Betriebsverfassung

Was ist eigentlich Marktwirtschaft? (5. Teil)  ■  1*1 der Marktwirtschaft

Am Anfang dessen, was heute als soziale Marktwirtschaft auch in der DDR eingeführt werden soll, stand eine Niederlage. Als der Deutsche Bundestag 1953 das Betriebsverfassungsgesetz verabschiedete, mußten die Gewerkschaften ernüchtert feststellen, daß ihre Kraft für eine wirkliche Demokratisierung der Wirtschaft nicht ausgereicht hatte: Die Verfügungsmacht über die Betriebe blieb in den Händen der Kapitalbesitzer, von denen viele noch wenige Jahre zuvor treue Parteigänger des Führers gewesen waren.

Die Gewerkschaften hatten mehr gefordert: Die paritätische, gleichberechtigte Mitbestimung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten sollte nicht nur dafür sorgen, daß die sozialen Interessen der Beschäftigten berücksichtigt wurden. Sie war gedacht als teilweise Entmachtung jener Großindustriellen, die Hitlers Machtergreifung finanziert hatten und vom Eroberungskrieg zu profitieren hofften. Nie wieder sollte wirtschaftliche Macht derart verheerende Folgen haben können.

Die Entmachtung des Kapitals mißlang, die Demokratisierung ebenfalls. Übrig blieb eine Mitbestimmungsregelung in den Aufsichtsräten, bei der die Mehrheit der Kapitalseite automatisch eingebaut war, auch bei der erweiterten Form der Montanmitbestimmung in der Schwerindustrie und im Bergbau. Übrig blieb auch ein Mitbestimmungsgesetz, das in allen Betrieben die Wahl von Betriebsräten vorsah und ihnen vor allem bei der Personal- und Sozialpolitik der Betriebe Mitbestimmungsrechte einräumte. Die Betriebsräte wurden im Betriebsverfassungsgesetz an das Wohl des Betriebes gebunden. Das schränkt ihre Aktionsmöglichkeiten im Betrieb ein. Ein Streikaufruf zum Beispiel ist mit dieser Wohlverhaltensklausel nicht vereinbar. Aber dennoch wurden sie auf Grund ihrer Mitbestimmungsrechte zu einer der tragenden Säulen der gewerkschaftlichen Betriebspolitik.

Betriebsräte genießen Kündigungsschutz, um sie vor Repressalien durch den Unternehmer zu schützen. Die Wahlprozedur ist gesetzlich geregelt, ab einer Belegschaftsgröße von 300 können sie sich freistellen lassen. Der Unternehmer ist verpflichtet, ihnen Arbeitsmöglichkeiten, Büros, Schreibkräfte, Versammlungsräume usw. zu stellen. In den bundesdeutschen Großkonzernen unterhalten die Betriebsräte einen umfangreichen Apparat mit Dutzenden von hauptamtlich arbeitenden Betriebsräten und politischen Sekretären. Oft neigen sie dazu, ihre eigene Betriebspolitik unabhängig von der gewerkschaftlichen Beschlußlage zu betreiben. Die großen „Betriebsratsfürstentümer“ von Daimler oder VW, von Bayer oder BASF bilden gegenüber den außerbetrieblichen gewerkschaftlichen Apparaten eigene, selbstbewußte Machtzentren. Auf der anderen Seite muß die Gewerkschaft auf möglichst intensive politische Einbindung der Betriebsräte bedacht sein, wenn sie ihre betriebliche und überbetrieblich Wirkungs- und Mobilisierungsfähigkeit entwickeln will.

Martin Kempe