Pfund Rosenkohl in die BRD eine Genehmigung des Bundesministeriums oder der EG.“ Man wolle keine generelle Abschottung, aber was dem einen Recht sei, müsse dem anderen billig sein. Eine Quotenregelung für das, „was im Land produziert wird“, wird gefordert. Letzten Mittwoch legte Landwirtschaftsminister Peter Pollack der Regierung eine Vorlage zum Beschluß vor. Auch er fordert Lizensierungen der Lebensmittelimporte. Zum konkreten Inhalt des Ministervorschlags und der Beratungen im Ministerrat wollte man sich in der Pressestelle des DDR -Landwirtschaftsministeriums nicht äußern. Die Ergebnisse „müssen erst mit der anderen Seite verhandelt werden“. Am heutigen Dienstag trifft sich Pollack mit seinem Kollegen in Bonn.

EG-Agrarmarkt abgeschottet

Im Hause Ignaz Kiechles erwartet man allerdings von der ministeriellen Zusammenkunft noch keine konkreten Pläne. Der Pressesprecher verweist auf die Fachkommission für Land- und Ernährungswirtschaft, die in zehn Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen vom Veterinärwesen bis zu Marktfragen seit Monaten tagt. Es regele sich eben alles nicht so einfach wie auf einem freien Markt, auf beiden Seiten „gibt es viele staatliche Regelungen“, mit denen der eigene Markt geschützt wird. Die EG will nicht zulassen, daß preiswertere Produkte aus der DDR auf ihrem Markt landen und die EG -Quotenregelungen unterlaufen. Doch in die andere Richtung läuft's: Mit dem Abbau der staatlichen Schutzbestimmungen für den DDR-Binnenmarkt fließen die EG-Agrarprodukte ungehindert in die DDR, die ihrerseits auf die Einfuhrbestimmungen der EG stößt. 90 Prozent der DDR -Agrarexporte in die Bundesrepublik sind kontingentiert - im Gegensatz zu den Produkten anderer Branchen, für die die innerdeutsche Grenze stets als die „offene Flanke“ des ansonsten abgeschotteten EG-Binnenmarktes angesehen wurde.

Interesse an Übergangsregelungen haben beide Seiten, es wird über Zeiträume von zwei bis fünf Jahren gesprochen. Die Exportmöglichkeiten aus der DDR in den Staat der westlichen Brüder und Schwestern wird durch die EG-Regelungen über den „innerdeutschen Handel“ begrenzt, vor allem sollen EG -Mitgliedsländer durch diesen Handel nicht beeinträchtigt werden. Es werden aber nicht nur Übergangsregelungen im Hinblick auf die Integration der DDR-Landwirtschaft in den EG-Agrarmarkt notwendig sein. Die Betriebe, die bereits jetzt in Bedrängnis sind, brauchen sofort Schutz, die ersten gehen schon jetzt, zwei Monate vor der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion pleite.