Badischer Richelieu?

■ Presse pfui, Hafenstraße hui: Boris Becker rückte Karten raus

Ion Tiriac, der unheimliche Rumäne mit Zockermentalität, hat über das Schicksal des deutschen Tennis ein scharfes Damoklesschwert gehängt. Im noblen „Hotel Vier Jahreszeiten“, also nicht auf dem vergleichsweise popeligen Tennisgelände am Hamburger Rothenbaum, warnte er die eingeladene Presse: „Wenn die deutsche Presse Boris Becker weiter so attackiert wie im letzten halben Jahr, dann könnte er Deutschland verlorengehen.“ Der dreifache Wimbledon -Gewinner, der nach Meinung von DTB-Pressesprecher Jens -Peter Hecht eine Prämie für seine Verdienste um das hiesige Tennis verdient hätte, erleide sonst, so Becker-Impressario Tiriac, das gleiche Schicksal wie der Franzose Yannick Noah oder der Schwede Björn Borg, die von ihren heimischen Pressegeiern rund um die Uhr belästigt wurden und schließlich nicht mehr ordentlich Sport treiben konnten.

Und Claus Stauder, Präsident des DTB, zeigte Verständnis für die Philippika des Schnauzbärtigen: Becker habe schließlich mit seinem Wimbledon-Sieg vor fünf Jahre eine „Revolution“ ausgelöst - 53 Bücher mit 15.000 Seiten über ihn und mit ihm seien ein Beleg für seinen ungeheuren Bekanntheitsgrad. Keinen Kommentar gab der Brauereibesitzer ab zur Schmuddelberichterstattung der letzten Wochen. Tiriac analysierte: „Die sportliche Seite ist in der Berichterstattung zweitrangig geworden.“

Was war geschehen? Warum ist Tiriac so gemein zu 'Bild‘, 'Hamburger Morgenpost‘ und anderen Schlüpferpostillen? Ganz einfach: Die hatten in den letzten 100 Tagen, seit Beckers Interview mit der Zeitschrift 'Sports‘ und den darin enthaltenen Sottisen zum Chauvinismus im Sport, zur Hafenstraße, zum Mitmenschlichen und zum Daviscup, nichts anderes zu tun, als Beckers Beziehungsprobleme mit seiner Hamburger Freundin Karen Schulz aufzubrühen. Und zwar im Stile von „Hat Becker eine Neue?“, „Ist Boris ein Nymphoman?“ und so weiter und so bunt.

Tiriacs Gardinenpredigt zeigte Wirkung. In den Presseräumen am Rothenbaum wurden Krokodilstränen geweint („Der soll nicht so empfindlich sein“, „Hat Becker überhaupt noch einen eigenen Willen“, „Der muß doch einsehen, daß er uns braucht“ bis hin zu: „Wird Zeit, daß der Tiriac mal gestutzt wird“). Ärgerlich nur, daß „der Rote“ niemanden mehr an sich ranläßt, auf Pressekonferenzen kurze Antworten gibt und zu keinerlei Plauderei mehr aufgelegt scheint. Frage eines großdeutschen Reporters: „Sollte Hamburg nicht ein Grand -Slam-Turnier werden?“ Antwort Becker: „Nein, es gibt bereits vier mit großer Tradition. Das reicht.“

Das Bobbele hat damit die schreibende Zunft tausendfach stärker verärgert als sein Freund und Manager Tiriac. Becker auf die Frage nach seinem Kommentar zur Tiriac-Äußerung: „Er ist alt genug zu wissen, was er sagt.“ Er werde weiter in der Bundesrepublik spielen, hier habe er Freunde, seine Eltern und überhaupt: Er sei nicht der Mann, der vor den Nachstellungen anderer kneift. Seine größte Strafe: Er gab am Hamburger Rothenbaum keine Interviews, spielte sich dafür bislang souverän und sicher ins Viertelfinale und sagte zur taz: „Ich will hier nur Tennis spielen und meine Ruhe haben.“

Stimmt es denn, daß er vielleicht nicht mehr in in deutschen Landen antreten wolle? „Möglich. Es ist für mich hart an der Grenze dessen, was man sich mit mit erlauben darf.“ Könnte es nicht sein, fragte eine Reporterin der 'Welt‘, daß Tiriac mit seinen Äußerungen um ihn werben wollte, weil er, Becker, sich künftig lieber von den Thränhardt-Brüdern vermarkten lassen möchte? „Nein.“ Die Dame von 'Welt‘ setzte nach: „Ich habe gelesen, daß du aus Monaco ausgewiesen werden sollst.“ Becker: „Der Bericht ist von vorne bis hinten erlogen.“ Die Journaille war platt. Und brav. Und ist ratlos. Hat über den Mann von Format nichts mehr zu schreiben. Wird Becker vielleicht erwachsen?

Sicher ist: Boris Becker, der Mann, der heuer Ivan Lendl an der Weltranglistenspitze ablösen möchte, spielt auf Sandplatz besser denn je. Ruhig, eiseskalt und geduldig spielt er sich bislang ins Endspiel. Gewiß ist weiterhin: Der Becker Boris ist ein Mann, der Wort hält.

Das Versprechen nämlich, seinen Freunden in der Hafenstraße Tickets zuzustecken, hat er nach der ominösen Pressekonferenz erfüllt. Diskret wie ein badischer Richelieu steckte er uns zwei Karten zu. Bei den Tennisfreunden am Hamburger Hafenrand brach derweil Magenflattern aus. „Damit hatte ich nicht gerechnet“, sprach die eine. Man sieht: Der „Rote“ weiß auch, daß er alt genug ist, Sachen zu versprechen. Und zu halten.

Jan Feddersen