Demo in Frankfurt

■ betr.: "Warten auf Godot" von Reinhard Mohr, taz vom 14.5.90

betr.: „Warten auf Godot“ von Reinhard Mohr, taz vom 14.5.90

Der Vergangenheitsbewältiger Nummer 1 der taz hat wieder mal zugeschlagen: „Falsche Geschichtsabstraktionen“, „semantische Beschwörungsriten“, „Wiederholungszwang“ - mit diesen Begriffen kommentiert er Argumente, die vor einem Jahr noch innerhalb der Linken Konsens und auch bei SozialdemokratInnen und Grünen weitgehend akzeptiert waren.

„Die Rhetorik des Protests gegen die 'Wiedervereinigung‘ (...) läßt nichts Neues gelten.“ Was ist das „Neue“, das dem Frankfurter Miniatur-Augstein so am Herzen liegt? Das Neue ist eine dramatische Verschiebung des Kräfteverhältnisses in Europa zugunsten der BRD, die sich anschickt, sich einen Staat mit 16 Millionen Menschen einzuverleiben.

Wer Parallelen zur Einverleibung Österreichs im März 1938 sieht, malt nach Ansicht Reinhard Mohrs ein „Horrorgemälde“ und bedient sich „unverdrossen des Müllhaufens der Geschichte“. Ich muß sagen, es läuft mir eiskalt den Rücken herunter, wenn ich solche Sätze in der taz lese! Was hier im Deckmantel „linker Selbstkritik“ daherkommt, ist eine so haarsträubende Verharmlosung des deutschen Nationalismus und Militarismus, wie sie bis vor kurzem selbst in stramm rechten Publikationsorganen nur selten gewagt wurde.

Was ist denn so falsch an dem Vergleich mit der Einverleibung Österreichs vor 52 Jahren? Wurde Hitler damals in Wien weniger bejubelt als Kohl Anfang März in Leipzig? Konnten sich die nationalistischen Ideologien nicht genauso auf eine jahrhundertelange gemeinsame Geschichte berufen? Verhielt sich das Ausland nicht erschreckend ähnlich? War die Zahl der aktiven GegnerInnen der deutschen Expansionspolitik damals so viel größer als heute?

Die „neuen Realitäten“, die Reinhard Mohr beschwört, bestehen nicht darin, daß der deutsche Nationalismus heute weniger gefährlich wäre als 1938 oder 1914. Die „neuen Realität“ besteht vielmehr darin, daß die Argumente, die in den Kommentarspalten der taz geäußert werden, sich ihrer Substanz nach immer mehr dem deutsch-nationalen Stammtischgeschwätz Ewiggestriger annähern.

Christian, Heidelberg

betr.: „Unpopulär und massenhaft gegen Deutschland“ von Heide Platen und „Warten auf Godot“ von Reinhard Mohr,

taz vom 14.5.90

(...) Im Vergleich zum Kommentar nimmt sich der Bericht noch relativ harmlos aus. Mensch hat lediglich das Gefühl, auf einer anderen Demo gewesen zu sein. Warum wird zum Beispiel nicht näher auf die thematischen Schwerpunkte der Demo eingegangen, warum nicht auf den Verlauf?

Wo der Bericht genau wird, wird er uninteressant. Wen interessiert, ob der Einsatzleiter, „saloppe Windjacke und Höhensonnenbräune“ hatte? Sicherlich nicht die, die von seinen Knüppelgarden „plattgemacht“ wurden. Aber wenn schon Detail, warum dann nicht an der Realität orientiert? Zum Beispiel hätte es kein Problem sein dürfen, die Zahl der Wasserwerfer richtig anzugeben (bis vier sollte mensch schon zählen können). Wirklich wichtige Infos (Verletzte, Festnahmen) fehlen völlig.

Bezeichnend ist, daß die taz „konservativen JournalistInnen“ ein „politisches Nachspiel“ der brutalen Polizeieinsätze überlaßt.

Aber nun zum Kommentar: Herr Mohr schreibt, daß es den demonstrierenden Menschen in Frankfurt nicht „um die DDR oder gar deren Bevölkerung, die bis zum 9. November 1989 den bundesdeutschen Linksradikalen herzlich gleichgültig war“, ging. Wie kommt es, daß, wie der Autor schreibt, „Verstärkung durch FDJ und PDS“ anwesend war? Wie kommt es, daß Menschen in der DDR gegen Wiedervereinigung demonstrieren? Wirft Herr Mohr ihnen auch vor, daß ihnen die DDR und deren Bevölkerung gleichgültig war? Sind drohende Massenarbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit dem Autor gleichgültig?

Herr Mohr wirft den Linken vor, nichts Neues, zum Beispiel die Wiedervereinigung, zulassen zu wollen. So so, ein nationalistisches großdeutsches Vaterland ist für Herrn Mohr also etwas völlig Neues? Er hat wohl die „Gnade der späten Geburt“ und im übrigen den Geschichtsunterricht geschwänzt?. Also lassen wir doch „das Neue“ zu: Großdeutschland, Imperialismus, Weltkrieg, Unterdrückung, Ausbeutung, Folter... Unter diesem Aspekt bezeichnen wir uns gerne als konservativ.

Wir warten seit 20 Jahren auf die Stunde X, weil wir immer noch dem „wohlfeilen Horrorgemälde von einem imperialistischen-rassistischen Polizeistaat Großdeutschland“ anhängen. Zugegeben, Herr Mohr hat recht: die auch bei dieser Demo wieder einmal unprovoziert und munter prügelnden Bullen waren schließlich freiheitlich -demokratische Polizisten! Und die Pistolen, MPs, Schutzschulde, Videokameras und Funkgeräte, die DSU -Innenminister Diestel zur Bekämpfung sozialer Unruhen (in der DDR) als Folge der zu erwartenden Massenarbeitslosigkeit fordert? Sie dienen ja auch nur den Menschen und sind nicht etwa Zeichen eines Polizeistaates.

Zum Vorwurf, den Rassismus aufzubauschen, kann mensch Herrn Mohr nur fragen, ob er das Blättchen, für das er schreibt, eigentlich nicht liest? Kann er wirklich die erstarkenden Aktivitäten der Rechtsradikalen in der BRD, DDR, Frankreich, Schweden und anderswo ignorieren? (...)

Generell ist gegen konstruktive Kritik nichts einzuwenden, doch ein Demokommentar ist nicht die richtige Stelle für antikommunistische, polemische Hetze.

Die taz sollte sich fragen, ob sie ihrem Anspruch als linke Tageszeitung noch gerecht wird. Kommentatoren wie Reinhard Mohr/Heiner Geißler gehören wohl eher in die 'FAZ'/'Welt‘. Müssen sich bisherige taz-LeserInnen nach einem neuen Informationsblatt umsehen?

Silke Horn, Hagen Hackstätte, Göttingen

Der Kommentar (...) ist meiner Meinung nach eine Frechheit in Anbetracht der politischen Verhältnisse in der BRD und der DDR.

Angesichts der rassistischen Ausschreitungen in der BRD und der DDR, des Polizeieinsatzes zum Beispiel auf eben dieser Demonstration oder im Moment in der Hafenstraße, angesichts der Schnelligkeit und Dreistigkeit, mit der binnen eines halben Jahres die DDR verkauft und die Inhalte, die sie zu bieten hätte beziehungsweise die zu diskutieren wären, über den Haufen geworfen werden und dadurch eine Durchkapitalisierung eines weiteren Landes passiert, angesichts dessen, was dies alles (also der Zusammenschluß zwei der reichsten Länder der Welt) für zum Beispiel die internationalen Ausbeutungsstrukturen und die internationale (geschlechtliche) Arbeitsteilung, ebenso wie für Flüchtlinge aus aller Welt und so weiter bedeutet, ist es mehr als politisch blind, ausgerechnet die DemonstrantInnen als die ewig Gestrigen mit Wiederholungszwang zu bezeichnen.

Die ewig Gestrigen sind die Wiedervereiniger, die Aufrüster und Nichtabrüster, die Rassisten, die vom Volk träumen und von strengerer Flüchtlingsausgrenzung, die, die immer noch mehr Wohlstand um jeden Preis wollen, die, die zurück zum § 218 wollen und so weiter.

Das imperialistische rassistische Großdeutschland mag Schlagwortcharakter haben, ist aber (leider) als „Feind“ aktuell, und alles andere als ewiggestrig. Außerdem muß dieses Feindbild und der Kampf dagegen durchaus nicht im Widerspruch zu (linker) Selbstkritik stehen. (...)

Daniela Kreh, Kassel

(...) Unsinn ist, die sozialistische Utopie als „falsche Geschichtsabstraktionen“ zu bezeichnen. Das erinnert doch sehr an den Spruch „Marx ist tot, Jesus lebt“ eines gewissen Norbert Blüm. Können wir als SozialistInnen was für Honecker und Stalin? Sollen wir jetzt etwa aufhören, vom Sozialismus zu träumen, nur weil die oben genannten Herrschaften diesen bis zur Unkenntlichkeit pervertiert haben. (...)

Natürlich ist die Forderung nach einer deutschen Zweistaatlichkeit ein „Anachronismus“, wie es Reinhard Mohr nennt, aber wir brauchen einfach dieses Gegen-die-Strömung -Schwimmen in dieser Zeit der doitsch-nationalen Besoffenheit von Schönhuber bis Vollmer. (...) Das imperialistisch-rassistische Großdoitschland ist kein „Horrorgemälde“, sondern bald nüchterne Realität, wenn wir jetzt nicht Sand im doitsch-doitschen Getriebe sind. Wir graben uns nicht „gegen den alten und neuen Feind“ ein (denn das hieße ja, alles kritiklos hinzunehmen), und der Sozialismus liegt auch nicht „auf dem Müllhaufen der Geschichte“, dort liegt nur der Stalinismus, der mit dem richtigen Sozialismus ja genausowenig zu tun hat wie der Sozialismus mit der Sozialdemokratie! Es stimmt auch nicht, daß wir die neue Realität nicht wahrgenommen haben (sprich: die Annexion der DDR durch die BRD), sonst hätten wir dagegen ja gar nicht demonstriert.

Es stimmt zwar, daß wir „die historische Krise aller Linken radikal diskutieren“ müssen, aber deshalb dürfen wir doch nicht aufhören, gegen die Rechten (von REP bis SPD) zu kämpfen. Ein Selbstzerfleischungsprozeß wirkt sich lähmend auf die Effizienz und auf die Radikalität aus. (...)

Auch der Vergleich mit den „linksradikalen Bahnhofsvorstehern“, die „Helmut Kohls Modelleisenbahn“ nicht aufhalten können, weil sie schon „seit 20 Jahren auf dem selben Gleis die STunde X erwarten“, ist zwar amüsant, aber meiner Ansicht nach wenig hilfreich. Es müßte eher heißen: In den letzten 20 Jahren stellen sich immer weniger linke „BahnhofsvorsteherInnen“ Helmut Kohls Modelleisenbahn (also dem „Zug der Zeit“) entgegen, weil viele „Linke“ lieber auf diesen Zug aufspringen, um ja nicht den Anschluß zu verpassen (...) Auch das Wort „historisch“ in Reinhard Mohrs Kommentar gefällt mir nicht; es erinnert mich so an Helmut Kohl, unseren doitschen Kanzler, der so gern in die „Geschichte“ eingehen würde!

Andreas Thalheimer, Hanau