Beginn des Streits

Zum Abschluß des Staatsvertragsentwurfes  ■ K O M M E N T A R E

Wenn die Sozialdemokratie der DDR die historische Legitimation ihrer Beteiligung an der Großen Koalition daraus ableitete, die DDR-Seite - gewissermaßen als Partei der ideellen Gesamt-DDR - in den deutsch-deutschen Verhandlungen zu stärken, dann müßte sie jetzt vors Volk treten und sich schämen. Aber die Phase der öffentlichen Schamrituale ist schließlich überwunden und das DDR-Volk ist auch nicht mehr das, was es im November '89 war. Die letzte Fassung des Staatsvertrages zeigt jedenfalls deutlich genug die Ergebnisse zäher sozialdemokratischer Verhandlungsarbeit: allgemeine Formulierungen und Trostpflaster für die Minderbemittelten tauschte sie für eine summarische Ermächtigung des Bundesfinanzministers. Der Staatsvertrag lobt die DDR-Revolution, akzeptiert die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialunion„; aber der Bundesfinanzminister hat das letzte Wort bei den Haushaltsdefiziten - vor allem wird demnächst, d.h. noch bevor das Haushaltsdesaster in der DDR und ihren Ländern sich voll abzeichnen wird, festgelegt, welche einmalige Summe die Bundesrepublik zur Finanzierung des Haushaltsdefizits auswirft. Und diese Summe wird nicht nach den Notwendigkeiten in der DDR, sondern nach bundespolitischen und wahltaktischen Opportunitäten errechnet werden. Die Kosten der Einheit wird hauptsächlich die DDR tragen; dafür darf sie sich der Bundesrepublik angleichen. Deutlicher kann sich ein einseitiger Vertrag nicht dokumentieren.

Besonders empörend ist es, daß die SPD von ihrer Absicht, der parlamentarischen Kontrolle einen hohen Rang im Vertragswerk zu sichern, zurückgewichen ist. Damit ist die Vertragsgeschichte, das Ausschalten des Parlaments durch die Ministerialbürokratie, vollendet worden. Der Geist des Vertrages ist der der Unterwerfung, bei Berücksichtigung der aktuellen Wünsche der Unterworfenen. Ansonsten sind die Artikel beherrscht von Bonner Hochmut, Interventionslust, Widersprüchlichkeiten und einer vagen Ahnung vom wirtschaftlichen Bankrott der DDR. Es ist kein Vertrag, der Vertragssicherheit schafft. Kommende Verteilungskämpfe, Widersprüche zeichnen sich ab, ganz abgesehen davon, daß wichtige Punkte wie die Eigentumsfrage oder das Landwirtschaftsproblem ausgeklammert bleiben. Dieser Vertrag ist weniger ein Schritt zur deutschen Einheit, sondern ein Schritt zum innerdeutschen Streit. Der Geist, den dieser Staatsvertrag erzeugen wird, entspricht dem bundesdeutscher Reihenhaussiedlungen: Nachbarschaftsfragen werden von Rechtsanwälte geklärt, möglichst durch alle Instanzen.

Klaus Hartung