„Beratung kann ja nicht Bevormundung heißen“

DDR-Familienministerin Christa Schmidt (CDU): Eine Zwangsberatung vor der Abtreibung ist nicht geplant. Kostenbeiteiligung bei wiederholten Abbrüchen?  ■ I N T E R V I E W

taz: Das Thema Schwangerschaftsabbruch sorgt im deutschen Einigungsprozeß zur Zeit für ziemlich hohe Wellen...

Christa Schmidt: Sie, die bundesdeutsche Presse hat dafür gesorgt. Sie haben das angeschoben, und unsere Frauen haben sich entsprechend emotional aufladen lassen. Wir haben sie ja sogar schon auf der Straße gehabt.

Sie meinen, ohne den Einfluß der bundesdeutschen Medien hätten die Frauen in der DDR das Thema nicht aufgegriffen?

Doch, das hätten sie, aber langsamer, in einer ruhigeren und weniger geladenen Stimmung. Die DDR-Mentalität unterscheidet sich da eben doch von der in der BRD.

Sie haben aber doch auch öffentlich erklärt, daß die bisherige Fristenlösung in der DDR bleiben muß.

Ja, das habe ich. Weil es einfach Situationen gibt, in denen eine Frau selbst entscheiden können muß, ob sie das Kind austragen will oder nicht, ohne daß ihr jemand dazwischen redet und ihr erst nach langem Theater einen Schein ausstellt. Dahinter steh‘ ich. Ich habe aber auch am 7. Mai in der Sendung „hautnah“ (Unterhaltungssendung im Deutschen Fernsehfunk. Anm. d. Red.) darauf hingewiesen, daß wir die Solidarität aller Frauen brauchen, wenn wir unsere Regelung erhalten wollen. Und die Moderatorin hat dazu aufgerufen, daß Unterschriften gesammelt und Briefe geschrieben werden. Die Frauen sollen mir kundtun, was sie wollen, ob sie unsere bisherige oder eine andere Regelung unterstützen.

Sind die Waschkörbe schon voll?

Die Aktion fing ja gerade erst an. Aber jeden Tag kommt ein Bündel Post. Während sich die ersten Briefe gegen meine Position richteten, kommen jetzt Zuschriften, die sich ungedingt für unsere Fristenlösung aussprechen.

Glauben Sie, daß die Mehrheit der Frauen in der DDR so denkt?

Die Zeitschrift 'Brigitte‘ hat eine Umfrage gemacht. Danach sind 59,5 Prozent für die Fristenlösung. Ich denke aber, daß es mehr sind, und das müssen wir herausbekommen.

Wie versucht Ihre Regierung, die Fristenlösung gegenüber der Bundesregierung durchzusetzen? Mit wem verhandeln Sie darüber in Bonn?

Es gibt bisher nur sehr bescheidene Vordiskussionen mit dem Ministerium von Frau Lehr. Im Moment laufen die Verhandlungen für den Staatsvertrag. Da spielt das Thema keine Rolle.

Steht denn in der aktuellen Fassung noch der Passus drin: „Dem Schutz des ungeborenen Lebens ist besonders Rechnung zu tragen“?

Die aktuelle Fassung kenne ich noch nicht. Sicher geht es auch um den Schutz des ungeborenen Lebens.

Der Schwangerschaftsabbruch ist ja nur die letzte Entscheidung, und sie sollte von den Frauen und den zugehörigen Männern nicht leichtfertig getroffen werden. Das muß in Zukunft eine partnerschaftliche Frage werden. Wir müssen uns jetzt in beiden Teilen Deutschlands über den Bereich einigen, der davor kommt. Also Schwangerschaftsverhütung durch bessere Aufklärung und Sexualerziehung, gerade in der Schule, durch ethische Normen, die mehr auf die Verantwortung gegenüber dem Kind setzen. Ich hoffe, daß ich in die eigentlichen Verhandlungen, die bald beginnen müssen, einbezogen werde. Denn über den Schwangerschaftsabbruch kann ja nicht der Staatssekretär diskutieren. Da will ich selbst dabei sein.

StaatsrechtlerInnen in der Bundesrepublik geben zu bedenken, daß nach Beitritt der DDR zum Grundgesetz nach Artikel 23 schwerlich zwei unterschiedliche Strafrechte nebeneinander existieren können.

Juristisch kenne ich mich nicht so aus. Herr de Maiziere kann sich aber durchaus vorstellen, daß nach der Vereinigung einzelne Bestimmungen für eine Weile nebeneinander existieren können. Natürlich ist mir bewußt, daß wenn wir eine andere Regelung haben - aus Ihrer Sicht vielleicht eine bequemere, darüber könnte man sich streiten - daß dann Frauen aus der BRD kommen und bei uns abtreiben lassen wollen. Das geht aber in unseren kaum mehr arbeitsfähigen Krankenhäusern nicht - nachdem unsere Ärzte weggegangen sind, freiwilig oder weil man sie mit lukrativen Angeboten in die BRD gelockt hat.

Von vielen Frauen und ÄrztInnen in der DDR wird, unter Beibehaltung der Fristenlösung, eine bessere Beratung verlangt. Das geht bis hin zur Forderung nach einer Pflichtberatung. Streben Sie eine solche Regelung an?

Keinesfalls. Nach Aussagen von Frauen aus der BRD habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Beratung dort doch sehr stark auf eine Befragung und Beeinflussung hinausläuft. Ich möchte bei uns auf alle Fälle eine bessere Beratung anbieten als bisher, aber nur auf freiwilliger Basis, wenn die Frau das wünscht. Ihre Entscheidung soll sie alleine treffen. Beratung kann ja nicht Bevormundung oder Überreden heißen.

Sie werden also einem Zwangsberatungsgesetz auf keinen Fall zustimmen?

Nein, bisher nicht. Vom Volkskammerausschuß „Frauen und Familie“ wurde mir klar und deutlich der Wunsch entgegengebracht, unsere Fristenregelung mit einigen Modifizierungen beizubehalten.

Und die wären?

Zum Beispiel bei wiederholten Abtreibungen. Es gibt ja einige Frauen, die mit großer Leichtfertigkeit unser Gesetz ausnützen und den Schwangerschaftsabbruch als Verhütungsmittel betrachten. Dagegen wollen wir unbedingt was tun.

Was konkret?

Die Einstellung der Menschen dazu verändern, immer wieder auf die Verantwortlichkeit hinweisen. Dann wird aber auch über eine Kostenbeteiligung am Eingriff nachgedacht.

Das wird ja auch vehement aus ärztlichen Kreisen gefordert.

Ich weiß, die Ärzte aus der Charite (Großkrankenhaus in Ost -Berlin. Anm. d.Red.) haben das angeregt. Ich möchte aber nirgends lesen: Familienministerin fordert Kostenbeteiligung. Es sind bisher nur erste Überlegungen im Gange, ob und wenn ja, wie Frauen am Schwangerschaftsabbruch finanziell beteiligt werden können.

CDU-Politiker in der Bundesrepublik versuchen seit geraumer Zeit, die Krankenkassenfinanzierung der sogenannten Notlagenindikation abzuschaffen.

Wenn eine Frau schon in eine Notlage geraten ist, kann man sie doch nicht noch in eine zweite bringen, indem man ihr auch noch Kosten auferlegt.

Interview: Ulrike Helwerth