Rabbis und Callgirls

■ Filmfestspiele Cannes: ein amerikanischer Tresorfilm

Cannes (taz) - Tresorfilme gibt es auch in Amerika. 1968 hat Michael Römer - heute Filmhistoriker an der Yale-Universität - A Plot Against Harry gedreht. Eine Komödie im jüdischen Teil von New York - es wäre sein zweiter Film gewesen. Aber Römers Produktionsgesellschaft fand den Film nicht zum Lachen und verzichtete auf die Vermarktung. 21 Jahre später schickte Römer den Film mit neu gemischtem Ton an die Auswahlkommissionen der Filmfestivals von New York und Toronto. Beide amüsierten sich herzlich und nahmen den Film ins Programm. Seitdem läuft er in den USA mit einigem Erfolg.

Harry Plotnick (Martin Priest), ein kleiner New Yorker Gangster und Buchmacher, der sich aber immerhin einen Cadillac mit Chauffeur und zwei Telefonen leisten kann, kommt nach neun Monaten aus dem Gefängnis. Die Geschäfte sind in seiner Abwesenheit nicht gut gelaufen. Eines seiner Bandenmitglieder, der schwarze Julot, hat sich in Teilen von Harrys Revier selbständig gemacht. Harry hat nicht die Kraft, sich zu wehren. Aber zur Lebenskrise kommt es erst, als er einen Autounfall provoziert. Im anderen Auto sitzen, zum Glück unverletzt, Harrys Exschwager, seine Exfrau und eine seiner Töchter, die er seit zwanzig Jahren nicht gesehen hat. Damit schwebt Harry zwischen zwei Welten, auf der einen Seite die Bar-Mitzvah-Feiern und Rabbis, auf der anderen die Boxringe und Callgirls. A Plot Against Harry ist ein Film über den Sog der Familie. Harry kann nicht mehr anders, als anständig zu werden. Er kauft sich in das Geschäft des Schwagers ein, spendet für wohltätige Zwecke und läßt sich in eine Loge aufnehmen. Aber er bleibt skeptisch - der Anstand ist ihm nicht angeboren. A Plot Against Harry erinnert an die frühen Filme von Scorsese und de Palma. Der Film ist vor allem eine Reise durch das New York von 1968 - Bronx, Subway, Dessous-Modeschauen, jüdische Familienfeiern, türkische Bäder.

Thierry Chervel