Zwei legendäre V-Männer packen aus

Vor dem Untersuchungsausschuß offenbarte sich ein Abgrund des Berliner Verfassungsschutzes  ■  Aus Essen Wolfgang Gast

Es war eine Hochsicherheitsvernehmung: Eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei sicherte den Vernehmungsort, Fotografien und Tonbandaufzeichungen waren verboten und Beobachter wurden penibel durchsucht. Die beiden Zeugen, deren heutige Aufenthaltsorte geheim bleiben sollen, wurden am Dienstag und Mittwoch per Hubschrauber eingeflogen. Vernommen wurden zwei beinahe legendäre V-Männer des Berliner Verfassungsschutzes: Volker von Weingraber Edler zu Grodeck (Deckname „Wien“) und Christian Hain (Deckname „Flach“). Beide sind in die Ermordung des Studenten und Verfassungsschutzinformanten Ulrich Schmücker am 4. Juni 1974 verwickelt, beide wurden jahrelang von fünf Berliner Innensenatoren den Gerichten vorenthalten.

Jeweils acht Stunden wurden die zwei früheren Top-Leute des Berliner VS vom 2. Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses vernommen, der aus „Sicherheitsgründen“ extra zur Vernehmungsstätte - eine Polizeischule im Essener Schloß Schellenberg - anreisen mußte. Weingraber bestätigte erstmals, daß er im Anschluß an die Ermordung Schmückers vom mutmaßlichen Schützen die Tatwaffe entgegengenommen und sie an seinen V-Mann-Führer Michael Grünhagen weitergereicht hatte. Bestätigt wurde durch die Aussage des 48jährigen auch, daß der Mord nahezu unter den Augen des Berliner Landesamtes geschah. Noch in der Nacht vor dem tödlichen Schuß verständigte Weingraber einen VS-Mitarbeiter, weil er „überzeugt war, daß gegen Schücker etwas laufen könnte“. Am Vortag hatten zwei Mitglieder der Wolfsburger Kommune „Bäckergasse“ (ihnen wird die Ermordung zur Last gelegt) den späteren Tatort besichtigt - observiert vom Berliner VS. Weil die VS-Mannen glaubten, es mit einem Liebespärchen zu tun zu haben, brachen sie Observation ab.

Um keinen Preis wollte der VS anschließend den gut plazierten Informanten preisgeben und den Gerichten zur Verfügung stellen. Im Gegenzug heizte der V-Mann „Wien“ die Szene noch an. Weingraber - bei seinem Auftritt von fünf Bodyguards begleitet - übergab nach eigenen Angaben nicht nur dem VS Waffen, Fälschermaterial und Sprengsätze. Eines Abends knallte er beispielsweise den Militanten, auf die er angesetzt war, in seiner Wohnung eine Kleinkaliber -Maschinenpistole auf den Tisch. Weingraber versprach auch, die zugehörige Munition zu beschaffen. Weil er selber dazu nicht in der Lage war, wandte er sich an seinen V-Mann -Führer Grünhagen. Von dem erhielt er schließlich die Adresse eines 74jährigen Büchsenmachers im Bezirk Neukölln. Dort sollte er die Munition beschaffen.

1979 will sich der Edle zu Grodeck „auf das Rentenalter zurückgezogen“ haben, um mit seiner Abfindung von 100.000 DM auf einem Weingut in der Toskana ein ruhiges Leben zu führen. Die Aussage darf allerdings bezweifelt werden. Auf die Frage, ob er ausschließlich der eigenen Sicherheit wegen nach Italien ging, antwortete er mit einem klaren „Nein“ es habe da „eine andere Sache“ gegeben. Nachfragen, stellte er klar, „werde ich nicht beantworten“. Tatsächlich versuchte Weingraber, in Mailand an die Roten Brigaden heranzukommen. Drei Wochen hielt er Kontakte zu einer Gruppe, und über den Umweg einer in Mailand lebenden Westdeutschen Genossin versuchte er auch, Kontakte zur RAF zu knüpfen. Im Mai 78 traf sich „Wien“ in Mailand sogar mit Yelko Sousak, der damals schon die Inszenierung des „Celler Lochs“ vorbereitete. Weder Weingraber noch Sousak, der im Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom Privatdedektiv Werner Mauss geführt wurde, wußten von der VS -Tätigkeit ihres Gegenüber.

Im Gegensatz zu Weingraber, das machten die Vernehmungen deutlich, kam V-Mann Christian Hain im Anschluß an seine Enttarnung nicht in den Genuß üppiger Zahlungen zum Aufbau einer neuen Identität. Ein Jahr nachdem er aufgeflogen war, hatte Weingraber über 760.000 DM vom VS erhalten. „Zu wenig“, wie der geschäftstüchtige Weingutbesitzer heute meint. Wie es zu diesen üppigen Zahlungen kam und ob es sich nicht um „Schweigegelder“ handelte, blieb aus der beeidigten Aussage „Wiens“ ungeklärt.

Christian Hain, alias V-Mann „Flach“, steht dagegen mit der Berliner Behörde auch heute noch in Verhandlungen. Der 40jährige, im Vergleich zu Weingraber der weitaus effektivere VS-Mitarbeiter, erwartet „noch Zahlungen zur Absicherung“ seiner Person. 1989 wurde „Flach“, der seinen umfassenden Beitrag zur Ausspähung einer Anwaltskanzlei der Schmücker-Verteidiger bestätigte, offensichtlich nur für den Bereich Schmücker-Komplex abgeschaltet. „Alles was darüber hinaus mich persönlich betrifft“, verwahrte sich der V-Mann, „ist nicht Thema des Ausschusses“. Eine Erklärung, daß er außer Dienst gestellt wurde, hat Hain nach eigenem Bekunden nie unterschrieben.

Für das Berliner Landesamt muß Hain die Quelle schlechthin gewesen sein. Über Jahre traf er sich zweimal die Woche mit seinem V-Mann-Führer - bis 1981 ebenfalls Michael Grünhagen

-und lieferte allein im Komplex Schücker über 500 Seiten Berichte. Durch seine Hände gingen Waffen und Sprengstoffe, über geplante Befreiungsaktionen war er ebenso informiert, wie er an dem Schmuggel von Kassibern aus den Knästen beteiligt war. Das wahre Ausmaß seiner Aktivitäten ließe sich aus der „Fallakte Wannsee“ ersehen. In sieben geheimen Bänden mit rund 400 Seiten sind darin alle V-Mann -Tätigkeiten aufgezeichnet.