„Ich bin ein beweglicher Mensch“

Der neue DGB-Chef Heinz-Werner Meyer meidet klare Positionsbestimmungen  ■ P O R T R A I T

Eben noch hat er nervös mit dem Stift auf den Tisch getrommelt, da flüstert ihm eine Stimme etwas zu. „63 Prozent“ malt er auf das leere Blatt, kreist die Zahl ein, schraubt den Schreiber zusammen, bringt den Kopf beim Zurücklehnen des Körpers wieder in die gewohnte rechte Schräglage und faltet die Hände. Es ist vollbracht. Heinz -Werner Meyer hat es geschafft. Minuten später Glückwünsche für den neuen DGB-Chef, der plötzlich ruft: „Wo ist meine Frau?“

Sie kämpft sich durch zum Gatten, umarmt ihn und stellt das Geschenk - er hat sich einen Fotoapparat gewünscht, „der leicht zu bedienen ist“ - auf den Tisch. Weg ist die Ehefrau. Ist ja nicht ihr Tag. Wieso eigentlich nicht? Kaum etwas hat die Delegierten des DGB-Bundeskongresses an Meyers Kandidatenrede so beeindruckt wie der Hinweis auf seine glückliche Ehe. Aus der sind fünf Kinder hervorgegangen. Und - da jubelt der Kongreß - der dritte Enkel „wurde am 1.Mai morgens um 6 Uhr geboren“. Anlaß genug für den stolzen Großvater (57), einen wichtigen Gedanken zur Erneuerung des DGB zu präsentieren: „Nie habe ich auf einer Maikundgebung so viel Beifall bekommen wie für diese Mitteilung. Wir müssen überlegen, ob wir die Maifeiern künftig etwas anders gestalten.“

Weitere Zukunftsideen zur Politik des gewerkschaftlichen Dachverbandes verrät er seinen WählerInnen vorläufig nicht. Die mit dem neuen Amt verbundenen Visionen im Gespräch herauszufinden, ist auch unmöglich. „Ein Programm darzustellen, ist schwierig, in seiner Verkürzung führt es zu Mißverständnissen.“ So würden „manche behaupten, mein Ziel sei der Sozialismus“. Ein ironisches Lächeln zieht die hängenden Mundwinkel hoch. „Ich tue das nicht“ - welch tollkühner Hecht, der anderes unterstellte. Jenes „verbale Ziel müßte man heute differenziert und mit viel Zeit definieren“. Wer hat die schon? Der Mann, dem Freunde Lesewut, enormes Denk- und Analysevermögen bescheinigen, jedenfalls selten. Für die Lektüre der 'Zeit‘ reicht die Zeit nicht mehr. Über die Weltlage informiert der Dortmunder sich beim Frühstück aus drei Blättern: 'waz‘, 'Westfälische Rundschau‘ und 'Ruhrnachrichten‘. Die Auswahl ist schlicht. Ebenso schlicht die Selbstdefinition: „Ich will, daß es besser wird.“ In seiner Antrittsrede als DGB-Chef folgt die aufregende Präzision: „Mir kommt es darauf an, soziale, ökologische und wirtschaftsdemokratische Gestaltungschancen der Marktwirtschaft zu verankern.“ Langsam, jedes Wort betonend, kommen die Sätze. Der Kongreß schläft weiter.

„Wir wissen doch, daß Heinz-Werner mit Herz bei der Sache ist, und was er will“, rechtfertigt sich ein Freund von der IG Chemie. In der Tat, so nebulös-verschmitzt-freundlich sich Meyer in kleinen Gesprächsrunden gibt, an Kontur mangelt es seinem taillenlosen Körperbau, nicht seiner Person.

Vom Untertage-Werk als Hauer auf der Kamener Schachtanlage Monopol führte der Weg in die Gewerkschaft und SPD. Mit dem Abschluß der Hamburger Akademie für Wirtschaft und Politik in der Tasche begann Meyer 1957 seine hauptamtliche Karriere bei der IGBE. Stets führte der Weg bergan, über Landtagsmandat, Aufsichtsräte, Gewerkschaftsvorsitz und Bundestagssessel. „Beharrlichkeit“ zählt Meyer zu seinen größten Stärken. Und fügt gleich ein Vorbild hinzu: Herbert Wehner. An ihm habe er „die Beharrlichkeit, mit der Wehner die Sozialdemokratie an die staatliche Macht führte“, besonders geschätzt. Beharrlichkeit sei nicht zu verwechseln mit Starrsinn. „Ich bin beweglich“, glaubt Meyer. Nicht zu Unrecht. Kein anderer Gewerkschafter hätte es vermocht, den Beschluß der SPD zum Ausstieg aus der Atomenergie mitzuformulieren und gleichzeitig einer Gewerkschaft vorzustehen, die seit Jahren auf seiten der Atomlobby stritt. Daß er schon 1986 auf dem Parteitag die beschlossene Ausstiegsfrist als Illusion angriff, führt Meyer lächelnd auf „hellseherische Fähigkeiten“ zurück. Er hält fest: „Ausstieg so rasch wie möglich heißt: es muß rasch gehen, aber es muß auch möglich sein.“ Seine Gewerkschaft steht bis heute für den atomfreundlichen Konsens mit der Bundesregierung. Als Belohnung strich der Bergbau Subventionen ein, die das Absterben dieses Industriezweiges in geordnete Bahnen lenken. Zu wenig gewürdigt scheint Meyer ein reales Verdienst: bisher mußte kein überflüssiger Bergmann zum Arbeitsamt. „Leider schreiben Bergleute ja keine Zeitung“, seufzt er in Anspielung auf die nahezu einhelligen Beschreibungen seiner Person als rechter Traditionalist, konfliktscheuer Kompromißler ohne Profil, pragmatischer Laumann.

Auch seine eigenen Schreiberlinge und Sprachrohre sind keine Bergleute. Was sie indes mit Billigung des Vorsitzenden im IGBE-Organ 'einheit‘ verbreiten, war noch nie lau oder kompromißlerisch. Sehr gut erinnern sich Delegierte an „die Dreckkübel, die über die Friedensbewegung und alles, was links von der rechten Sozialdemokratie stand, ausgekippt wurden“. Auch verspritzt Meyer selbst gern Gift gegen seine Partei: „Die Öffnung der SPD zu den Grünen hilft diesen, hilft der CDU, und sie macht die Sozialdemokraten schwächer und damit mehrheitsunfähig.“ Seltsam, wie oft Meyer das Wort „ökologisch“ benutzt - während seine Gewerkschaft nichts unversucht gelassen hat, ökologische Bedenken etwa gegen die Nordwanderung des Bergbaues ins Münsterland niederzuwalzen. Und wehe den Bergarbeitern, die gegen den Willen der IGBE-Apparatschiks mit einer öffentlichen Kundgebung protestieren wollten. „Mit Kundgebungen bewirken wir nicht viel“, sagt Meyer in leichter Abwandlung des Credos seines IGBE-Vorgängers Adolf Schmidt: „Wenn wir auf die Straße gehen, haben wir schon verloren.“ Der neue DGB-Vorsitzende will „Politik gestalten“. Zu den „nötigen Spielräumen“ gehört denn wohl auch, daß Personalentscheidungen in der DDR -Schwestergewerkschaft ab sofort nur noch mit Bochumer Zustimmung getroffen werden. Daß der DGB-Apparat zerklüfteter und pluralistischer als eine gesamtdeutsche IGBE ist, dürfte Meyer klar sein. Freunde haben ihm gesagt, „ich sei tolerant“. Beweis: Zwei seiner Söhne verweigerten den Wehrdienst, einer wurde Berufssoldat. „Da haben uns andere gesagt: in eurer Familie muß es tolerant zugegangen sein.“

Petra Bornhöft