WAS IST EIN BROILER?

Eine Leib- und Magengeschichte  ■ N I C H T F L E I S C H N I C H T F I S C H

Witwe Bolte in der Kammer

hört im Bette diesen Jammer,

ahnungsvoll tritt sie heraus,

ach, was war das für ein Graus!

Fließet aus dem Aug‘ ihr Tränen,

all mein Hoffen, all mein Sehnen,

meines Lebens schönster Traum

hängt an diesem...

Zu dieser Frage hat schon viel in der taz gestanden, aber ich muß doch auch immer wieder neu darüber nachdenken. Mal komme ich zu dem Ergebnis, mal zu dem anderen.

Ein Broiler hat knusprige Haut, und darunter ist es etwas fettig. Wenn frau ihn kalt ist, geradezu eklig. Also, er muß heiß gegessen werden. Manche mögen's heiß, aber ich? Hieran knabbere ich nun gerade herum. Ich kann es wieder und wieder aufgewärmt auch noch vertragen. Auch wenn Michaela mir verboten hat, mit Andreas spazieren zu gehen. Auch dann. Das ist ja das Schlimme. Als wir in der DDR waren, ging es noch. Lauwarmer Zwiebackbrei, sagt Susan. Eklig und schleimig, meine kleine Schwester. Aber die hat sich kürzlich auch arg verhaun.

Ich habe heute wieder den halben Vormittag wegen ihm verheult. Sitze dann auf dem Klo und schluchze. Weil er mir nicht schreibt, und weil ich das endlich einsehen muß.

Hans Sahl sagte gestern abend in der Lesung, seine Schwester habe sich umgebracht, weil sie nicht genug geliebt worden sei. Sie sei „liebessüchtig“ gewesen und habe sich immer die falschen Männer ausgesucht, die sie behandelten wie einen Goldfisch, dem man alle drei Tage trockene Krumen hinwirft. Weil er selbst gerade in einer Lungenheilstätte lag, konnte er ihr den Selbstmord nicht ausreden, und da hat sie sich eben umgebracht, weil sie nicht genug geliebt worden ist.

Und ich denke, mit mir stimmt was nicht, weil sich jemand bestimmtes hier einfach nicht blicken läßt. ‘Alle andern Kinder, aber Du, sagte meine Mutter, wenn was mit mir nicht stimmt, oder daß also was mit mir nicht stimmt, denn die andern kommen ja mit ihr aus oder sind ganz zufrieden oder kommen mit ihrem Leben zurecht, aber ich?

Wenn frau also Broiler essen will, um sich damit zu sättigen, muß sie sehr aufpassen. Auch die Knochen sind gefährlich. Die dürfen einfach nicht mit heruntergeschluckt werden. „Und vom ganzen Hühnerschmaus guckt nur noch ein Bein heraus“, hat schon Wilhelm Busch die Nachwelt gewarnt weg ist weg, könnte frau sich freuen -, doch wie Max und Moritz da am Ende auf der Wiese lagen, war es ja kein schöner Anblick. Der dicke Bauch dabei könnte wirlich ein Extraproblem werden.

Ich habe geträumt, daß ich ein Kind von ihm kriege. Ich will es ja nicht haben, aber der Bauch wird dicker. Nicht sehr dick, doch schließlich ist die Geburt, und ich bin im Krankenhaus. Und dann ist es da: zwei Hände voll Hackfleisch. Ich wollte es wegschmeißen am ersten Tag, doch irgendwie habe ich das nicht über mich gebracht, und am zweiten Tag ist es schon eher ein Baby. Damit saß ich dann da und habe immerzu versucht, bei ihm anzurufen, diesmal ohne Scheu, ob ich wohl störe, schließlich hat er auch was damit zu tun, es geht ihn auch was an. Dauernd habe ich gewählt, nie war er zu Hause, irgendwo unterwegs. Aus dem Staub.

Da singt noch eine, but nothing compares to you, und ich schmeiße beim Hähnchenzubereiten immer das ganze Fett auf einmal weg. Wie Pullover-Ausziehen, an den Flügeln muß geschnitten werden, und es ist dann ein so schöner Haufen kompakter Abfall und ein so klarer Entschluß, den wegzuwerfen. Die geballte Kalorienenergie in die Abfalltüte. Späterhin ist das Fleisch dann sehr leicht verdaulich und schmeckt auch gut in Gemüse gegart. Nur ich bin meistens so hungrig, daß ich nicht abwarten kann, bis es durch ist. Nehme mir einen Schenkel heraus, esse den ab, soweit er hellbraun ist und das Rötlich-Blutige kommt nochmal in den Topf. So habe ich dann viele halbabgegessene Knochen. Das Schlachtfeld auf dem Herd ist sowieso meine Privatangelegenheit.

Er will nicht, daß ich wegen ihm traurig bin. Das stört ihn. Und ich habe ihm versichert, daß alle Zähne, die ich mir an ihm ausgebissen habe, wieder festgewachsen sind. Gut, sagte er, und für mich ist das sicher auch besser so. Aber ob ich ihn mir nun in der Spätnachmittagssonne auf dem Balkon noch mal knusprig braten lassen soll, weiß ich noch nicht. Durch meine neue Sonnenbrille gesehen, wird er dann wieder eher gar wirken, als er es ist. Sei es, wie es sei, alles geht vorbei, befand eine bei Frank Wedekind (hoffentlich bald. sezza). Die war mit allen Wassern gewaschen - nur ich dusche hier immer so vor mich hin.

Er reißt sich kein Bein für Sie aus, hat eine kluge Dame beobachtet. Aber ich will ein Bein von ihm haben. Das stelle ich mir dann in den Kleiderschrank und kann ja manchmal damit spielen. Ich finde, die Selbstlosigkeit eines Menschen zeigt sich erst dann, ob er/sie wirklich bereit ist, sich ein Bein auszureißen ud dann als Einbein weiterzuleben. Und der Egoismus der Menschheit zeigt sich daran, daß die meisten ja noch als Zweibeiner rumlaufen. Nur beim Hähnchenessen ist es anders: Da darf man mal die Sau rauslassen und das Bein rausreißen (womit deine definition von selbstlosigkeit relativiert wird. sezza). Aber auch das muß man selbst tun, das Huhn reißt sich nicht das Bein aus, um es dem Esser/der Esserin zu geben. So wie auch Andreas die Hand aus der Jackentasche ziehen mußte, damit er mich endlich umarmt.

Doch bei meinem Bruder in der Straße gibt es ein Geschäft, open twentyfour hours, und sie haben halbe Hähnchen und Schenkel, beides mit Gemüse und nicht zu teuer. Als ich Hanno letztes Mal besucht habe, habe ich mir so etwas gekauft, denn er kochte sich gerade Nudeln mit Erbsen und Mohrrüben, und es reichte nur für ihn alleine. Da habe ich bei ihm auf dem Fußboden gesessen und mein Hähnchen gegessen. Er gab mir noch ein Bier dazu.

Sophia Ferdinand