Fauler Tarifkompromiß

■ betr.: "Ende der Tarifpolitik des alten Stils", taz vom 11.5.90

betr.: „Ende der Tarifpolitik des alten Stils“, taz vom 11.5.90

Woher Martin Kempe den Eindruck hat, die Metaller wären mit dem faulen Tarifkompromiß zufrieden, ist mir ein Rätsel; wenn in der großen Tarifkommission dieser Abschluß angeblich bejubelt wurde, dann dürfte dies außer den Kapitalistenverbänden der einzige Ort gewesen sein. Der hessische Tarifvertrag weicht zwar in einigen Punkten vom württembergischen ab, aber die Hauptpunkte sind ähnlich, und ich habe noch von keinem einzigen Kollegen und keiner einzigen Kollegin gehört, sie seien damit zufrieden.

Ist Euch eigentlich klar, daß sechs Prozent Gehaltserhöhung in Hessen für eine 20jährige Angestellte der Tarifgruppe K2/T2 gerade 102 DM, für T3 126 DM, für K3 114 DM sind? Wie soll ich davon auch nur die letzte Mieterhöhung bezahlen? Und das bei einer Mindestforderung nach 200 DM und vollem Lohnausgleich für Arbeitszeitverkürzung! Der angebliche „ansatzweise Festbetrag“ für April und Mai - das ist ein alter Hut, daß es Pauschalbeträge gibt für die Zeit, wo der alte Tarif nicht mehr und der neue noch nicht gilt. Und einmal 240 DM: dafür wurde in Württemberg den Kollegen die monatliche Erstattung der Kontoführungsgebühr abgekauft. Wir sind doch nicht so blöde, uns das als Erfolg verkaufen zu lassen!

Die Lohnquote am Volkseinkommen sinkt seit Jahren rapide, und mit diesem Tarifabschluß sinkt sie weiter. Wo, bitteschön, ist dann die angebliche „Wende“, die die IGM erkämpft hat? Und die Metallkapitalisten schaufeln Gewinne ohne Ende. Nachdem bereits die außertariflichen Angestellten munter 40 Stunden weitermalochen, sollen nun auch 13 Prozent der tariflichen dies tun (und zwar ab sofort, während die Arbeitszeitverkürzung erst 1993 überhaupt zieht) - strikt freiwillig natürlich, so freiwillig, wie Aufhebungsverträge unterschrieben werden, Versetzungen zugestimmt wird und die Arbeitsverträge unterschrieben werden. (...)

Wenn der IGM-Führung augenblicklich wichtiger ist, bei der Annexion der DDR mitzumischen und FDGB-Vermögenswerte zu raffen, dann ist das noch lange nicht das Anliegen der KollegInnen, die tagtäglich damit konfrontiert sind, daß Kapitalismus Ausbeutung heißt. „Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren“, ist ein beliebter Gewerkschaftsspruch.

Uns hat die IGM nicht kämpfen lassen und wir haben kräftig verloren. Wir werden die Kraft entwickeln, diese Verluste bei nächster Gelegenheit wettzumachen. Und wir grüßen die streikenden PostkollegInnen - sie machen das einzig Richtige: Streiken für ihre Forderungen!

Annette Müller, (VKL/IGM), Frankfurt