Demo in Frankfurt

■ "Warten auf Godot", Kommentar von Reinhard Mohr, "Unpopulär und massenhaft gegen Deutschland", Artikel von Heide Platen, taz vom 14.5.90

betr.: „Warten auf Godot“, Kommentar von Reinhard Mohr, „Unpopulär und massenhaft gegen Deutschland“, Artikel von Heide Platen, taz vom 14.5.90

Ein Skandal! Ganz Deutschland will sich wiedervereinigen, da wagt es ein kleines Grüppchen von 20.000 Linken dagegen auf die Straße zu gehen. Gott sei Dank fordert der DDR -Innenminister eine drastische Aufrüstung seiner Knüppelgarde, während deren Frankfurter KollegInnen den „Protestrhetorikern“ ihre Instrumente gleich vor Ort zeigen.

Was andere Leute vielleicht zum Nachdenken veranlassen könnte, erschüttert taz-Redakteure keineswegs. Wer in Düsseldorf für die SPD Wahlkampf macht, wer in Berlin die Bullen schon im Vorfeld des 1. Mai dazu aufruft, jetzt mal endlich gegen den „randalierenden Mob“ durchzugreifen, für den bereitet auch die Demo in Frankfurt und der gute und treffende Artikel seiner Korrespondentin keine Probleme.

Da trifft es sich prima, daß ein paar PDSler mitlaufen wir wurden ja schon immer aus Ost-Berlin bezahlt. Daß auf der Demo aber auch das gespaltene Verhältnis vieler Linker zum ehemaligen SED-Staat kritisiert (unter starkem Beifall) wurde, interessiert da nicht mehr. Reinhard Mohr ist sicher so oft auf Demos, daß er das vom Schreibtisch aus viel besser einschätzen kann.

Bedenklich ist aber vor allem, daß der immer stärker werdende Schulterschluß der taz mit den Herrschenden, von Schwarz bis Grün, die Entfaltungsmöglichkeit einer linken und radikalen Gegenöffentlichkeit allenfalls noch in den LeserInnenbriefen und Kleinanzeigen zuläßt. Vorberichte zur Demo in Frankfurt wären ja schon zu staatsgefährdend. Schließlich ist die taz als erste Zeitung ja bereits großdeutsch. (...)

Wo sind in der taz die Leute, die Widerstand nicht nur in El Salvador und Südafrika, sondern auch hier für wichtig halten? Um schwarz-gelb-rot-grünen Einheitsbrei zu lesen, kann ich auch Springer kaufen. Prost Mahlzeit!

Günter Kaminski, Münster

Den Kommentar las ich schon mit einiger Verwunderung, aber spätestens, als ich den Bericht zur Demonstration Nie wieder Deutschland gleich danach las, da fragte ich mich, was dieser Kommentar eigentlich soll.

Es werden locker ca. 20.000 Menschen über einen Kamm geschoren, als die ewig Gestrigen achtlos abgetan. Mit Polemik und Diffamierung („linksradikale Bahnhofsvorsteher“), mit Vorbehalten gegen Großdeutschland vorzugehen, das halte ich für undifferenziert, primitiv und der Problematik in keinster Weise gerecht werdend. Und übrigens: Behauptungen, die sehr oft wiederholt werden, müssen deswegen nicht unwahr sein.

J.Schütze, Kaltenkirchen

(...) Wohlwollend interpretiert, wird in diesem Kommentar die Demonstration der 10.000 gegen Großdeutschland als mit uraltlinkem Gedankengut belastet und als der Zeitentwicklung unangemessen dargestellt. Selbst die Hessenschau hat da noch mehr Inhalte der Demonstration rübergebracht als dieser Schreiberling, der wohl nicht dabei war.

Daß die Vereinigung zu schnell geht, in einen Profit- und Ausnutzungsrausch der deutschen Industrie mündet, wird so langsam auch den Menschen in der DDR klar. Nicht umsonst haben sie in den Kommunalwahlen mehrheitlich links gewählt, was die taz aber nicht zusammenrechnen und darstellen wollte.

Aber für die ehemals strammlinken Bürgersöhne hat sich die Überlegenheit des Kapitalismus gezeigt, und so streben sie genauso unüberlegt dem Bürgerlichen zu, wie ehedem den Kommu -Linken. So haben die Menschen wie der Kommentator und andere inzwischen wohl die taz mitbeherrschende Männer (?) wieder ein Negativbild: Die vermeintlich ewig Gestrigen, die gegen die Wiedervereinigung und für einen sozialen dritten Weg sind. So reagieren sie durch Destruktivität und Passivität ihre Enttäuschung ab, ihre Ideale aufgegeben und noch keinen Ersatz gefunden zu haben. Dabei verlieren sie die Realität aus den Augen.

Und die ist: Eine Mehrheit der DDR-Bürger(Innen d.sin) hat bei den Kommunalwahlen links gewählt. Ja, ja. Rechnet mal nach. Es stimmt, trotz aller gegenteiligen Beschwörungen der westdeutschen Medien (inklusive taz) und Politiker.

Und die Landtagswahlen bestätigen: Noch gilt der Kapitalismus nicht als einzig mögliche Utopie.

Und deshalb solltet Ihr in der taz Eure Kommentare endlich mal wieder auf den Boden der Realität stellen, sonst bestraft Euch das Leben durch sinkende Abozahlen, denn für Sozis und CDUler sind 'Rundschau‘ und 'FAZ‘ immer noch tausendmal besser als ihr.

Axel Bretzke, Darmstadt

Ich war selber nicht in Frankfurt und habe die Vorbereitungen für die Demonstration immer als viel zu eng und dogmatisch kritisiert. Es tut aber not - und deshalb finde ich es eine vertane Chance, die Demonstration nur in einem so kleinen Rahmen zu organisieren - sich gegen die Deutschtümelei, die zu erwartende übermächtige ökonomische Stellung des vereinten Deutschlands innerhalb der Weltwirtschaft und insbesondere der EG zusammenzutun.

Wie billig polemisch begibt sich Reinhard Mohr auf den Pfad der traditionellen Parteien und der rechten Grünen, wenn er bereits seine Aufarbeitung linker Geschichte (und ich nehme an, daß es bei ihm zumindest in Quentchen aufzuarbeiten gibt) mit dem Ergebnis abgeschlossen hat, daß es sich um „falsche Geschichtsabstraktionen“ gehandelt habe, die er über Bord geworfen wissen will.

Für ihn scheint's, gab es auch keine „Denkpause“ - welch ein Wort! -, sondern nur einen schnellen Schwenk auf die von den Rechten aufbewahrte und geschürte Großdeutschlandposition (dort findet er sich zusammen mit den so realpolitisch den Anschluß suchenden rechten Teilen der Grünen).

Wer, wenn nicht jene, also wir, die noch immer linke Altlasten in sich tragen und ihre Politik daran orientieren, sollte sich gegen Art und Weise der einträchtig großen Neuvereinigung westdeutscher Parteien von CDU bis Grüne wehren. Daß viele dieser Linken sich nicht als fähig erwiesen haben (es aber ja noch tun können), zugleich über ihre eigene Verstrickung in den realen Sozialismus zu diskutieren, ist sehr bedauerlich und zeigt uns - um mich mal wieder einzuschließen - in bester deutscher Tradition („Herr Genscher, wieviel Geld gaben Sie dem rumänischen Diktator?“).

Aufgabe für die Linken in ihrer ganzen Bandbreite ist genau, diese Diskussion um die eigene Kritiklosigkeit gegenüber dem realen Sozialismus beginnend auf eine nun denn deutschlandweite Aufarbeitung des Faschismus einschließlich alter antisemitischer und rassistischer Traditionen der letzten 120 Jahre zu drängen.

Michael Seligmann, Münster