Böser Spuk für Steffi Graf

■ Monica Seles gewinnt die 83. Internationalen Deutschen Tennis-Meisterschaften der Damen in Berlin gegen Steffi Graf nahezu ungefährdet mit 6:4, 6:3

Grunewald - Wenn es noch eines Beweises bedurfte, wes Geistes Kind das Tennispublikum ist, beim Turnier der Frauen an der Hundekehle wurde er geliefert. Mit einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert bedachten die Zuschauer den Regierenden Bürgermeister Walter Momper und die AL-Senatorin Sibylle Volkholz, während Gestalten wie Diepgen und Laurien früher stets Beifall geerntet hatten.

Das kleine Spießrutenlaufen Mompers war jedoch nichts gegen das, was Deutschlands liebstes Kind Steffi Graf auf dem Platz durchmachen mußte. Erbarmungslos wurde sie von ihrer Finalgegnerin Monica Seles herumgescheucht und hatte nicht die Spur einer Chance, ihre erste Niederlage nach 66 Siegen in Folge zu verhindern.

Vor allem ihre schwache Rückhand, die sie derzeit nur als Slice spielt, wurde ihr zum Verhängnis, aber auch die berühmte Vorhand war wacklig wie selten und landete oft meterweit im Aus. Während sich das Publikum, völlig konsterniert, kaum zur Anfeuerung aufraffte, verlieh Steffi Graf ihrem Zorn dadurch Ausdruck, daß sie herumirrende Bälle, die ihr zwischen den Punkten in die Hände fielen, wütend über das ganze Feld prügelte und mit ihrer berüchtigten Vorhand um ein Haar ein Ballmädchen umgebracht hätte.

Nach einer Stunde und drei Minuten war der böse Spuk für Steffi Graf vorbei. Nachdem sie das Berliner Turnier viermal hintereinander gewonnen hatte, das erstemal als Sechzehnjährige, mußte sie diesmal einer Sechzehnjährigen weichen, eine Duplizität der Ereignisse, die offensichtlich auch ihr bewußt ist. „Monica wird jetzt wahrscheinlich die Nummer 1“, sagte sie nach dem Match, und es klang fast so, als ob sie es ernst meinte.

Monica Seles ziert sich noch: „Oh, nein, nein“, wehrte sie Fragen ab, ob sie sich jetzt als neue Nr.1 fühle. „Ich habe doch nur ein Spiel gewonnen.“ Es sei aber „unglaublich“, daß sie an zwei Sonntagen in Folge Martina Navratilova und Steffi Graf geschlagen habe. „Der Sieg über Steffi war der größte meiner Karriere.“ Und auch sie schien es ernst zu meinen.

Matti Lieske