Hauptstadtfrage offen

■ Der Bonner Fußball bleibt drittklassig und stellt sich den fußballerischen Expansionsgelüsten Berlins entgegen

P R E S S - S C H L A G Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß Fußball etwas mit Politik zu tun hat, dann muß man sich lediglich vor Augen führen, daß die ruhmreiche Hertha aus Berlin just in dem Jahr wieder erstklassig wird, in dem die ehemals geteilte Stadt beginnt, wieder zusammenzuwachsen. Mit einem Erstligisten läßt sich auch die heiß geführte Diskussion um die Hauptstadt des vereinten Deutschlands für Walter Momper und seine Mitstreiter sehr viel gelassener angehen.

So denkt zumindest der Regierende Bürgermeister. Aber: aus der Provinz droht den Hauptstadtgelüsten Gefahr. Seit Jahren dümpelt in der drittklassigen Amateuroberliga Nordrhein im unteren Mittelfeld der Bonner SC herum, der in dieser Saison sogar abzusteigen drohte. Nur der Schwäche anderer Bewerber ist es zu verdanken, daß das Team aus der Bundeshauptstadt mit seinen kläglichen 26:42 Punkten auch im nächsten Jahr der dritthöchsten Spielklasse angehören wird - und nicht als bester Fußballclub der amtierenden Bundeshauptstadt in den fast schon nicht mehr beschreibbaren Abgründen der Verbandsliga vor die Schweinsblase treten muß.

Das hat Tradition: Verpaßten es diesmal andere Teams, mit einem weiteren Sieg den Bonnern das Aus zu versetzen, so gab schon immer die Schwäche anderer den Ausschlag für Bonn nicht zuletzt als provisorische Bundeshauptstadt. Bescheidenheit ist Trumpf und die Bonner führen die entfachte Hauptstadtdiskussion gerne mit den dezentralen Strukturen in diesem Land. Plötzlich sind die Stadtväter am Rhein stolz auf den Föderalismus, auf die zahlreichen Bundesbehörden in der ganzen Republik und wettern gegen die drohende zentralistische Hierarchie, die mit Berlin zu verbinden sei.

Und eine Haupstadt mit Erstligafußball gibt den lokalen Wendehälsen vermutlich Bestätigung und weitere Argumente für das unbedeutende Capitol am Rhein. Hertha BSC im UEFA-Cup, so wollen einige Voreilige den Bonner Oberbürgermeister Hans Daniels (CDU) bereits am liebsten zitieren, mache den Nachbarn Gesamtdeutschlands unnötig Angst - nicht nur vor den gefürchteten Hertha-Fröschen. So bleibt dank des 0:1 am letzten Spieltag der Oberliga Nordrhein, das die Bonner Kicker beim BVL Remscheid ermauern konnten, die Hauptstadtfrage weiter offen.

Wenn der Fußball in Bonn drittklassig bleibt, reicht das den dortigen Einwohnern vollkommen. Für den Bonner SC interessieren sich kaum mehr als eine Handvoll Leute in der Stadt. Ist ein Heimspiel ausnahmsweise einmal gut besucht, füllen etwa 1.000 Besucher das Rund am Nordpark. Die Ränge der Sportstätte sind vorsorglich zu weit über 50 Prozent begrünt, um den wenigen aufrechten Fans das Gefühl einer gewissen Enge zu vermitteln.

In die Schlagzeilen kam der Verein nur ganz selten. In den 60er Jahren sorgte das Ehrenpräsidium um Konrad Adenauer, Erich Mende und Carlo Schmid eher für Schmunzeln, konnte aber die Kicker nicht dauerhaft in der damaligen Regionalliga West etablieren. 1978 schaffte es der BSC, sich als erster Verein im bezahlten Fußball in die später längere Liste der Clubs einzutragen, denen aus finanziellen Gründen die Lizenz verweigert wurde. Damit war das einzige Jahr für den Bonner Fusionsclub in der 2. Bundesliga, die damals noch zweigeteilt war, unrühmlich beendet worden.

Ein sportlicher Aufstieg ist für die Bonner Kicker nicht in Sicht: fast schon traditionell verlassen auch in diesem Jahr zum Saisonende die besten Spieler den Verein, dem es trotz seines Hauptstadtbonus bis heute nicht gelungen ist, einen zahlungskräftigen Sponsor an Land zu ziehen.

Aber sportliche Erfolge wären für die Fanatiker vor Ort vermutlich ohnehin eine Anballung von Macht, die Bonn nicht gut anstünde. Da bleibt der Bonner SC lieber weiterhin die schlechteste Fußballmannschaft einer europäischen Haupstadt.

Sportlichen Erfolg feiert man am Rhein lieber dank eines Ehemaligen. Mit dem Ex-Nationalspieler Hannes Bongartz ist der berühmteste Bonner Kicker jetzt als Trainer in die erste Bundesliga aufgestiegen: mit Wattenscheid 09 und bescheiden, wie die Bonner sind - als Tabellenzweiter hinter der Berliner Hertha.

Harald Gesterkamp