"Bedenkenloser Verkauf von Körper und Gesinnung"

■ Prostitution in der DDR - trotz staatlichen Verbots gibt es sie wie überall. Früher wurden die Frauen an der kurzen Leine der Stasi gehalten, heute können sie halbwegs freimütig über den ..

Prostitution in der DDR - trotz staatlichen Verbots gibt es sie wie überall. Früher wurden die Frauen an der kurzen Leine der Stasi gehalten, heute können sie halbwegs freimütig über den Devisensex in Ostberliner Nobelhotels und auf der Leipziger Messe berichten. Seit sich die Grenzen geöffnet haben, sind die Preise im „ältesten Gewerbe der Welt“ allerdings gefallen. Deswegen auch haben viele erwartet, daß die Prostituierten aus dem Osten nun in den Westen drängen - eine Annahme, die sich zumindest in West -Berlin bisher nicht bestätigt. Eine Recherche von Michaela Eck und Ulrike Helwerth

Der blonde Hüne mit schwarzem Anzug und Fliege sieht aus wie ein Bodybuilder. Er füllt den ganzen Türrahmen aus. Die „Damen“, die soeben diskret um Einlaß angeklopft haben, sind keine „Gäste des Hauses“, also kommen sie hier auch nicht rein - tut ihm leid. Da muß erst ein männlicher Hotelgast aufkreuzen und die Zurückgewiesenen nachdrücklich zu einem Drink einladen, bevor der Türsteher zögernd zur Seite tritt. Drinnen wird schnell klar, warum hausfremde Besucherinnen nicht willkommen sind.

Das Licht ist schummrig, Diskomusik plärrt. Sitzgruppen und Tische teilen den Raum. Der gemusterte Teppichboden und die gestreiften Polster erinnern eher an Wohnzimmer als an Nachtclub. Einige Sitzgruppen sind besetzt, von Männern jeden Alters, alleine oder in Gruppen. In anderen sitzen junge und sehr junge, gestylte Frauen. Meist ganz allein vor ihren Gläsern, beobachten sie augenscheinlich gelangweilt und doch aufmerksam den Raum. Sie warten darauf, daß sich einer der Gäste zu ihnen setzt, sie zu einem Drink einlädt und - wenn alles wie gewünscht läuft - sie später mit auf sein Hotelzimmer nimmt. Prostitution - offensichtlich und doch diskret.

Szenen wie diese im Club der Nobelherberge „Metropol“ in Ost-Berlin laufen so oder ähnlich täglich auch im „Grand -Hotel“, „Palasthotel“ und den anderen Luxusabsteigen in der DDR ab. Dort ist alles zu haben, auch Frauen - nur gegen Valuta und zu internationalen Preisen, versteht sich. Prostitution - laut DDR-Konversationslexikon „gewerbsmäßige körperliche Preisgabe“ oder, im übertragenen Sinne: „bedenkenloser Verkauf von Körper und Gesinnung“ - galt zwar mit der „Überwindung der Klassengesellschaft“ als abgeschafft. Doch da sich das anachronistische Übel nicht so einfach aus der Welt schaffen ließ, wurde es 1968 gesetzlich verboten und mit einer Strafe bis zu zwei, im Wiederholungsfall bis zu fünf Jahren Gefängnis geahndet (siehe Kasten).

Trotz alledem hat es Prostitution in der DDR, wie in den anderen sozialistischen Ländern, natürlich immer gegeben. Wer es wissen wollte, erfuhr von Taxifahrern und Einheimischen, in welchen Straßen die Stricherinnen arbeiten oder Frauen „privat“ zu haben waren. Diese Dienste wurden in der Regel mit Mark bezahlt. Viel lukrativer und daher verbreiteter jedoch war und ist das Anschaffen für Devisen oder Westwaren - in kleinem und großem Maßstab. Da gibt es diejenige, die in einer Disko oder in einer Bar jemanden kennenlernt und mit ihm ins Bett geht. Die beiden treffen sich nun häufiger. Der Mann ist aus dem Westen und zeigt sich für die Dienste mit Geschenken von drüben oder aus dem Intershop erkenntlich. Eine andere setzt sich ab und an oder regelmäßig ins Cafe des „Palasthotels“ in Ost-Berlin. Dort beobachtet sie die Männer, die mit Plastiktüten vor den Fenstern auf und ab schlendern. Die Tüten sind durchsichtig und lassen ihren Inhalt gut erkennen: Klamotten, Strümpfe, Parfüms und andere begehrte Westwaren. Wenn der Inhalt zusagt, geht die Beobachterin raus und mit dem Flaneur davon. „Beutelstrich“ heißt im Volksmund diese Art der Prostitution.

Das große Geld aber wird in den Valuta-Hotels gemacht: 250 bis 300 DM im Schnitt pro Kunde und Stunde sollen vor Öffnung der Mauer die Regel gewesen sein. Inzwischen sei der Preis gefallen, sagen Frauen, die dort anschaffen gehen (siehe Interview). Bei einstigen Schwarztauschkursen von 1:10 brachte eine Nacht ein mehrfaches Monatseinkommen ein. Und selbst bei niedrigeren Preisen und Umtauschraten liegt der Gewinn weit über dem, was die Frauen tagsüber in ihren regulären Jobs verdienen. Denn eine geregelte Arbeit muß bisher jede nachweisen, um nicht als „arbeitsscheu oder asozial“ verfolgt und bestraft zu werden.

Kontakt mit der Stasi

Brennpunkt der DDR-Prostitution war und ist zweifellos Leipzig. Zu Messezeiten reisen Frauen aus dem ganzen Land an und können in wenigen Tagen etliche Tausender machen. Doch die Staatssicherheit hatte das illegale Geschäft fest im Griff. Die meisten Huren hatten unfreiwilligen oder freiwilligen Kontakt mit der Stasi. Manche wurden gezielt auf westliche Geschäftsmänner und Politiker angesetzt, andere zur Mitarbeit gepreßt.

Die Frauen, die in den Hotels arbeiten, sind bekannt und erfaßt. Um in die Bars oder Clubs hineinzukommen, müssen sie den Türsteher oder den Barkeeper schmieren, mit Westgeld, manchmal auch mit Sex. In den meisten Hotels wird der Aufgang zu den Zimmern von der Rezeption aus überwacht. Ein Gast, der eine Frau mit nach oben nimmt, muß für eine zusätzliche „Aufbettung“ rund 60 DM bezahlen, seine Begleiterin wird registriert. Wird eine unangemeldete Frau auf der Etage erwischt, droht ihr Hausverbot.

Im Club des „Metropol“ wird es gegen Mitternacht lebendiger. Ein Magier hat weiße Tauben am laufenden Band aus dem Irgendwo gezaubert und sie dort wieder verschwinden lassen, eine Schlangenfrau hat sich ver- und entknotet, ein Papageiendresseur seine „Loras“ und „Kokos“ präsentiert. Mäßiger Beifall. In den Sitzgruppen ergeben sich neue Konstellationen. Zu zwei blondgelockten jungen Frauen gesellen sich zwei seriöse Männer Marke Silberlocke. Schräg gegenüber wechselt eine Frau in weißem Overall erste Worte mit einem dunkelhäutigen Gast, schon rückt der Mann näher. Herein kommt eine Frau mit schwarzem Lockenkopf, Mini und knallroter Bluse, schon sehr vertraut mit einem Gast plaudernd. Vor einer Stunde hockte sie noch oben an der Bar, wo sie das Revier mit zwei Kolleginnen teilte. Nun sitzt sie mit ihrem Freier in einer Couchecke. Er hat den Arm um sie gelegt und bestellt zwei Drinks. Kurze Zeit später sind die beiden verschwunden.