Kohls deutsche Fristenlösung

■ Der Bundeskanzler ist auf Lambsdorffs Linie eingeschwenkt: Noch in dieser Legislaturperiode sollen gesamtdeutsche Wahlen stattfinden. Doch ist dies verfassungsrechtlich und politisch nur schwer durchsetzbar. Die Fristen sind knapp, und die Bonner Opposition kann über ihre künftige Mehrheit im Bundesrat neue Hürden aufbauen. Auch in der DDR stößt der Vorstoß der Bonner Koalition - noch - auf Widerstand.

Man müsse das Eisen schmieden, solange es heiß sei, meinte FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff im Bayerischen Rundfunk. Davon ist nun auch der Bundeskanzler überzeugt. Noch in der vergangenen Woche hatte er sich für Bundestagswahlen am 2.Dezember und gesamtdeutsche Wahlen im Herbst nächsten Jahres ausgesprochen. Nun ist er auf den Kurs des Grafen eingeschwenkt. Die gesamtdeutschen Wahlen sollen mit der Bundestagswahl zusammenfallen und also allerspätestens am 13.Januar stattfinden, wenn in Bonn die Legislaturperiode zu Ende geht.

Die Metapher vom heißen Eisen hat Lambsdorff zwar in einem wirtschaftspolitischen Zusammenhang angeführt; er befürchtet offenbar, daß die Einheit desto teurer wird, je später sie kommt. Doch gilt sie sicher auch in einem parteitaktischen Sinn. Wenn das Eisen erkaltet, wenn die DDR-Bürger von der Einheitseuphorie und den damit verbundenen Hoffnungen auf Investitionen, auf Sanierung der maroden Wirtschaft endgültig auf den Boden der nüchternen Realität von Massenarbeitslosigkeit, teuren Lebensmitteln und Mieten kommen, könnte dies die Parteien der Bonner Koalition entscheidende Stimmen kosten. Je größer der Abstand zwischen der Ratifizierung des Staatsvertrags und der politischen Einheit Deutschlands wird, desto größer die Chancen der Sozialdemokraten, gesamtdeutsche Wahlen zu gewinnen.

Ob der Bonner Terminkalender in Sachen gesamtdeutsche Wahlen überhaupt eingehalten werden kann, ist mehr als fraglich (siehe Kasten). Doch im Lager der Regierungskoalition ist der Streit nun zumindest vorläufig beigelegt. Auch CSU-Chef Waigel, dessen Partei sich ursprünglich für die Bundestagswahl allein im Westen und eine „Nachwahl“ im Osten ausgesprochen hatte, ist inzwischen auf die vom FDP-Chef vor vier Wochen vorgegebene Linie eingeschwenkt. Und selbst die Kontroverse darüber, ob der Wahltermin - wie von der FDP bislang gefordert - im Staatsvertrag festgeschrieben werden soll, gehört nun der Vergangenheit an. Bis zum Sommer sollen „korrespondierende Erklärungen“ der beiden deutschen Regierungen angestrebt werden, in denen der Termin gesamtdeutscher Wahlen und der Zeitpunkt des Beitritts der DDR zur BRD nach Artikel23 des Grundgesetzes festgehalten werden sollen. Begründet wurde dies mit einem möglichen Stimmungsumschwung in der DDR infolge einer Verunsicherungskampagne der dortigen Sozialdemokraten und der PDS.

Doch stößt die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen noch vor Ende der Legislaturperiode nicht nur auf zahlreiche juristische Hürden, sie ist auch politisch schwer durchsetzbar. Nicht nur im Osten, wo der sozialdemokratische Außenminister „frühestens in einem Jahr“ wählen lassen will und der christdemokratische Regierungschef - „heute kein Thema“ - sich noch zurückhält, sondern auch im Westen. Die SPD will das forcierte Tempo nicht mitmachen. Wenn beide deutschen Staaten gründlich zusammenwachsen sollen, so etwa die stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin, seien gesamtdeutsche Wahlen frühestens Ende nächsten Jahres möglich. Und die Grünen warnen, der von Kohl und Lambsdorff anvisierte Wahltermin könne nur „auf dem Weg der Erpressung“ durchgesetzt werden. Für Vorstandssprecher Ralf Fücks kämen gesamtdeutsche Wahlen im Dezember gar einem „politischen Putsch der Regierungskoalition“ gleich.

Thomas Schmid