HEIL DEM NEUEN FLEISCH

Frank Natales „NewAge„-Manifesting im Hotel President  ■ 

„Long live the new flesh!„

(Videodrome

„Wer mir nicht glaubt

der kann ja rübergehen!

(Spruch 23 der permanent Exilierten

Ekel, überwältigender Ekel, immer das gleiche, wenn ich auf die klugen und schönen Menschen des „Neuen Zeitalters“ treffe. Doch der Reihe nach...

Wie nach jedem Vollmond, wechselte auch diesmal das Wetter, Wolken zogen auf, es blitzte und donnerte, drückendes Klima herrschte in der Stadt. Gute Voraussetzungen also, um Mittwoch abend ins Hotel President an der Urania zu gehen und dort im vollklimatisierten Keller („Le bunker esoterie“) Anschauungsunterricht in Sachen Misanthropie zu nehmen. Dort nämlich sprach Frank Natale, „Präsident und Gründer des Natale Instituts für Bewußtseins- und Persönlichkeitsentwicklung“, ein „natürlicher Lehrer, der in seinem eigenen Suchen nach Selbsterkenntnis die Wahl getroffen hat, seine Arbeit auf erfolgreiche 'funktionierende Persönlichkeiten‘ zu konzentrieren“, die „mutig genug sind, ihre Verantwortung als Schöpfer, Heiler und Metaphysiker zu übernehmen“.

Auffällig zunächst einmal die weitaus größere Zahl an Frauen, die im Publikum weilten. Dasselbe war wohl im Durchschnitt Mitte bis Ende dreißig und stand, nach Kleidung und Make-up zu urteilen, fest im Prozeß des Warentauschs. Wie bei solchen Veranstaltungen üblich, gab es einen Tisch mit PR-Flyern und Blumen, eine Kerze brannte und die Eingeweihten, dieser Zirkel von Leuten, gesegnet mit den höheren Weihen der Idiotie fortgeschrittenen Stadiums, konnten wieder nicht umhin, den noch nicht so ganz Erleuchteten zu zeigen, das Liebe und nicht Geld ihre Welt regiert...; Küßchen hier und da. Einschwörung auf den Meister

Zu Beginn gleich die Frage, wer denn nun neu im Kreise sei. Da reckten sich etliche Hände in die Höhe. Alsdann der Hinweis, diese Leute mögen doch bitte beim Hinausgehen die ausliegenden Gästekarten ausgefüllt abgeben. Neben den Angaben zur Person wollte man auf diesen Karten wissen: „Wodurch wurden Sie auf diese Veranstaltung aufmerksam?“ wie also können wir beim nächsten Mal die PR-Arbeit effektiver gestalten, „Ihr kurzes Feedback zu der Veranstaltung“ - wie also ist die Präsentation beim nächsten Mal effektiver zu gestalten, und „wofür interessieren Sie sich besonders?“ - wie also gestaltet sich der angesprochene Markt im allgemeinen und wie schlachte ich das Schaf im speziellen.

Sodann ergriff der Meister persönlich das Wort und schilderte uns ausgiebig seine Vergangenheit, Berufung und Qualifikation, ging uns an mit Verweisen auf seine Leitung des Phönixhauses, „der größten drogentherapeutischen Einrichtung der Welt“ (der Übersetzer erwähnt in diesem Zusammenhang Synanon und Daytop - feine Truppen gehören zum Umfeld des Meisters). Zwölf Jahre heilte er im Phönixhaus mit 190 Mitarbeitern „Drogensüchtige“ und „Kriminelle“. Fehlten nur noch die Kinder. Und richtig, gegen Ende gab es den Hinweis, Natale würde sich um „krebskranke Kinder“ kümmern - und das umsonst. Ein Mensch! Ein wahrer! Aufbau der

exklusiven Community

In der folgenden Rede handelte Natale zunächst das von ihm entwickelte „LifeSkills„-Programm ab. Dabei handelt es sich um fünf Ansätze, „Dein Leben zu genießen“. Der Satz „Ich bekomme in meinem Leben nie das, was ich wirklich will“, spricht für die Anhänger von TNI (The Natale Institut) von der eigenen Unfähigkeit zu erkennen, daß die „Kraft Deiner Gedanken“ deine Welt so gestaltet, wie du es willst. „Selbst wenn Du erfolgreich bist, weißt Du nicht warum, bist du ein passives Opfer.“ Angesprochen finden sich also in erster Linie all jene, die ein schlechtes Gewissen haben, weil sie so erfolgreich sind, und denen Natale nun beibringen will, daß dies gut so ist. Waffenhändler, Drogenschmuggler, Zuhälter... ihr seid gut drauf! Laßt euch von der Umwelt nichts anderes einreden. Leute, die darben, beispielsweise in der (sogenannten) „Dritten Welt“ sollten andererseits aufhören, zu jammern und die Industrienationen zu belästigen. Denn die Einwohner von Äthiopien, Mosambik und die Schwarzen in Südwestafrika haben sich schließlich selbst entschieden, dort inkarniert zu werden. Warum, das wissen sie zwar wohl selbst nicht, doch „Life Skills“ wird sicherlich auch ihnen die Möglichkeit geben, das „Leben zu genießen“.

„Life skills ist für Menschen, die die Schnauze voll haben, Opfer zu sein, die die Schnauze voll haben von dieser Insektenperspektive.“ Markus Klepper, Mitglied von TNI, übersetzt - etwas frei - den Vortrag. Wie alle behavioristischen Ansätze sektenähnlicher Gruppen braucht Natale den Anderen - die Opfer, die der Insektenperspektive anhängen. Denn... du willst doch sicherlich nicht zu diesen Narren gehören, o-o-oder? Du willst doch „Dein Potential kennenlernen und ausschöpfen“. Wenn du dies nicht tust, dann mußt du wohl mit deinem Leben einverstanden sein. Aber, „Du kannst jetzt nicht mehr sagen, du hättest nichts gewußt. Denn nun ist die Technik ja da!“ Gut gemachte Effekthascherei. Herstellen von Verfallsdaten

Nach „Life Skills“ entwickelte Natale das „NewAgeSkills„ -Konzept. Wie alle, die die religiöse Sehnsucht von Menschen zu klingender Münze „transformieren“ (Eine dieser positiv besetzten New-Age-Vokabeln, die per Wordprocessor in jede Liste eingespeist werden. Vielleicht „transformiert“ bald auch Coca-Cola, oder Bennetton, oder Daimler-Benz.), benötigt TNI die Fortschreibung der Abhängigkeit. Wenn du ein Seminar überstanden hast, fehlt dir noch etwas, das spürst du, deshalb: mach das neue Seminar. In einem der PR -Flyer stellt sich das so dar: „Vielleicht kennst du das Gefühl: Eine intensive Gruppe ist zu Ende. Du fühlst Dich toll, hast viel Energie und Pläne für die Zukunft, aber schon kurze Zeit später ist alles (fast) wieder vorbei. Wenn Du die vorgegebenen Schritte der Life-Skills-Kurse befolgst, ist Dir eine dauerhafte Veränderung in der Richtung, die Du wählst, so gut wie sicher. Zwischen den Trainingsabschnitten vollziehst Du das Programm allein oder mit Deiner Trainingsgruppe selbständig nach.“ Soll sagen: Wie Gehirnwäscheexperten feststellen mußten, kann eine Umwandlung des „Fehlers“ (ideologischer, psychischer, metaphysischer Art) nur bei permanenter Kontrolle der Umwelt erfolgen. Das Erfreuliche bei Natale&Co. ist, daß die Leute nun auch noch dafür zahlen, eine Gruppenerfahrung zu machen, die vom Rest der Welt nicht geteilt wird und daher in der restlichen Welt auch nicht akzeptiert wird. Sie streben daher ohnehin wieder in den nächsten Kurs, zu Gleichgesinnten.

Eines der großartigsten Zitate Natales ist zweifelsohne seine Analyse des Begriffs „Versagen“. Nachdem du erkannt hast, daß du für deine Welt selbst verantwortlich bist, daß du „schön und liebenswert“ bist (bei Woolworth und in Gropiusstadt, auf der Intensivstation und beim Betreten einer Landmine) und dies eine „unabänderliche Tatsache“ ist, nachdem du „Manifesting“ kennengelernt hast und anwendest, du also „einen Kanal zu einer höheren intelligenten Energie“ (Schwefel, Fasel, Bullshit fürs Gemüt) geöffnet hast und folglich fähig bist, „diese Energie in der objektiven, materiellen Welt zu manifestieren“, kann es natürlich vorkommen, daß du denkst, du würdest versagen. Mal davon abgesehen, daß dies eine der Todsünden unserer Leistungsgesellschaft ist, der Markt für Bewältigungsangebote also da und willig ist, ist es selbstverständlich ausgesprochen peinlich für einen von Natales Übermenschen, dies einzugestehen. Die Lösung: „Nichts ist jemals schiefgegangen! Es war alles eine Manifestation. Du mußt eine andere Perspektive wählen, es nicht Versagen nennen, Dir selbst Vorwürfe machen, sondern sagen: 'Boy, that was an incredible experience.'“ Hey, ihr 80-, 90jährigen SSler, Schluß mit dem Verstecken vor öffentlicher Meinung, die euch mit dem Holocaust ein schlechtes Gewissen machen will. Das sind nur Leute, die einer „Insektenperspektive“ verhaftet sind, Untermenschen, genau, denn in Wirklichkeit ist doch über Auschwitz zu sagen: „Boy, that was an incredible experience.“ Elegantes Verdrängen

Ohnehin, „es hat keinen Sinn, das anzugucken, was nicht funktioniert“, vielmehr ist „der elegante Weg, das anzugucken, was funktioniert, und langsam verschwinden die häßlichen Sachen aus Deinem Leben.“ Wer möchte nicht „elegant“ sich zu verhalten wissen? Ein obszönes Ausschlachten verborgener Antriebe und Wünsche. Und was wird nicht alles versprochen: „Du kannst Dich bewußt dematerialisieren. Dann erlebst Du, daß 'lebendig zu sein‘ bedeutet: Bewußt zu sein.“ - gibt es eine andere Möglichkeit der Existenz für Wesen, die mit Erkenntnisfähigkeit geschlagen sind? und so weiter und so fort. Natales Ideologie ist ein Gemenge aus Alltagsweisheit, banalsten Erkenntnissen der Verhaltensmodifikation, reanimierten „okkulten“ Lehren und neueren psychotherapeutischen Ansätzen.

Nach dem Vortrag gibt es die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Natürlich wurde thematisiert, wieso die Veranstaltungen soviel Geld kosten würden. Zwei der dreisten Antworten: „Das Material - Kassetten, Arbeitsbücher, etc. verändert Dein Bewußtsein“ (die schlappe Version des das Sein bestimmt das Bewußtsein) und „Wieviel ist es Wert, ein Handbuch zu bekommen, anhand dessen man sein Leben gestalten kann?“ Aufschlußreicher noch ein kleines Beispiel in Gruppenpsychologie. Natale wird verkauft als „verstehend, eine Atmosphäre von Liebe, Respekt und die Wertschätzung für die Einzigartigkeit jeden Teilnehmers schaffend“. Dabei verzichtet er ausdrücklich auf Elemente, die direkt konfrontativ und bedrohlich wirken - versteht sich doch jeder der vom Kapital Entfremdeten als „einzig“ und „individuell“, nur beschränkt sich die Individualität der Vielen auf die Farbe des GolfGTI, den Schnitt des H&M-Bolero -Jäckchens und die Entscheidung für einen Whopper bei Burger King oder einen Cheeseburger bei McDonalds. Ein einziger verirrter Hippie war zu der Veranstaltung gekommen. Er beharrte darauf, zu erfahren, wieso er den geforderten Preis für das Seminar zahlen sollte. Er würde ja anerkennen, daß Natale „das Wissen aus'm Kosmos bekommen hätte, aber daraus Geld zu machen?“ Das Publikum lachte ihn aus. Nicht wahr, das Publikum bestand nun gegen Ende der Vorstellung aus Leuten, die gerne, sehr gerne „ihr Leben genießen, ihr Potential kennenlernen“ wollten, die die „Schnauze voll haben, Opfer zu sein“ und keineswegs mit solch einer „Insektenperspektive“ in Verbindung stehen möchten, die sich manifestiert als Reden über Geld. Nicht wahr, sie waren nun gekauft, sie hingen am Haken ihrer Sehnsüchte. Und dann kommt dieser Hippie daher und bietet sich als Opfer an. Alle eventuell noch vorhandenen Einwände konnten nun auf diese Person projiziert werden, während man/frau sich selbst bereits dem Kreis der Eingeweihten zugehörig fühlte. Also wurde er öffentlich geopfert, er wurde einfach mundtot gemacht: „Wenn Du kein Geld hast, dann weil Du es nicht willst, deshalb solltest Du Dich nicht beschweren.“ Liebe, Respekt und Wertschätzung zeigten sich kurz im Ausgrenzen des Anderen, alldieweil sich die „einzigartigen“ Individualisten, die „Metaphysiker und Heiler“ lachend auf die Seite dessen schlugen, der die Erwartung, den Sieg davonzutragen, nicht enttäuschte: Frank Natale.

„Die Leute nennen mich Genie. Langsam beginne ich es zu akzeptieren“, so der Meister. Ich nenne ihn einen der übelsten Typen, der je auf der „NewAge„-Welle geritten ist.

R. Stoert