MUT ZUR BLATTLAUS

■ Offline goes East

Ein wenig zu spät gekommen sind sie schon, die Damen und Herren der Offline. Nicht nur, daß die Präsentation von Frühjahrs- und Sommermode bei 25 Grad Außentemperatur kaum noch auf die Sehnsüchte fröstelnder Trend-Surfer rechnen kann und vielmehr zum Lenor-Schatten einer fehlgestylten Szene zu anvancieren droht, nein auch die Wahl der Austragungsstätte für diese private Modemesse hat mittlerweile anachronistische Züge.

Die Idee, nach Ost-Berlin und ins Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur zu ziehen, kann nach der Endlosserie deutsch-deutscher Premieren nun als blanker Opportunismus empfunden werden. Und wer heute noch mit dem Glasnost&Perestroika-Boom spielen will, den sollte nun wirklich das Leben bestrafen. Das müssen die Veranstalter am Ende auch geahnt haben, denn im Gegensatz zum Katalog vermied man in Show und Ausstellungsgestaltung jeden Bezug auf Mütterchen Rußland. Lediglich der arme Marmor-Lenin im Foyer des sechsstöckigen Baus in der Friedrichstraße mußte, während die Models über seinem Kopf und auf dem Laufsteg turnten, allabendlich Nebel speien. Doch nach den Pfiffen auf dem Roten Platz am 1. Mai in Moskau hat eine derartige Blasphemie auch jeden Reiz verspielt. So setzte man denn auch voll auf die bewährten Errungenschaften der westlichen Welt und überließ es den Sponsoren, sich um die Ausstattung zu kümmern. Mit der Konsequenz, daß diese „Avantgarde -Modemesse“ so viel Charme besaß wie ein Garderobenständer bei McDonald's. Zwar präsentierten die Designer auf zwei Etagen all das, was Mann/Frau kaufen, tragen und dann schnell wieder in den Schrank hängen sollte, doch im dichten Nebeneinander der einzelnen Stände unterschied sich diese Messe auch nicht sehr von den Dauerexpositionen in diversen Kudamm-Läden.

Nur, daß dort keiner mehr auf die Idee käme, die Spitzenmodelle in Ost-Mark zu bezahlen. In den fünf Tagen der Offline im Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur war das wohl die am häufigsten gestellte Frage. Und die Antworten fielen ebenso unterschiedlich aus wie die Blicke, mit denen die Fragesteller gemustert wurden.

Schon am Einlaß schwankte der Kurs für eine Veranstaltungskarte von 1:2 bis 1:3, und man nahm den jungen Herren im Seidenhemd am Informationstresen gern den Hinweis ab, daß hier schließlich keiner zu den DDR-Kleinsparern zählt. das Bier ging für neun Mark Ost vom Hahn, essen dagegen konnte man nur für West. Zigaretten aber, Lord sei es gedankt, gab es „extra“. So beschenkt, konnte man rauchend dem beiwohnen, was die Mode erst zur Show macht.

Dreimal am Tag rauschten unter der Regie von Oliver Lloyd Boehm und zu einer Musik, die zwischen Minimal und Gotik sich meist im Neobarocken einpegelte, mehr oder weniger verhüllte Körper über den Steg. Das war alles recht nett, öfter als erwartet tragbar und zuweilen reichlich abgegessen.

So etwa die Kollektion von Tangramm, hinter der die Westberlinerinnen Kuhr und Kronawitter stecken: Ein Versuch, mit Kiwi und Curry, klassisch kombiniert, zum zweiundreißigsten Mal über den Markt zu fegen.

Ansonsten jagte man munter durch die Zeiten: von der Völkerwanderung bis zu diesen üblen Siebzigern, in denen die Hosen nach unten mächtig ausschlugen und oben mehr als nur klemmten. Im relativ homogenen Feld der Angebote wurde jeder kleinere Ausbruch begrüßt. Und so erntete die Hallenserin Swinda Reichelt mit ihrer Land-art-Kollektion auf Brunnenkressebasis mehr als nur Aufmerksamkeit. Die pflegeaufwendigen Körperwiesen der DDR-Designerin fordern von ihren Trägerinnen neben dem Mut zur Blattlaus auch jede Menge gärtnerisches Talent, um das Produkt über die Saison zu retten.

Als „Midnight-Special“ angekündigt und doch kaum mehr als ein Betthupferl: Die Textil-Mode-Show vom Drug-Store Berlin. BeV StroganoV und Ichgola Androgyn, Experten in Sachen Tuntenmode, nahmen sich fast völlig und ihr Gestaltungstalent zurück, um die Textilkreationen der Fachhochschule Hannover zu präsentieren. Doch auch die StudentInnen folgten dem Trend und entwarfen Verhaltenes mit dem Hang zum gehobenen Kommerz. Fünf Tage Offline, keine Show, die Berlin erschütterte, und auch noch nicht der Tummelplatz einer vereint hochgestylten Szene.

Andre Meier